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Heutzutage sind kreative, originelle Filmstoffe ja zu einer regelrechten Seltenheit geworden – weshalb sich Menschen wie ich, denen das nicht „egal“ ist, umso stärker darüber freuen, wenn gelegentlich mal Veröffentlichungen á la „Swiss Army Man“ oder „Colossal“ (beide aus dem Jahr 2016) daherkommen. Um letztere amerikanisch-spanisch-kanadisch-südkoreanische Co-Produktion soll es hier im Folgenden nun gehen: Ihres Zeichens eine von Nacho Vigalondo („Open Windows“) verfasste und in Szene gesetzte Genre-Kreuzung aus „Indie-Dramödie“ und „Giant-Monster-Movie“ – quasi „Rachel getting Married“ trifft Judd Apatow trifft „Pacific Rim“. Im Gegensatz zu Guillermo del Toro ging es Vigalondo jedoch keineswegs darum, mit seinem rund 15 Millionen Dollar umfassenden Produktionsbudget etwas in der Richtung eines „großen, gehaltlosen Sci-Fi-Action-Spektakels“ zu erschaffen – sondern sich (anstelle von „Style over Substance“) in erster Linie auf sein clever-interessantes Konzept zu konzentrieren, bei dem die Hauptcharaktere klar im Fokus stehen: Eine von ihm bereits für seine sich im Kontext einer Alien-Invasion entfaltende romantische Komödie „Extraterrestre“ (2011) gewählte Herangehensweise…

Als Gloria (Anne Hathaway) nach einer Party-Nacht eines Morgens mal wieder verkatert in das NYer Apartment ihres Freundes Tim (Dan Stevens) zurückkehrt, hat der endgültig genug von ihren Ausflüchten, ihrem übermäßigen Alkoholkonsum und ihrem mangelnden Ehrgeiz, sich intensiver um einen neuen Job zu bemühen – weshalb er sie prompt „vor die Tür setzt“ und sie sich anschließend widerwillig (ohne einer anderen Option) in das aktuell ungenutzte, in ihrer ländlichen Heimatstadt gelegene Haus ihrer Eltern einquartiert. Dort läuft sie schon bald Oscar (Jason Sudeikis) über den Weg – einem alten Schulkameraden, der inzwischen die Bar seines Vaters übernommen hat und ihr eine Aushilfstätigkeit als Kellnerin anbietet. Die nächsten Tage verlebt sie u.a. in einer „gesellig-lockeren Runde“ mit Oscar und seinen zwei Kumpels Garth (Tim Blake Nelson) und Joel (Austin Stowell) – bis plötzlich ein mächtiger Kaij? in Seoul auftaucht: Zwar nicht allzu lange – doch die Zerstörung und der globale Schrecken sind jeweils beträchtlich. Als jenes dann ein neuerliches Mal geschieht, fällt ihr beim Betrachten der Nachrichten-Clips auf, dass bestimmte Bewegungen der Kreatur irgendwie ihren eigenen, einige Stunden zuvor zur exakt selben Zeit ausgeführten gleichen…

„Colossal“ überstürzt es nicht, die relevanten Protagonisten, Schauplätze und ihre Verbindungen untereinander zu implementieren: Bedächtig und weitestgehend realitätsnah „verdichtet“ Vigalondo im Einstiegsdrittel das sprichwörtliche „Fundament“, auf dessen Basis sich alle darauf aufbauenden Geschehnisse entwickeln. Früher eine talentierte Autorin, schätzt Gloria zu Beginn des Films das regelmäßige, nahezu tagtägliche „sorglose“ Feiern mit ihrer Clique, ohne dabei Rücksicht auf die Wünsche und Anmerkungen Tims zu nehmen, bei dem sie (ohne eigenem Einkommen) wohnt. Sie ist attraktiv und weiß, dass insbesondere Männer ihr eine Menge „durchgehen lassen“. Für sie ist es bequem und angenehm so. Erst als Tim genug davon hat und einen „Schlussstrich“ zieht, sieht sie sich damit konfrontiert, wie wenig gerade eigentlich wirklich „ihrs“ ist. Ernüchtert kehrt sie (aus Manhattan) in das kleine „Kaff“ zurück, in welchem sie damals aufwuchs. Den konkreten Grad ihrer Probleme leugnet sie (sich selbst und anderen gegenüber) aber weiterhin. Oscar zu treffen, dessen Bar (trotz Umbau und Investitionen) nicht unbedingt gut läuft, erachtet sie als nett. Die heraufbeschworene Stimmung ist eine melancholische, unschwer nachempfindbare…

In einer Umgebung zu jobben, in der Alkohol allgegenwärtig ist, ist in Gloria´s Fall natürlich kontraproduktiv: Entsprechend trinkt sie nach ihren Schichten gern noch einige Bierchen mit den „Jungs“ und begibt sich nie nüchtern auf ihren Heimweg, der sie u.a. über ein Spielplatz-Gelände führt – und das meist gegen 08:05 Uhr, während Kinder bereits zu einer nahebei gelegenen Schule unterwegs sind. Parallel dazu erscheint das riesige Wesen jeweils „am anderen Ende der Welt“ – welches einige „seltsame Gesten“ (wie z.B. sich am Kopf zu kratzen) zur Schau stellt, die Gloria kurzerhand verwundert als ihre eigenen wiedererkennt. Sie geht der Sache nach und sieht sich relativ schnell bestätigt: Sobald sie zu genau jener morgendlichen Zeit einen speziellen (mit Holz-Chips ausgelegten) Bereich des Parks betritt, materialisiert sich die (fortan von ihr innerhalb der abgegrenzten Fläche „gelenkte“) Kreatur in Seoul! Diese Entdeckung teilt sie dann auch Oscar, Garth und Joel mit – bzw. demonstriert ihnen das Ganze gleich vor Ort: Nachdem sie es flüchtig für einen „Trick“ halten, können sie es kaum fassen. „Übertragene“ Tanz-Moves Glorias generieren Erheiterung – bis sie mal stürzt und der Kaij? dabei in Südkorea mehrere Häuser unter sich begräbt…

Das Monster ist „echt“ – die Schäden und Toten real – ebenso wie es eine Manifestation ihres Seelenzustands plus Metapher für etwaige Auswirkungen ihrer Alkoholsucht auf sie selbst und die Menschen um sie herum ist. Vigalondo nutzt diesen Ansatz nicht als „Vorwand“, um „Godzilla“-eske Set-Pieces darzureichen – sondern widmet seinen Figuren durchweg die Ton-angebende Aufmerksamkeit. Im Angesicht der verschuldeten Tragödie – „I killed a shitload of people because I was acting like a drunk idiot again!“ – entschließt sich Gloria (endlich) dazu, weniger zu trinken und ihr Leben erneut „auf die Reihe“ zu bekommen. Zwischen ihr und dieses Ziel positioniert sich jedoch plötzlich Oscar, dessen über all die Jahre aufgestauter und angewachsener Frust mit einem Mal „die Oberhand erlangt“: Im Unterricht war sie einst meist besser als er, bevor sie es zu einem tollen Job und Lifestyle in NYC brachte – wogegen er es bis heute nicht „raus geschafft“ hat, privates Glück nie von Dauer war und es auch beruflich bei ihm „eher unbefriedigend“ läuft. Gepaart mit einem Gefühl von Genugtuung, bot ihm ihre Rückkehr (nach ihrem „Scheitern“ anderorts) die Chance, ihr auszuhelfen – denn in gewisser Hinsicht hat er sie schon immer durchaus gemocht…

Als die Vier unverhofft herausfinden, dass Oscar´s Anwesenheit auf dem Spielplatz einen nahezu identischen „Effekt“ hervorbringt – jenes „übernatürliche Phänomen“ also nicht allein nur auf Gloria beschränkt ist – fühlt er sich ihr flugs wiederum „ebenbürtig“ sowie außerdem mit nicht unerheblicher Macht versehen. Im Gegensatz zu ihr verknüpft er das allerdings nicht mit seinen eigenen Problemen – und als sie obendrein auch noch Joel für einen One-Night-Stand auserwählt, lässt er seiner Boshaftigkeit fortan „freien Lauf“; avanciert sozusagen zu ihrem „Nemesis“. Es ist reizvoll, den Komödianten Jason Sudeikis („We're the Millers“) in einer für ihn ungewohnt ernsten, zunehmend „düstereren“ Rolle zu betrachten, welche er an sich prima meistert – doch ist es eindeutig die Ausstrahlung sowie engagierte, Facetten-reiche Performance Anne Hathaways („Les Misérables“), die den Film in einem ansprechenden, markanten Maße „prägt“. Alle übrigen Parts kommen unterdessen auffällig „nachrangig“ und vergleichsweise „unterentwickelt“ daher – unabhängig solider Leistungen von Dan Stevens („the Guest“) und Tim Blake Nelson („the Institute“). Einzig Austin Stowell („Stratton“) verbleibt weitestgehend „blass“ – das aber zumindest im Einklang mit Joel´s Persönlichkeit…

Niemand hier ist einem komplett sympathisch: Sie sind halt „Normalos“ – samt individueller Launen, Laster, Unsicherheiten sowie einzelnen einem negativ auffallenden Charakterzügen. In dem munter zwischen humorvoll und nüchtern-ernst wechselnden Stil Vigalondos eingebettet, ist so manches (á la Gloria´s „verantwortungsvolles Umdenken“ oder Oscar´s „verborgene dunkle Seite“) vorausahnbar – allerdings hält die vergnügliche, ungewöhnliche, bedächtig ausgestaltete Grundidee das Interesse stets aufrecht, ist ein „Augenzwinkern“ wiederholt registrierbar (bspw. wenn bestimmte „Abwegigkeiten“ selbst herausgestellt werden) und bewegt sich alles in einem gut bemessenen Tempo voran. „Suspension of Disbelief“ (u.a. auf das Verhalten der Bewohner Seouls sowie die „Origin-Story“ der Geschöpfe bezogen) ist bei Werken dieser Art ja nichts gerade Seltenes – und gern hätten die satirischen Elemente (siehe dazu nur mal: die „innere Unausgewogenheit“ zweier typischer Amerikaner führt zu sie nicht direkt betreffenden Zerstörungen in einem fernen Land) „gewichtiger“ hervorgehoben werden dürfen – doch sollte man mit dem Skript in der Beziehung auch nicht unnötig hart ins Gericht gehen, meiner Meinung nach…

Gedreht in British Columbia, wirkt das Kleinstadt-Setting im beabsichtigten Sinne „vertraut“ und bietet einen klaren Kontrast zu den Szenen in der nachts von unzähligen Neon-Lichtern erleuchteten südkoreanischen Millionen-Metropole. Cinematographer Eric Kress („Taken 3“) hat die Geschehnisse in zumeist ruhige, übersichtlich arrangierte Bilder gekleidet, der Score Bear McCrearys („the Forest“) erfüllt seinen Zweck ordentlich, die CGI-F/X-Arbeit ist achtbar und das Aussehen der beiden „Kontrahenten“ (Kaij? und Roboter) regt schon ein Stück weit zum Schmunzeln an – das aber ohne ein Resultat „unfreiwilliger Komik“ zu sein. Inspirierterweise widerstand Vigalondo der Versuchung, den sich zuspitzenden Konflikt in einen „großen, konventionellen Action-Showdown“ einmünden zu lassen: Stattdessen wählte er für die finale Konfrontation eine clevere, mit den Inhalten des Films bestens harmonierende Variation des eigentlich Erwarteten. Insgesamt ist „Colossal“ vieles: Eine Geschichte über die Auswirkungen von Alkoholmissbrauch, über Enttäuschungen, Neid, falsche Entscheidungen, unterdrückte Gefühle, Gewissensschuld und Selbstgefälligkeit – vor allem aber eine originell-unterhaltsame dramatisch-amüsante Allegorie mit einer tollen Hauptdarstellerin…

„7 von 10“

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