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Die einsamen Weiten von Wyoming sind das Revier des Jägers Cory Lambert (Jeremy Renner), der dort beauftragten Abschüssen wilder Tiere nachgeht, die Nutztiere gerissen haben. Dort liegt auch das titelgebende Indianer-Reservat Wind River, in dem er eines Tages auf der Fährte eines Pumas die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Lambert ist betroffen, denn die Tote war eine Freundin seiner Tochter, die vor einiger Zeit unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Da es vor Ort nur eine kleine Anzahl Polizisten gibt, die für ein riesiges Gebiet zuständig sind, wird Unterstützung seitens des FBI angefordert, aber die junge Jane Banner (Elizabeth Olsen), die aus Las Vegas kommt, hat keine Ahnung von den örtlichen Gegebenheiten und muß sich selbst erst einmal Winterkleidung bei den Hinterbliebenen ausborgen. Aus der Not eine Tugend machend schließt sie mit dem zurückhaltenden Jäger ein Zweckbündnis, um den Fall zu klären. Lambert kennt zumindest Land und Leute - als Weißer, der von seiner indianischen Frau getrennt lebt und nun der burschikosen FBI-Agentin helfen soll, sitzt er jedoch zwischen allen Stühlen...

Regisseur Taylor Sheridan zeichnet in diesem (Sozial-)Drama ein trostloses Bild eines Indianer-Reservats, das frei von jeglicher Glorifizierung dessen bedrückende Gegenwart zeigt: Drogenprobleme, Alkoholismus, Misstrauen, Arbeitslosigkeit und Werteverlust. Seine Protagonisten sind desillusionierte Bewohner, die, soweit sie sich noch nicht aufgegeben haben, eisern an kleinen Prinzipien festhalten: So erklärt Lambert beispielsweise seinem kleinen Sohn, den er bei einem Besuchstermin bei der Mutter abholt und der mit einem Spielzeuggewehr im Anschlag die Treppe herunterkommt, daß ein Gewehr immer geladen sei, auch wenn es nicht geladen ist. Besonders beeindruckend auch der Vater des toten Mädchens, Martin Hanson (Gil Birmingham), der seine Trauer und seinen Zorn kaum in Worte fassen kann und sichtlich um Fassung ringt, als die forsche Jane seine Frau zu ihrer ermordeten Tochter befragen will. Lambert, der wortkarge aber empathische Jäger, will ihm helfen, indem er seine Kenntnisse eines kürzlich absolvierten Trauer-Seminars weitergibt. So gut es geht, versucht sich dann auch Jane den Verhältnissen anzupassen: Nach der Befragung des Bruders der Toten (die zunächst in einer Schießerei endet) findet sie mit Lamberts Hilfe heraus, daß die Ermordete einen Freund hatte, der auf einer Bohrstation in der Nähe gearbeitet hat. Mit dem lethargischen Indianer-Cop Ben (Graham Greene) und wenigen örtlichen Hilfskräften ermittelt sie dann in diese Richtung.

Neben einer Sozialstudie ist Wind River natürlich auch ein Thriller, wobei sich Sheridan dann eines Kniffs bedient, indem er nach gut zwei Dritteln des Films eine Rückblende auf jene Ereignisse einbaut, die schließlich zum Tod der jungen Frau geführt haben - eines Todes übrigens, der die Ermittler vor ein Dilemma stellt, das in der US-Jurisdiktion begründet liegt:  denn obwohl der Gerichtsmediziner zweifelsfrei eine mehrfache Vergewaltigung feststellen konnte, ist die eigentliche Todesursache (eine Art) Erfrieren, da die junge Frau (in der Eingangsszene ersichtlich) barfuss durch den Schnee in die dunkle Nacht geflohen war, bis - so will es das Drehbuch - ihre Lunge in der eiskalten Nachtluft kollabiert ist.

So ermittelt Jane weiter nach Lehrbuch, wenngleich auch mit selbst auferlegtem neuen "Feingefühl", während der schweigsame Lambert Fährten im Schnee verfolgt und daraus seine Schlüsse zieht. Auch wenn die Auflösung des Falles im Nachhinein eher banal erscheint (sie ist bei Weitem nicht der Höhepunkt des Films), so mag man sich dennoch über die Skrupellosigkeit beim Tathergang Gedanken machen. Am Ende bleiben trotzdem Trauer und Hoffnungslosigkeit, wenn der Vater der Toten mit selbstentworfener Gesichtsbemalung im Garten sitzt und den in Erwägung gezogenen Selbstmord schlußendlich doch nicht durchgezogen hat - daß der Mord gesühnt wurde (um es spoilerfrei auszudrücken) nimmt er fast ohne Regung zur Kenntnis. Die weitere Zukunft der Beteiligten bleibt offen...

Dieser nach Sicario und Hell or High Water dritte Teil seiner sogenannten American-Frontier-Trilogie, bei der Taylor Sheridan nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern diesmal auch selbst Regie geführt hat, stellt für mich den besten der drei (ohnehin sehenswerten) Filme dar. Eine ungeschminkte Sozialstudie über einen Teilbereich der heutigen USA, ohne falsches Pathos, ohne Happy-End, mit starken Charakter-Darstellern: 9 Punkte.

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