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Der junge schwarze New Yorker Photograph Chris Washington (Daniel Kaluuya) wird zum ersten Mal zu den Eltern seiner weißen Freundin Rose Armitage (Allison Williams) eingeladen - obwohl gemischtrassige Paare kein besonderes Thema mehr in den USA zu Zeiten Obamas sein sollten, ist er etwas nervös. Doch die betont linksliberalen Eltern nehmen ihn als Lebenspartner der Tochter freundlich auf und alles scheint in bester Ordnung, steht doch am nächsten Tag ein Freundestreffen dort in dem ländlichen Anwesen an, zudem Chris natürlich herzlich eingeladen ist. Aber einige Kleinigkeiten am Verhalten der beiden schwarzen Hausangestellten sowie auch der älteren Gäste beim Fest am nächsten Tag hinterlassen bei Chris wachsende Zweifel an seinen Gastgebern: Da scheint doch etwas faul zu sein...

Regisseur Jordan Peele, ein ansonsten Barrack Obama und andere schwarze Promis parodierender Comedian, hat mit diesem seinem Erstlingswerk das Thema Alltagsrassismus in den USA thematisieren wollen und dafür als Darreichungsform das Horror- bzw. Mystery-Genre gewählt. So löblich die politische Absicht ist (der Film hat dafür, vor allem in den USA, haufenweise Auszeichnungen eingeheimst, inklusive einem Oscar für das beste Original-Drehbuch) so sehr versagt er jedoch insgesamt(!) als Horror-Streifen - und das liegt am fatalen Ende von Get out.

Zunächst baut der Film eine sehr subtile Spannung auf: kleinste Merkwürdigkeiten, die dem Zuseher durch die Sichtweise von Chris (starke Leistung des Briten Daniel Kaluuya) auffallen, hinterlassen einen zunächst merkwürdigen Beigeschmack, verdichten sich im Lauf des Films zu einem immer stärkeren Unbehagen und kulminieren dann, als das dunkle Geheimnis gelüftet ist, zu einem beklemmenden Aha-Erlebnis. In den letzten etwa 10 Minuten jedoch zerstört das Drehbuch nachhaltig die zuvor aufgebaute, auf kameratechnisch fein eingefangenen Beobachtungen basierende Spannung, indem es den bis dato nur innerlich irritierten, nach außen hin jedoch souverän und distinguiert auftretenden Chris in einen eiskalten Killer verwandelt, der ein Blutbad anrichtet. Dieses unvermittelt splattrige Ende passt so gar nicht zum davor Gezeigten, bricht mit beinahe allen Regeln des Horror-Thrillers und hinterläßt auch im Hinblick auf die antirassistische Botschaft einen faden Beigeschmack: Nachdem ausnahmslos alle Weißen inklusive Freundin Rose tot sind, wird Chris von seinem besten Freund im Polizeiwagen abgeholt. Und Ende.

Fast könnte man meinen, dieses Ende sei unter starkem Zeitdruck entstanden oder dem Regisseur seien am Schluß die Ideen ausgegangen - dabei sind speziell die Ideen, die Get out in den ersten drei Vierteln des Films dem Zuseher präsentiert, schon bemerkenswert absurd: eine reiche weiße Oberschicht, linksliberal und gebildet, die schwarze Hautfarbe als das Erstrebenswerteste verehrt (Zitat: "Schwarz ist das neue Weiß") und zu diesem Behufe junge schwarze Männer auf das Grundstück lockt, um ihrer körperlich habhaft zu werden. Als Köder für die späteren Opfer dient die sich selbst prostituierende Tochter Rose, deren Vater in seiner Nebentätigkeit als Hobby-Chirurg mittels einer Art Lobotomie den durch Hypnose willenlos gemachten Probanden das Gehirn entnimmt und selbiges mit dem "verbrauchten" Gehirn eines gealterten Weißen vertauscht. Auf diese Weise lebt ein älterer Weißer in einem jungen schwarzen Körper weiter - umgekehrt soll es auch funktionieren, wobei sich das Drehbuch dabei nicht so ganz festlegen will, schließlich stehen im OP-Raum im Keller auch Kerzenleuchter herum... Die lebenden Ersatzteillager, die mittels eines als Bingo-Spiel getarnten Versteigerungsverfahrens von zahlungskräftigen Festgästen gekauft werden können, werden mittels Teelöffel-Geklapper hypnotisiert (was erstaunlich gut funktioniert) sodann an einen Sessel geschnallt und müssen Gesülze aus einem Uralt-Fernseher aus der Nierentischzeit über sich ergehen lassen - nur Chris schafft es, sich mit der Sessel-Füllwatte die Ohren zu verstopfen und somit wach zu bleiben. Wie er die wenige Watte trotz Fesselung in die Ohren bekam und sich damit angeblich "taub" stellen konnte bleibt ebenso rätselhaft wie die sich zuvor selbst öffnende Schranktüre in Chris´ Zimmer, in der eine Schachtel mit Fotos von Rose und ihren früheren Opfern griffbereit herumsteht.

Weitere präsentierte Wunder sind der Blitz eines Handys, der gehirnoperierte Opfer sekundenschnell wieder auf ihre alte Denkweise umpolt - daß Chris per Zufall darauf kommt, weil er heimlich ein Handyfoto eines verdächtigen Partygasts aufnehmen will und dabei als professioneller Photograf nicht weiß, daß man dabei vorher den Handy-Blitz - zwecks Heimlichkeit - ausschalten sollte, gehört ebenso zu den Merkwürdigkeiten wie ein auf die Windschutzscheibe fliegender Hirsch auf der Landstrasse - letzterer spielt jedoch keine weitere Rolle mehr. Diese Ansammlung von Abstrusitäten ist jedoch nicht unbedingt witzig gemeint, Regisseur Jordan Peele läßt dadurch dem Zuseher deutlich werden, daß Chris, durch dessen Perspektive man diese Monströsitäten kennenlernt, der einzig Normale in dieser Runde ist. Als deutliches Comedy-Element fungiert dagegen Chris´ schwarzer Sidekick Rod Williams (Lil Rel Howery), ein geradezu schablonenhaftes Abziehbild der bildungsfernen Unterschicht, komplexbeladen und voller Verschwörungsphantasien ("Sexsklaven") - auf diesen Vollpfosten hätte man verzichten können. Daß dieser in der letzten Einstellung Chris einfach abholt (und somit hinsichtlich seiner kruden Theorien zwischen den Zeilen "Recht" behält) ist einer ernsthaften politischen Botschaft von Get out ebensowenig dienlich wie der Umstand, daß alle Weißen in diesem Film hinterhältig, falsch und verschlagen sind, während alle Schwarzen gut, aufrecht oder wenigstens rechtschaffen agieren.

Könnte man diesen seltsamen Zwitter aus Mystery-Thriller, Black Power Bewegung und Rache-Film mit seinen Comedy- wie auch Torture-Porn-Anleihen auch nur ansatzweise ernst nehmen, müßte man dessen politische Intention ernsthaft(er) hinterfragen. Aber - das muß man eben nicht...
Die tadellosen schauspielerischen Leistungen (hier besonders von Kaluuya) und die abstrusen Frankenstein-Phantasien sind jedenfalls 3 Punkte wert, ein zweites Mal diesen stark gehypten Streifen anzuschauen lohnt aber definitiv nicht.

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