Review

Oh Wunder, oh Wunder, es ist am Ende doch noch geschehen: deutsche Balleraction mit tarantinoesk hochgradig stilisierten Figuren, die funktioniert und Spaß macht: "Schneeflöckchen" heißt das Wunderwerk von 2017.
Kurz zur Ausgangssituation (hier werden die ersten zehn Minuten gespoilert):
Das abgefuckte Berlin in einer nicht allzu fernen aber sehr abgefuckten Zukunft: Die Gangster/Killer Tan und Javid streiten über Döner-Qualität während sie einen essen. Einblendung: "Döner-Imbiss II". Ein klassischer Tarantino-Einstieg. Der Hinweis "II" lässt den Zuschauer ahnen, dass er für "I" später noch mal in die Dönerbude zurückkehren wird.
Die beiden klauen anschließend ein Auto und darin findet Javid ein Drehbuch, das bis auf das Komma genau die vorhergehende Döner-Szene beschreibt sowie jedes Wort wiedergibt, dass die beiden Gangster von sich geben, während sie das Drehbuch lesen. Sie beschließen, dem Autor des Werkes, ein Zahnarzt, einen Besuch abzustatten...
Fünf Jahre hat Werbefilmer Adolfo Kolmerer an "Schneeflöckchen" gedreht. Mit amtlichen Schauspielern, Freunden, Verwandten. An Wochenenden, in Drehpausen, wenn Zeit war.
Und auch wenn das Budget offenbar nicht allzu üppig ausfiel, gibt es am Look des Films nichts zu motzen. Er findet tolle Settings abseits der üblichen Klischee-Bilder vom dicken B.
Und Kolmerer gelingt das Kunststück, seine comichaften Profikiller-Charaktere plus einen Superhelden relativ selbstverständlich in diesem Futur-Berlin anzusiedeln, ohne dass sie zu generisch wirken. Eine Meisterleistung, die in Ansätzen hierzulande bislang nur dem viel gescholtenen Till Schweiger in "Knockin' on Heavens Door" gelungen ist. Kolmerer geht im Vergleich dazu nicht nur den nächsten, sondern gleich die nächsten drei Schritte und unterhält dabei glänzend in diesem mit zwei Stunden allerdings etwas zu lang geratenen Werk.
Bei schnittberichte.com hat einer geschrieben, der deutsche Genrefilm stecke ja noch in den Kinderschuhen und mit "Schneeflöckchen" sei er nun in der Pubertät angekommen.
Natürlich kann man dem Film einiges vorwerfen. Ja, er kommt 15 Jahre zu spät und die schauspielerischen Leistungen sind wechselhaft (hab mich aber sehr gefreut, Gedeon Burkhard mal wieder zu sehen). Und letztlich merkt man natürlich schon, dass solche Pflänzchen hier nicht (mehr) von selber wachsen – Fritz Lang ist ja glaub ich tot -, sondern die ganze Attitüde vom Personal bis zur Inszenierung importiert wurde wie deutscher Rap. Aber wenn man sieht, was aus dem geworden ist, präsentiert sich "Schneeflöckchen" als die reinste Verheißung für die Zukunft.
Denn unter dem Strich stehen eine gewitzte Metaebenen-Story ("Stranger than Fiction" meets "Pulp Fiction" meets "Adaption", gewürzt mit allerlei Vorbildern wie "Boondock Saints" oder "Smokin' Aces"), gelungene, abseitige Figuren wie man sie im deutschen Kino überhaupt noch nicht gesehen hat; gute, blutige Balleraction und schicke Gewalt-Ästhetisierung. Das Ganze hübsch gefilmt, flott geschnitten und mit zeitgemäßen Dialogen.
Hurra, das deutsche Genre-Kino hat ein paar Haare am Sack.
Sehr gute sieben Punkte.

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