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„Kill all Nazis“

Der fünfte „Tatort“ des in Frankfurt am Main ermittelnden Kommissarduos Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) wurde im Frühjahr 2016 unter der Regie Markus Imbodens, der seit 2011 bereits diverse Beiträge der öffentlich-rechtlichen TV-Krimi-Reihe inszeniert hatte, auf Basis eines Drehbuchs Khyana el Bitars, Dörte Frankes und Stephan Brüggenthies‘ gedreht. Die Erstausstrahlung erfolgte im Januar 2017.

„Fallfischbauch!“

Auf einen Friseursalon am Frankfurter Tettenbornplatz wird zu vorgerückter Stunde ein Brandanschlag verübt, der verkohlte Leichnam der Auszubildenden Melanie Elvering anschließend im ausgebrannten Laden aufgefunden. Auf den Bürgersteig vorm Salon wurde „Kill all Nazis“ geschrieben. Die Kripokommissare Anna Janneke und Paul Brix befragen zunächst die Leiterin des Salons, Rosi Grüneklee (Birge Schade, „Der Skorpion“), und anschließend deren junge Angestellte Vera Rüttger (Jasna Fritzi Bauer, „Jerks“). Zusammen mit Melanie war sie kurz zuvor in Streit mit dem senegalesischen Drogendealer John Aliou (Warsama Guled, „Zeit der Kannibalen“) geraten, der sich vorm Salon aufhielt und die Frauen als Nazis beschimpft hatte. Tatsächlich werden seine Fingerabdrücke an den Überresten des Brandsatzes gefunden. Doch ist er wirklich der Täter? Vera und ihre WG-Mitbewohnerin Juliane Kronfels (Anna Brüggemann, „Kleinruppin Forever“) gehören offenbar zum neurechten Milieu der Stadt, zu dem auch Kioskbesitzerin Margaux Brettner (Odine Johne, „Die Welle“) zählt…

„Waren Sie nie im Chor?!“

Woher dieser „Tatort“ seinen Titel nimmt, wird schnell klar, wenn zu Beginn das von einem Chor gesungene „Kein schöner Land“ erklingt. Beim Anblick der bis zur Unkenntlichkeit verkohlten Leiche dürfte sich manch Zuschauer(in) erschrocken haben, danach allerdings gelingt es dieser Episode kaum, nachhaltiges Interesse zu wecken. Regelmäßige Zuschauer(innen) der Janneke/Brix-„Tatorte“ müssen sich unvermittelt an einen neuen Leiter der Mordkommission gewöhnen, denn Roeland Wiesnekker hat seine Rolle als Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl überraschend und innerhalb des Narrativs unthematisiert hingeschmissen. Als sein Nachfolger tritt nun Bruno Cathomas („Ich und Kaminski“) als Fosco Cariddi in Erscheinung, eine Rolle, die offenbar humoristisch konnotiert werden sollte, den neuen Leiter jedoch als seltsamen Freak zeichnet, der keine Gelegenheit auslässt, anlasslos schräge Gedichte des Österreichers Ernst Jandl zu deklamieren.

Dieser Running Gag erweist sich als ebensolcher Rohrkrepierer wie die Posse um die Flüchtlinge, die Brix‘ Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) in der gemeinsamen Wohnung einquartiert hat. Ein zweifelhaftes Humorverständnis, das hier an den Tag gelegt wird – und sich auch in den überflüssigen Slapstick-Einlagen widerspiegelt, wenn wieder einmal etwas zu Boden fällt oder verschüttet wird. Auch die unvermittelten Gesangseinlagen hätte man sich besser verkniffen. Neben der Polizeiarbeit mit Verhaftung, erkennungsdienstlicher Behandlung, Gegenüberstellung und Einblicken in ein zugegebenermaßen ziemlich faszinierendes Scherbenzusammensetzungsprogramm am Polizei-PC beleuchtet dieser „Tatort“ Vera Rüttgers Umfeld zwischen Chorproben und Rockdisco. Im Rahmen der Polizeiarbeit ergeben sich Zweifel an Veras und Margaux Brettners Zeuginnenaussagen und tatsächlich hat sich manches anders zugetragen als zunächst zu Protokoll gegeben.

Zwar verweist man damit auf die sicher nicht unrealistische Unzuverlässigkeit von Zeuginnen und Zeugen, doch wohin die Reise geht, lässt sich bald erahnen: Der Verdächtige ist nicht der Täter. Handelte es sich um einen Neonazianschlag, der ihm in die Schuhe geschoben werden soll, eventuell gar in Verbindung mit einem Versicherungsbetrug? Das ist schon einmal nicht unbedingte die begnadetste Drehbuchidee, war aber vielleicht gut gemeint, um auch eher unliebsame ausländische Mitbürger wie kleinkriminelle Drogendealer vor Vorverurteilung zu schützen und aufzuzeigen, wozu sich in der Öffentlichkeit eher bieder gebende organisierte Neonazis fähig sind. Nur zeigt sich im Verlaufe der Handlung recht deutlich, weshalb gut gemeint mitunter das Gegenteil von gut gemacht ist.

Die Disco, in der einer der Kripobullen einen peinlichen Auftritt aufs Parkett legt, spielt mehr oder weniger zeitgenössische Rock- und Metal-Musik, scheint aber zugleich so etwas wie das Hauptquartier der Neonazis zu sein, wodurch diese Musik indirekt mit ihnen in Verbindung gebracht wird. Besten Dank auch… Die gekonnt aggressiv aufspielende Jasna Fritzi Bauer wertet diesen „Tatort“ zumindest so lange auf, bis das Verhalten ihrer Rolle nicht mehr nachvollziehbar ist und sie sogar für eine zum Fremdschämen anregende Szene herhalten muss, in der sie jemandem in der Disco einen runterholt. Narrativ entscheidende Ereignisse hingegen werden lediglich in Dialogform nacherzählt, aber nicht gezeigt. Wie fast alle anderen Figuren auch bleibt Vera einem fremd. In der Handlungszuspitzung darf natürlich nicht ausbleiben, dass die Polizei einen vermeintlichen Syrer aus Brix Wohnung abholt, weil es sich eigentlich um einen Afghanen handelt, und eine Muslimin wird auf der Straße von drei Männern zusammengeschlagen. Mit dem eigentlichen Fall hat all das indes nichts zu tun. Authentisch wirkt hier kaum etwas, eher wie eine einzige unfreiwillige Freakshow, an deren Ende zu allem Überfluss auch niemand überführt wird. Stattdessen suggerieren Imboden und seine Autor(inn)en, die Dealer harter Drogen würden von der Polizei mit Samthandschuhen angefasst. Das ist Wasser auf die Mühlen Rechtsradikaler und erweist „der guten Sache“, der dieser „Tatort“ mutmaßlich dienen will, endgültig einen Bärendienst. Ein absolutes Negativbeispiel für aktuelle gesellschaftliche und politische Themen aufgreifende „Tatorte“.

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