Unbedingt sehenswerte Doku, die den legendären O.J.-Simpson-Prozess wie eine dunkle Prophezeiung des postfaktischen Social-Media-Zeitalters erscheinen lässt. Was interessiert eine erdrückende Beweislast aufgrund vorhandener Motive, nachweisbarer DNA-Spuren am Tatort und eines fehlenden Alibis, wenn der Angeklagte im Angesicht der Geschworenen zu einer Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung (die er zeitlebens nie war, geschweige denn sein wollte) und Opfer einer kruden Verschwörung des L.A.P.D. gegen die „Black Community“ stilisiert wird?
Spätestens, wenn Simpsons Verteidiger Johnny Cochran in seinem Schlussplädoyer den mutmaßlich rassistischen Polizisten Mark Fuhrham mit Adolf Hitler vergleicht und einen möglichen Schuldspruch Simpsons in Kontext mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stellt, geht es längst nicht mehr um Wahrheit oder Lüge, sondern darum, mit einem Freispruch sinnlose Polizeigewalt zu vergelten und alte Rechnungen zu begleichen. Polemische Stimmungsmache ist mitunter der schnellste Weg zum Ziel, das wusste nicht erst Donald Trump.
Letztendlich trieft das Urteil vor Zynismus: Schließlich erwirkte vor allem die jahrelange Unterdrückung der schwarzen Community, um die sich Simpson in seinem noblen Brentwood-Anwesen zeitlebens nie scherte, seinen Freispruch. Und selbstverständlich war es nicht zu seinem Nachteil, dass in der Jury Menschen wie Carrie Bess saßen, die in Interviews bezüglich häuslicher Gewalt seitens Simpsons noch heute Weisheiten wie diese von sich gibt: „Ich habe keinen Respekt vor Frauen, die sich von ihren Ehemännern jahrelang den Hintern versohlen lassen, wenn sie doch Alternativen haben“. Als sei Nicole Brown selbst Schuld daran, sich in einen Mann zu verlieben, dessen unwiderstehlichem Lächeln doch schon längst ein ganzes Volk verfallen war.
Das Bild von Simpson als bezaubernden Charismatiker zeichnet Edelman für den ein oder anderen nicht Football-affinen Zuschauer in den ersten beiden Folgen womöglich etwas langatmig – andererseits ist gerade das vielleicht notwendig, um die unglaubliche Fallhöhe greifbarer zu machen, in der sich dieser „American Hero“ nach Bekanntwerden der Mordvorwürfe befand.
Im Nachhinein ergibt aufgrund von Simpsons Stilisierung zum Superhelden auch die Aussage der Reporterin, die sich bei der ikonographischen TV-Übertragung der Autoverfolgungsjagd im Hubschrauber befand, einen Sinn: O.J. habe seine Hautfarbe überwunden. Wenn er nämlich schwarz gewesen wäre, hätten die Polizisten sein Auto gerammt und nicht begleitet. Das bringt die Farce um den Prozess und die Person Simpson ziemlich genau auf den Punkt.
Dass Simpson dann wegen eines vergleichbar harmlosen Verbrechens später in einer Art „Rache“-Urteil für den Freispruch von damals zu 33 Jahren Haft verurteilt wurde, setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Glaube ans amerikanische Rechtssystem wankt hier nicht nur, sondern fällt komplett in sich zusammen.
Selten wurden dem „American Dream“ derart konsequent und schmerzhaft die Zähne gezogen wie im Fall O.J. Simpson.