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„Können Sie mir sagen, warum alle das Leben so wahnsinnig ernstnehmen? Wenn man bedenkt, dass jeder Mensch die meiste Zeit tot und nicht lebendig verbringt…“

TV-Regisseur Sebastian Marka durfte nach drei Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe den sechsten Fall um den Wiesbadener LKA-Kriminalhauptkommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) nach einem Drehbuch Erol Yesilkayas verfilmen – und damit seinen Beitrag zum seit 2011 für seine Unkonventionalität, Experimentier- und (in Bezug auf Kinoklassiker) Zitierfreude bekannten „Tatort“-Ableger leisten. „Es lebe der Tod“ wurde am 20. November 2016 erstausgestrahlt.

„Sie sind wahnsinnig!“

Ein Serienmörder hält das hessische Wiesbaden in Atem: Seinen Taten ist gemein, dass er seine Opfer betäubt, sie in eine Badewanne setzt und ihnen die Pulsadern aufschneidet. Um ihn zu fassen, inszenieren Murot, seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) und ihr Team einen vermeintlichen weiteren Mord, den sie dem Täter zuschreiben, der sich jedoch in Details von dessen tatsächlichen Taten unterscheidet. Der Plan geht auf, denn der Mörder Arthur Steinmetz (Jens Harzer, „Nackt unter Wölfen“) sucht den persönlichen Kontakt zu Murot, um seine Unschuld in diesem scheinbaren Fall zu erklären. Die Polizei nutzt die Gelegenheit, um ihn zu verhaften und dem Verhör durch Murot zuzuführen. Der intelligente Apotheker Steinmetz räumt alle Morde ein, von denen er weiß, dass sie sich ihm ohnehin nicht nachweisen lassen. Sein Motiv: Er hat sich ausschließlich unheilbare kranke oder des Lebens überdrüssige Opfer ausgesucht, von denen er glaubte, ihnen mit ihrer Ermordung einen Gefallen zu tun. Und da er selbst krankheitsbedingt nicht mehr lange zu leben hat, glaubt er, sie besonders gut zu verstehen. Was Murot nicht ahnt: Niemand Geringerer als er soll Steinmetz‘ letztes Opfer werden – denn wenngleich der Kommissar von seinem Hirntumor geheilt wurde, hat Steinmetz tiefsitzende Depressionen bei ihm diagnostiziert…

Der Täter ist – wohlgemerkt nach einem Auftakt par excellence – also schnell dingfest gemacht, Whodunit? wird zu Whydunit? wird zur Frage, was er als nächstes vorhat und vor allem, wie er es umsetzen will. Ganz richtig ist das aber eigentlich nicht, denn die Frage, um wen es sich bei Murots Gegenüber handelt, wird erst im Laufe der ausführlich gezeigten Verhörsituation beantwortet, in der Steinmetz sich erklärt und seine Identität ermittelt wird. Die ruhige Erzählweise steht im Kontrast zu einer auf Kinoniveau agierenden dynamischen Kameraführung und öffnet Räume, die die Charakterisierung Steinmetz‘ innerhalb eines sich zuspitzenden Psychoduells mit Murot ausfüllt. Inhaltlich wie stilistisch treffen hier Serienkiller-Thriller à la „Sieben“ auf psychologisches Drama, und auch der eine oder andere Teil der „Saw“-Reihe dürfte den Filmschaffenden nicht unbekannt gewesen sein.

Im Prinzip gibt Steinmetz vor, Sterbehilfe zu leisten, was das Drehbuch auch kaum infrage stellt; die Kritik an seinem Vorgehen bleibt oberflächlich. De facto spielt er sich jedoch als Richter über Leben und Tod auf und ermordet auch Menschen, deren psychische Erkrankungen behandelbar wären. Allem bewusst heraufbeschworenen Schwermut zum Trotz hätte man gut daran getan, dies zumindest einmal auszuformulieren, um nicht Gefahr zu laufen, einem entsprechend vorbelasteten Teil des „Tatort“-Millionenpublikums den Lebensmut zu rauben oder die ganz Armseligen in Euthanasie-Fantasien zu bestätigen.

Seine Faszination erlangt „Es lebe der Tod“ vor allem aus dem Umstand, dass Murot es mit einem Täter zu tun bekommt, der ihn psychologisch durchschaut und stets einen Schritt weiter zu sein scheint als er. Dieser Umstand führt zu einem exakt durchkalkulierten Plan, dem sich Murot beugen muss und ihn vor die Wahl stellt: Sein Leben oder das der Tochter (Ceci Chuh, „Boy 7“) seiner Kollegin Wächter. Da im Vorfeld geschickt Gerüchte lanciert wurden, Tukur würde seinen Dienst als „Tatort“-Kommissar evtl. quittieren, musste das Publikum den Heldentod für möglich halten, was das Finale deutlich spannender machte als aus heutiger Perspektive angesichts des Wissenstands, dass bereits ein weiterer Murot-Fall ausgestrahlt wurde. Doch auch dann funktioniert die Inszenierung durchaus, inkl. surrealer Einblicke in die Zwischendimension zwischen Leben und Tod und der Frage nach Murots tatsächlicher Lebensmüdigkeit. Wer entsprechend gepolt ist, darf sich ferner an einer gewissen Bondage-Ästhetik Ceci Chuhs erfreuen.

Marka arbeitet mit gelegentlichen Einschüben und Rückblenden ins Jahr 1988 sowie in Murots Kindheit. Der traumatisierende, unverarbeitete Tod seines Vaters muss als Erklärungsversuch für seine Depressionen herhalten, womit eine psychologische Komponente Einzug hält, die Stoff für weitere Ausarbeitungen der Figur Murot bietet. Mit „Es lebe der Tod“ ist ein dialogreicher, actionarmer, aber umso spannenderer und hervorragend geschauspielerter „Tatort“ gelungen, zu dessen bedrückender Atmosphäre Sufjan Stevens immer wieder angespieltes Stück „Fourth of July“ beiträgt – und der manch Zuschauerin oder Zuschauer auf, verglichen mit der exploitativen „Saw“-Reihe, sanftere Weise den Wert ihres Lebens vor Augen führen und zu etwas Demut raten dürfte.

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