Nachdem der Isländer Baltasar Kormákur ein wenig Luft in Hollywood schnappte, kehrt er wieder in seine nasskalte Heimat zurück und liefert nach „Everest“ einen vergleichsweise bodenständigen Film ab, für den er zugleich in die Hauptrolle schlüpft.
Finnur (Kormákur) ist Herzchirurg in Reykjavik, glücklich in zweiter Ehe verheiratet, nur seine 18jährige Tochter Anna bereitet ihm Sorgen, seit sie mit dem zwielichtigen Óttar liiert ist. Finnur versucht alles, Anna von den Drogen los zu bekommen, doch dann geht er einen Schritt zu weit…
Der Titel bezieht sich auf den hippokratischen Eid, dessen Richtlinien für Mediziner auch heute noch gelten. Und weil Finnur Mediziner ist, mag man sich recht früh ausmalen, dass hier nicht alles im Einklang mit dem Titelgebenden ablaufen wird. Wenn ein Vater durchgreift, muss dies jedoch nicht gleich mit bleihaltiger Action einhergehen, denn Kormákur geht seine Erzählung sehr nüchtern an, verzichtet weitgehend auf emotionale Ausbrüche und konzentriert sich voll auf die Hauptfigur, während die Nebenfiguren leider ein wenig blass bleiben, insbesondere die weiblichen Figuren.
Dennoch ist dieser Finnur ein nachvollziehbarer Typ. Als Arzt Perfektionist, in seiner Freizeit ein zielstrebiger Sportler, als Familienvater fürsorglich und liebevoll, im Fall von Anna schießt er jedoch übers Ziel hinaus, wobei neben Kontrollverlust und Gerechtigkeitssinn immer die moralische Komponente mitschwingt: Wie weit geht man als Vater und wie weit als Mediziner? Ab wann werden Grenzen von Ethik und Moral überschritten? Ab wann gibt es kein zurück?
In dieses Dilemma katapultiert sich Finnur recht langsam, Stufe für Stufe hinein und obgleich die Polizei recht früh involviert ist, versagt diese in den entscheidenden Momenten, um die Spirale der Gewalt zu beenden. Derweil trifft es den Familienvater von allen Seiten, als es zu Komplikationen bei einem Routineeingriff kommt, der Geburtstag der kleinen Tochter fast vergessen wird und anbei ein „Projekt“ aus dem Ruder zu laufen droht.
Kormákur hat sich die Hauptfigur recht passend auf den Leib geschneidert, allerdings performt er auch sehr überzeugend und mit vielen Nuancen, welche sichtbar werden lassen, wie ambivalent sein Finnur handelt, obgleich er sich nach außen hin kaum etwas anmerken lässt. Dabei kommt die unterkühlte Umgebung treffend zur Geltung, mithilfe einiger gekonnter Luftaufnahmen wird die raue Wirklichkeit immer wieder in Einklang mit der latent bedrückenden Atmosphäre gebracht, untermalt von einem angenehm zurückhaltenden Score mit leisen Tönen.
Insofern benötigt der Streifen kein Actionfeuerwerk, aber auch keine Foltermaschinerie, um die beinahe alltäglich wirkenden Probleme eines Familienvaters auf den Punkt zu bringen.
Sauber performt, handwerklich ohne Tadel, ist der Streifen mit 114 Minuten Laufzeit zwar ein wenig lang ausgefallen und manche Begebenheit kommt arg konventionell daher, doch insgesamt ergibt sich eine gelungene und unterhaltsame Mischung aus Psychogramm und Krimi.
7 von 10