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Es ist Winter in Wyoming. Es liegt Schnee, es ist eiskalt, und es ist ruhig. 6 Meilen von der nächsten menschlichen Behausung entfernt liegt die Leiche eines jungen Mädchens im Schnee – Barfuß, und vergewaltigt. Der Jäger Cory Lambert, der im Winter die Herden der Schafzüchter vor wilden Tieren beschützt, kennt dieses Mädchen. Es ist seine Nichte, und für ihn tut sich eine ganz private Hölle auf, ist doch seine eigene Tochter vor drei Jahren unter nach wie vor unbekannten Umständen zu Tode gekommen. Die aus Las Vegas angereiste FBI-Agentin Jane Banner ist zwar bemüht, aber unerfahren, und in diesem wilden und rauen Land vollkommen hilflos. Sie engagiert Lambert ihr zu helfen, und Lambert macht mit, denn er hofft auf Antworten im Fall seiner eigenen Tochter. Doch hier liegt die Sache etwas anders. Das merkt er, als der Freund seiner Nichte unter Verdacht gerät – und ebenfalls nackt und tot im Schnee gefunden wird.

Regisseur Taylor Sheridan macht nicht den Fehler, den gängigen Filmen der ausgehenden 10er-Jahre hinterherzuhecheln, und mit Schießereien und Explosionen eine mangelnde Story zu übertünchen. Im Gegenteil lässt er sich sehr viel Zeit, seine sehr wohl vorhandene Geschichte zu erzählen, und tatsächlich hat jede Szene ihren Sinn, hat jeder Dialog einen Zweck. WIND RIVER fesselt vom ersten Moment an: Die starken Schauspieler, die in ihrer eigenen Persönlichkeit wurzeln und daraus Charaktere erschaffen, die so realistisch und überlebensgroß zugleich sind. Die Erzählung, von der man zunehmend ahnt, dass sie in Tod und Verderben münden wird, obwohl doch so viel Erhabenheit durch die Landschaft weht. Und natürlich genau diese Landschaft, die in großartigen Bildern eingefangen wird, und den Zuschauer förmlich in sich hineinsaugt. Und die mindestens genauso viel Tod wie Schönheit enthält.

Ein Film, der fast aus der Zeit gefallen scheint. Ein Erzählrhythmus, der aus den großen Epen der 50er-Jahre stammen könnte, zusammen mit einer Grausamkeit, die im hier und jetzt angesiedelt ist. Kein Schnickschnack, keine verkopfte Geschichte, keine Nebenschauplätze. Es gibt nur den Schnee, den Tod, die Ungerechtigkeit und eine Handvoll Menschen, die sich dem entgegen stellen. Es gibt Lambert, der Raubtiere jagt. Es gibt Banner, die Menschen jagt. Und es gibt Menschen, die nichts von Raubtieren unterscheidet. Es gibt Menschen die miteinander reden, und es gibt Menschen, denen die Sprache abhanden gekommen ist. Es gibt Vertrauen und Freundschaft, aber es gibt auch Gewalt, die fast wie bei Sam Peckinpah schnell und brutal eruptiert und keine Gnade kennt.

WIND RIVER ist großes Kino für Menschen, deren Augen und Sinne noch nicht durch das Dauerfeuer der modernen Filme abgestumpft sind. WIND RIVER ist wie ein JEREMIAH JOHNSON der Gegenwart, voller Ruhe und Schönheit, und unter dieser Ruhe und Schönheit lauert ein erbarmungsloses und menschengemachtes Grauen. Ein Film der tatsächlich berührt, in jeder Hinsicht. Und den man sich eigentlich im Kino anschauen sollte …

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