Review

„Das Nazikino war theatralisch, illusionistisch, es war monumental, es wollte um jeden Preis groß sein. Es war Gefühl und Spektakel, etwas fürs Herz und etwas fürs Auge. Es war fast immer ambivalent.“

Der 1968 geborene deutsche Dokumentarfilmer Rüdiger Suchsland hatte im Jahre 2014 die beiden Filme „Caligari – Wie der Horror ins Kino kam“ und „Von Caligari zu Hitler – Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen“ veröffentlicht. Sein nächster Schritt mutet daher konsequent an: „Hitlers Hollywood”, ein 100-minütiger Film über das NS-Kino, wagt anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der UFA einen interessierten und differenzierten Blick auf eine Epoche, in der über 1.000 deutsche Filme entstanden und Menschenmassen ins Kino drängten wie nie zuvor und seitdem nie wieder – trotz oder gerade weil Reichspropagandaminister Goebbels das Kino als Propagandainstrument missbrauchte, um ein menschenverachtendes Weltbild zu legitimieren und zu zementieren, um Feindbilder aufzubauen und um Durchhalteparolen auszusenden, aber auch um Ablenkung und Zerstreuung in kriegserschütterten Zeiten zu bieten.

Suchsland beginnt seinen Film mit einem Ausschnitt aus „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ (1937) und führt fortan persönlich als Voice-over-Sprecher durch den Film, der den U-Boot-Kriegsfilm „Morgenrot“ (1933) als Vorreiter des NS-Films definiert. Suchsland stellt Goebbels‘ entscheidende Rolle innerhalb jener Epoche und seinen immensen Einfluss auf Filmproduktion heraus, setzt sich mit Siegfried Kracauers Filmthesen aus dem Exil auseinander und attestiert zahlreichen NS-Filmen aus den ernsten Genres Ironiefreiheit, verkrampfte Fröhlichkeit und eine fast schon nekrophile Todessehnsucht als gemeinsame Merkmale. Letzteres ist einer der stärksten Eindrücke, die ich aus dieser Dokumentation mitgenommen habe, lassen sich die genannten Charakteristika doch nicht ausschließlich aufs NS-Kino, sondern auf weite Teile mit autoritären Ideologien einhergehender Kultur projizieren.

An klassischem Propagandakino werden Filme wie „Hitlerjunge Quex“ (1933; Verführung der Jugend), „Stukas“ (1941; Opferbereitschaft und Kriegsakzeptanz), „Jud Süß“/„Der ewige Jude“ (beide 1940; Antisemitismus), „Kolberg“ (1945; Durchhalteparolen angesichts nahender Befreiung, verbrannte Erde und Volkssturm) und die Riefenstahl-Ästhetisierungen (Körperkult, Überlegenheit) genannt und auszugsweise gezeigt sowie kommentiert und eingeordnet. Beispiele wie „Paracelsus“ (1943) von G.W. Pabst repräsentieren Filmschaffende, die sich mit den Bedingungen arrangieren mussten, Helmut Käutner brachte es sogar trotz antifaschistischer Haltung zu einem Film wie „Große Freiheit Nr. 7“ mit dem ebenfalls unverdächtigen Hans Albers. Komödien wie „Eine Nacht im Mai“ (1938) werden ebenso berücksichtigt und mit kurzen Einblicken bedacht wie die von Suchsland kritischer betrachteten Revuefilme nach Hollywood-Vorbild inklusive dem damaligen Star Marika Rökk mit ihren exzessiven Pirouetten; auch Heinz Rühmanns Infantilismus wird angesprochen. Die wichtigsten Gattungen blieben jedoch Historienfilme und Melodramen. Auffällig sei, wie sich das Kino nach Kriegsbeginn zunehmend an Frauen als Zielgruppe gerichtet habe, weil immer weniger Männer ein Kino hätten besuchen können…

„Hitlers Hollywood“ geht auf verschiedene Schauspielerinnen und Schauspieler ein (Zarah Leander, Ilse Werner, Marianne Hoppe…), aber auf einen Regisseur ganz besonders: Veit Harlan („Jud Süß“, „Opfergang“) und seine „Reichswasserleiche“, die schwedische Schauspielerin und Harlands Ehefrau Kristine Söderbaum. Gustaf Gründgens‘ ambivalente Beziehung zum NS-Kino wird angerissen („Tanz auf dem Vulkan“, 1938, als Subversion), auf den halbdokumentarische Sportfilm „Das große Spiel“ (1942) eingegangen und ein neuer Realismus, der in den 1940er Einzug erhalten habe, festgestellt. Bei Wolfgang Liebeneiners „Großstadtmelodie“ (1943) habe es sich gar um einen beinahe feministischen Film gehandelt. „Münchhausen“ (1943) feierte einen exzessiven, hysterischen Eskapismus, „Opfergang“ (1944) tat es ihm gleich, wenn auch auf ganz andere Weise.

Ähnlich wie Münchhausen auf der Kanonenkugel ist dieser Dokumentarfilm ein wilder Ritt durch zwölf Jahre NS-Kino bzw. durch Propagandafilme auf der einen und mal mehr, mal weniger NS-geprägte Filme auf der anderen Seite. Um möglichst viele filmanalytische Informationen unterzubringen legt Suchsland nach eher gemächlichem Beginn ein hohes Tempo vor, wodurch es ihm tatsächlich gelingt, neben Kracauer auch Susan Sontag und Hannah Arendt zu zitieren sowie eine kurze Geschichte der UFA einzubauen. „Hitlers Hollywood“ ist damit eine hochinteressante Bestandsaufnahme, die die häufig plumpen, aber durchaus auch subtileren, wirksamen Propagandamechanismen aufdeckt und auseinandernimmt und mit dem aller Kontrolle und Repression zum Trotz breiten Filmspektrum der Epoche auch zu faszinieren versteht. Neben Einblicken in Goebbels‘ Versuche, Hollywood zu kopieren, um es für Manipulationszwecke zu instrumentalisieren, schult Suchslands Film das Gespür für Filmästhetik, dafür, wie sich der Zeitgeist einer Epoche im Kino widerspiegelt und wie schmal der Grat zwischen willfähriger Mittäterschaft, Opportunismus, Arrangement und innerer Emigration angesichts eines mörderischen totalitären Regimes sein kann. „Hitlers Hollywood“ dürfte eine gute Grundlage für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem NS-Kino bzw. seinen spezifischen Erscheinungen bilden.

Im leider viel zu schnell abgespulten Abspann ist nachzulesen, was aus diversen Filmschaffenden der NS-Zeit nach der Befreiung wurde. Spätestens hier wird deutlich, dass es keinen klaren Schnitt nach Kriegsende gegeben hat. Am meisten gewonnen wäre wohl, würden diejenigen, die sich diesen Film ansehen, auch Rückschlüsse auf Propaganda in zeitgenössischeren Filmproduktionen ziehen und mit einem geschärften kritischen Blick die unterschiedlichen Medien betrachten – ganz gleich, ob sie Wissen zu vermitteln oder lediglich zu unterhalten vorgeben.

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