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„Wir tun hier nichts Verbotenes!“

Ihren Sendetermin am zweiten Weihnachtstag 2016 nutzte die „Tatort“-Reihe zur Ausstrahlung des 74. Falls der Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), der bereits im November und Dezember des Vorjahrs gedreht worden war. Das Weihnachtskriminaldrama schrieb Drehbuchautorin Dinah Marte Golch, inszeniert wurde es von Markus Imboden, der damit zum vierten Mal als „Tatort“-Regisseur in Erscheinung trat.

„Das System schützt sich selbst…“

Die Hauptkommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr werden zur Kirche am Alten Südfriedhof gerufen, nachdem dort ein totes Neugeborenes abgelegt wurde. Laut Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) starb das Baby einen Erstickungstod. Die Spur führt zur jungen Rumänin Tida Dablika (Mathilde Bundschuh, „Heil“), der Mutter des toten Kinds, und damit zu ihrer Schwester Anuscha (Cosmina Stratan, „Shelley“) sowie zu einer organisierten rumänischen Bettelbande, deren Oberhaupt Radu Stelica (Florin Piersic jr., „End of a Gun“) ein strenges Regiment führt und dabei vom Busfahrer Klaus Bernauer (Florian Karlheim, „Paradies 505. Ein Niederbayernkrimi“) tatkräftig unterstützt wird…

„Weihnachten wird eh überschätzt…“

In der Exposition singt der Bullenchor Weihnachtslieder und nervt (als hier etablierter Running Gag) Leitmayrs Mutter, für die er noch immer kein Geschenk hat, mit ständigen Anrufen. Ferner wird offenbar zum Leidwesen aller mit nutzlosem Plunder gewichtelt und erreicht Batic eine Absage für Heiligabend nach der anderen. Diese Szenen sind komödiantisch konzipiert und auch so umgesetzt, wobei das stoische, auf alles gefasste Wesen des viel Erfahrung ausstrahlenden Ermittlerduos für albernen Klamauk keinerlei Raum bietet. Dass mit „Klingelingeling“ jedoch nicht nur ein Weihnachtsliedtextfragment bzw. die Lautmalerei von Glöckchengeläut gemeint ist, beweisen die kontrastierenden, harten, parallel montierten Szenen der Bettelmafia mit ihren Kleingeldbechern in den frierenden Händen, deren Mitglied Tida unter prekären Umständen und Liquid-Ecstasy-Einfluss stehend ihr Kind zur Welt bringt – jenes Kind, das kurz darauf tot vor dem Kirchenaltar gefunden wird.

Der gewagte Kontrast aus den First World Problems und polizeilichem Weihnachtskitsch der Kommissare auf der einen und den existentiellen Problemen der rumänischen Bettelsklavinnen und -sklaven auf der anderen Seite, die, entweder kauernd auf der Straße oder eingepfercht in einer ehemaligen Fabrikhalle am Stadtrand, regelmäßig in höchst verachtenswertem Maße misshandelt und erpresst werden, gelingt Imboden überraschend gut. Die Untertitelung der in Originalsprache gehaltenen Dialoge sorgt für zusätzliche Authentizität (gemeint ist das Rumänische, nicht Bayrisch). Eher unpassend wirken jedoch die Obdachlosenklischees, die die beiden auf dem kirchlichen Friedhof lebenden Zeugen einbringen und zudem ebenfalls in – hier eher unangebrachtem – komödiantischem Tonfall vorgetragen werden.

Das Publikum dieses Falls verfügt fast permanent über einen Wissensvorsprung gegenüber den Ermittlern, die Frage nach dem Kindstod bleibt jedoch lange Zeit offen. Die Ursache ist jedoch leicht zu erahnen, wobei das Whodunit? ohnehin nicht im Mittelpunkt dieses „Tatorts“ steht. Statt eines klassischen Krimis handelt es sich vielmehr um ein Milieudrama, das den Zuschauerinnen und Zuschauern einen Einblick in die grausamen Machenschaften der Bettelmafia gewährt. Daraus resultiert, dass „Klingelingeling“ locker zur Hälfte vorhersehbar ist. Die andere Hälfte jedoch ist gespickt mit ein paar Überraschungen und Verwirrspielchen – so scheint Tida zwischenzeitlich ebenfalls gestorben zu sein, lebt dann aber doch noch –, präsentiert eine weitere Leiche (diesmal auf dem Bahnhofsklo) und baut im letzten Drittel langsam, aber nachhaltig Spannung auf, die sich in einem hochdramatischen Showdown entlädt.

Die Integration einer Hilfsorganisation in die Handlung transportiert eventuell einen Hoffnungsschimmer für in der Realität Betroffene, während im Zuge der Ermittlungen die Möglichkeiten der Mobilrufnachverfolgung vorgestellt werden. Der Epilog um die beiden Silberfüchse ist dann etwas kitschig und unrealistisch ausgefallen, aber, hey: es ist ja Weihnachten, da ist das durchaus mal erlaubt. Tatsächlich hatte der Verfasser dieser Zeilen einen Kloß im Hals, denn der insbesondere von Bundschuh und Stratan intensiv gespielte und von Imboden atmosphärisch abweisend kalt und urban gestaltete Fall geht einem nahe.

Es bleibt zu hoffen, dass der „Tatort: Klingelingeling“ messbar zur Aufklärung beiträgt und es eigentlich gut meinenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Augen dahingehend geöffnet werden, welche Strukturen sie verfestigen oder gar fördern, wenn sie auf diese Bettelbanden hereinfallen. Bei seriösen Hilfsorganisationen ist das Geld wesentlich besser aufgehoben.

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