„Bilder gehören niemandem. Sie gehören nur sich selbst.“
In einer Mischung aus Thriller und Drama erzählt Dominik Graf („Die Katze“) in seinem 2016 veröffentlichten Film „Am Abend aller Tage“ die nach „Die Freunde der Freunde“ zweite Adaption eines Henry-James-Romans durch Drehbuchautor Markus Busch: „Die Aspern-Schriften“ aus dem Jahre 1888 werden auf den realen Fall des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt aus dem Jahre 2012 übertragen, wodurch die Handlung von Venedig nach München verlagert und aus Literatur bildende Kunst wird. Seine Welturaufführung erfuhr der fürs Fernsehen gedrehte Film bei den 50. Hofer Filmtagen am 28. Oktober 2016, erstausgestrahlt wurde er am 31. Mai 2017 in der ARD.
„Das Bild muss gekauft werden. Es muss. Es klebt Leid daran und es soll wieder dorthin zurück, wo es hingehört!“
Versicherungsdetektiv Philipp Keyser (Friedrich Mücke, „Alles ist Liebe“) wird von einer achtköpfigen Gruppe Frankfurter Greisinnen und Greise beauftragt, das verschollene Gemälde „Die Berufung der Salomé“ des Expressionisten Ludwig Glaeden ausfindig zu machen, bei dem es sich wahrscheinlich um Raubkunst handelt. Geld spielt für die Auftraggeber(innen) keine Rolle. Einzige weitere Information: Es befindet sich möglicherweise im Besitz des Münchener Sammlers Magnus Dutt (Ernst Jacobi, „Sperling und die verlorenen Steine“). Keyser versucht, über Dutts Großnichte, Künstlerin und Wäschereiangestellte Alma Kufferer (Victoria Sordo, „Das Glück der anderen“), an den verschrobenen, zurückgezogen lebenden Senior heranzukommen, indem er sich ihr gegenüber als kunstinteressierter Journalist ausgibt. Zunächst zeigt sie wenig Interesse am attraktiven jungen Mann, doch als er offeriert, den vertrockneten Garten ihres Onkels aufzuforsten, öffnet sie sich ihm. Zwischen beiden entbrennt eine heiße Affäre…
Mit „Am Abend aller Tage“ setzt Graf durch die an Cornelius Gurlitt angelehnte Figur Magnus Dutt dem 2014 verstorbenen Exzentriker ein filmisches Denkmal. Ferner liefert er einen oft provokanten Beitrag zur Diskussion um die kommerzielle Auswertung von Kunst, den Besitz und die Konservierung von Kunst sowie Kunstverständnis im Allgemeinen, indem er Verständnis für Dutts alias Gurlitts radikalen Ansatz schafft. Im völligen Kontrast zur Vervielfältigung von Kunst und zu ihrer Konservierung, sei es im Privat- oder öffentlichen Besitz, agiert Dutts Großnichte Alma Kufferer, die nicht das geringste Interesse daran hat, mit Kunst auch nur einen Cent zu verdienen. Stattdessen schafft sie Kunst der Kunst und des künstlerischen Prozesses wegen, wenn sie mit Vergänglichem und Verderblichem wie Lebensmitteln arbeitet, in und mit Farben schmiert oder sich selbst in ein Kunstwerk verwandelt. Dabei legt sie nicht einmal Wert auf Dokumentation wie z.B. Fotografien ihrer Ergebnisse. Der visuelle Höhepunkt: In einer Szene von bizarrer Schönheit empfängt sie Keyser als Wasserleiche.
In Dutts labyrinthischem Haus finden sich dann ungeordnet und unkatalogisiert etliche Kunstwerke quer durch Epochen, Stile und Künstler(innen), herumstehend, aneinander lehnend, in keiner Weise ausgestellt, hergerichtet oder prominent an Wänden platziert. Der Sammler hortet und verwahrt, um seine Schätze vor den voyeuristischen Blicken jener zu schützen, die seinen Kunstbegriff nicht teilen. Auch er hegt keinerlei monetäres Interesse, er begreift sich als Idealist. Keyser und Kufferer kommen sich derweil immer näher; je tiefer Keyser in die Welt wahrer Kunst eintaucht, desto stärker entbrennt seine Leidenschaft für Kufferer.
„Am Abend aller Tage“, eine Art Kunst-Thriller, erinnert an eine Mischung aus Gialloeskem und Polanskis „Die neun Pforten“, abgeschmeckt mit einer Prise „Das Haus der lachenden Fenster“. Das lässt zunächst auf einen weiteren Geniestreich Grafs hoffen. Das permanente Gerauche der Figuren ist definitiv eine Reminiszenz an Polanskis Okkultliteratur-Thriller, für einen Giallo fällt Grafs Film optisch dann letztlich aber doch zu konventionell aus. Anders die Handlung und Dramaturgie, leider nicht im positiven Sinne: Vieles innerhalb der Figuren-Interaktion bleibt wenig nachvollziehbar. Was findet Kufferer an Keyser, weshalb bleibt sie trotz seiner ihr bekannten Absichten an seiner Seite? Weshalb verstummt ihre Freundin Bibi (Emma Jane, „Höre die Stille“) so plötzlich und nachhaltig? Das Drehbuch macht es Keyser sehr leicht, mit seinen Plänen durchzukommen, worunter die Spannung leidet. Wer seine Auftraggeber wirklich sind, erfährt man genauso wenig (am Ende gar eine Art „jüdische Verschwörung“?). Stattdessen wird eine unheilbare Krebserkrankung Kufferers unmotiviert erscheinend eingeworfen. Will man damit den Aspekt der Vergänglichkeit auch unbedingt auf die menschliche Existenz übertragen? Eine schöne Szene, in der Keyser tot auf dem Boden liegt und Kufferer mit seinen Gedärmen „Kunst“ erzeugt, entpuppt sich bedauerlicherweise lediglich als Traum, der nichts als selbstzweckhaft ist und die Handlung kein Stück voranbringt. Kunst um ihrer selbst willen, schon klar.
Gegen Ende scheint Graf die Zeit auszugehen, Elementares wird in Form einer Rückblende oder einer Art Zeitraffer abgehandelt, „Am Abend aller Tage“ endet abrupt. Der Film vergibt leider die Chance, thematisch bisher unbeleckte Zuschauerinnen und Zuschauer für seine Inhalte zu sensibilisieren. „Am Abend aller Tage“ wirkt in seiner bemühten Unkonventionalität und seinem Fokus auf ein bestimmtes Publikum fast ähnlich elitär wie der Gedanke, Kunst im Keller zu verschanzen, um sie vor der Öffentlichkeit zu „schützen“.