Review

Die hochschwangere Frau schreitet Richtung Tierfachgeschäft und betritt entschlossen den Verkaufsraum. Sie hat kaum Zeit sich umzusehen, schon steht der Besitzer des auf exotische Tiere spezialisierten Ladens vor ihr, um ihr behilflich zu sein. Sie suche etwas "Spezielles" für ihren achtjährigen Sohn, sagt sie nach ein wenig belangloser Konversation, während ihre Blicke über die zahlreichen Spinnen, Echsen und Schlangen streifen, die in ihren Terrarien stolz zur Schau gestellt sind. Der etwas gruselige Inhaber (da soll nochmal jemand sagen, Tiere färben nicht auf ihr Herrchen bzw. Frauchen ab) ist überzeugt, daß sie hier das Passende finden wird. Als er sich hinabbeugt, um eine prächtige Vogelspinne aus ihrem Terrarium zu holen, ist die Zeit zum Handeln gekommen. Die Frau holt ihr scharfes, verborgen gehaltenes Messer hervor, tritt hinter den nichtsahnenden Mann und schneidet ihm mit einem einzigen tiefen Schnitt die Gurgel durch. Nachdem sie emotionslos zugesehen hat, wie der Mann auf dem Boden sein Leben aushaucht, verläßt sie den exotischen Tierladen wieder und spaziert ruhig davon.

Geburtshelferin: "And at the end of the day you've got this force of nature now inside you. Baby knows what to do. Baby will tell you what to do."
Ruth: "I think she already does."


Die hochschwangere Frau heißt Ruth (Alice Lowe), und sie befindet sich auf einem unbarmherzigen Rachefeldzug. So weit, so gut. Das Besondere daran ist jedoch, daß es gar nicht sie selbst ist, die einige bestimmte Menschen tot sehen will, sondern es ist ihr ungeborenes Baby, welches sie zu den Missetaten anstachelt. Jawohl, der Fötus spricht regelmäßig zu ihr, und er liefert Ruth gute Argumente, daß sie seinen Anweisungen besser Folge leisten sollte. Prevenge ist das "Baby" von Alice Lowe (Co-Autorin und Co-Star der schwarzhumorigen Groteske Sightseers), die sich aufgrund akuten Arbeitsmangels während ihrer Schwangerschaft mal eben ein Drehbuch auf den Leib geschrieben hat und dieses anschließend sogar selbst verfilmte. Der voluminöse Babybauch der Protagonistin (bzw. Antagonistin) ist somit kein Spezialeffekt, sondern echt; Lowe war bei den Dreharbeiten im siebten Monat schwanger. Das verleiht dem Film natürlich eine gewisse Authentizität und macht die auf den ersten Blick absurd erscheinende Handlung etwas glaubwürdiger, zumal man als Zuschauer Ruths Situation nach und nach zu hinterfragen beginnt.

Kann es sein, daß Ruth eine Schraube locker hat und sich das ständige Geplapper des Babys bloß einbildet? Schließlich ist ihre Geburtshelferin (Jo Hartley, Inbred) überzeugt davon, daß mit dem Fötus alles in bester Ordnung ist. Und ein ungeborenes Baby, das auf Rache aus ist, ist nun wirklich nicht alltäglich, selbst wenn es seinen Daddy unter mysteriösen Umständen verloren hat. Aber egal ob real oder nicht, die Wortspenden des (von Lowe mit verstellter Baby-Stimme gesprochenen) Ungeborenen - manchmal surreal, manchmal staubtrocken - sind ein Genuß. Beispiele gefällig?

"Remember who's the mastermind. You wouldn't have done it without me! Would you? Would you?"
"You can't shake me. I'm fury. I'm in you."
"People think babies are sweet. But I’m bitter."
"Loneliness, it's the worst. But, luckily, you'll never be alone because you've got me. Isn't that great?"


Und Alice Lowe bringt diese ungewöhnliche Kommunikation mit ihrer eigenwilligen Mimik perfekt rüber. Überhaupt sind die Dialoge so scharf, spritzig und pointiert, daß man Prevenge seine simple Struktur gerne verzeiht. Im Prinzip besteht der gesamte Streifen aus nicht viel mehr als Ruth, die gewisse Menschen aufspürt, sich an sie heranmacht und sie dann eiskalt ins Jenseits schickt, unterbrochen nur von den Besuchen bei ihrer Geburtshelferin, mit der sie ihre Schwangerschaft inklusive des ganzen Drumherums bespricht. Abwechslung ist also nicht die große Stärke des Films.

Aber langweilig wird es trotzdem nie, weil die Hauptfigur interessant und vielschichtig ist und weil die diversen Murder-Set-Pieces geschickt aufgebaut sind und jeweils mit einem äußerst befriedigenden Payoff ausklingen. Die Mordtableaus mögen kurzgehalten sein, aber sie kommen wuchtig, eruptiv und ziemlich blutig daher. Die handgemachten Spezialeffekte überzeugen ebenso wie die (teils bekannten) Schauspieler in den Opferrollen, welche allesamt unterschiedlich gezeichnet sind, weshalb die Gefühle des Zuschauers zu Ruth immer ambivalenter werden. Ist man anfangs noch klar auf ihrer Seite, so ändert sich dieser Umstand im Laufe des Filmes so sehr, daß man regelrecht hin- und hergerissen ist. Einerseits drückt man ihr die Daumen, andererseits hofft man, sie würde endlich mit der Vergangenheit abschließen und mit dem Morden aufhören, bevor sie noch erwischt wird. Man steckt in einem Dilemma, und dieses Dilemma wird nicht kleiner, wenn man über die mögliche Doppelbödigkeit der Handlung sinniert. Dann nämlich ist ein vermeintlicher Logikfehler gar keiner mehr, und man sieht das Geschehen plötzlich in einem gänzlich anderen Licht.

Prevenge entstand überwiegend on location in London, Cardiff und Pembrokeshire. Auch wenn das Budget offensichtlich knapp und der Film nach ganzen elf Drehtagen bereits im Kasten war, kann sich das Ergebnis mehr als nur sehen lassen. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte einfach, daß der Streifen in zwanzig, dreißig Jahren als Klassiker der 2010er-Jahre gehandelt werden wird. Warum? Nun, Prevenge punktet sowohl mit einer faszinierenden Hauptdarstellerin als auch mit einem erfrischend anderen Blick auf das Wunder der Schwangerschaft, der so gar nicht dem entspricht, was wir sonst üblicherweise (meist von Männern) vorgesetzt bekommen. Der Film ist toll besetzt (u. a. mit Gemma Whelan (The Wolfman) und Kate Dickie (Prometheus)), bietet gut skizzierte, plastische Figuren und beeindruckt mit einer gewagten Balance zwischen Horror, (pechschwarzer) Komödie und Drama. Darüber hinaus ist Prevenge erstklassig photographiert und geschnitten, und auch der (treibende) Elektronik-Score von Pablo Clements, James Griffith und Toydrum paßt zu den Bildern wie die Faust aufs Auge.

Dies alles verleiht dem Film nicht nur eine gewisse Einzigartigkeit, sondern auch ein eigentümliches, schwer in Worte zu fassendes Flair sowie eine sanfte, schleichende Eindringlichkeit, die dafür sorgt, daß sich Prevenge tief im Gedächtnis festsetzt und die Gedanken noch einige Zeit auf Trab hält. Große Klasse!

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