kurz angerissen*
Die formlose, unvoreingenommene Definition des Golem aus der jüdischen Mythologie steht in „The Limehouse Golem“ sinnbildlich für das Whodunit, das passionierte Knobler seit den jungen Jahren Sherlock Holmes' beschäftigt und hier bis aufs Letzte ausgekostet wird. Der Aspekt des Rätselratens, wer zu den brutalen Taten imstande sein könnte, genießt eindeutig Priorität vor allem anderen, denn für den Lustgewinn an diesem Spiel werden viele Dinge in Bewegung gesetzt. So wird die unbestimmte Gestalt per Rückblende beispielsweise immer wieder in Person unterschiedlichster Verdächtiger dargestellt, was angesichts der antiquierten Alternative, einen flüchtigen Schatten am Werk zu zeigen, eine erfrischende Entscheidung darstellt.
Inszenatorisch ist dieser historische Krimi-Horrorthriller ebenso klassisch und gelassen wie spannend geraten. Man könnte ihm natürlich vorwerfen, einfach nur die aquarellgrüne Variante des feuerroten „From Hell“ (2001) zu sein, doch wie viele Filme dieser Machart gibt es denn schon, dass man einen solchen Vorwurf gelten lassen müsste?
An Bill Nighy (der ursprünglich geplante Alan Rickman hätte sicherlich auch wunderbar gepasst) lässt sich schön ablesen, was an „The Limehouse Golem“ gut funktioniert: Sein Inspektor ist eine Figur mit tradierter Anlage, die vom Lauf der Ereignisse ebenso durchgeschüttelt wird wie der Zuschauer und der man wegen ihrer emotionalen Investition in den Fall viel Empathie entgegenbringt. Dass er in der ein oder anderen Weise scheitern muss, ist ihm bereits bei seinem ersten Auftritt in die Stirn eingraviert. Dem Zuschauer wird also Althergebrachtes geboten, das sich mit der elegant fotografierten viktorianischen Kulisse ergänzt, was es erlaubt, schnell und tief in die Atmosphäre einzutauchen.
Altbacken wirkt die Erzählung dennoch nicht, weil Drehbuchautorin Jane Goldman mit reizvollen Schauplatzwechseln arbeitet und Regisseur Juan Carlos Medina diese zu tempo- und kontrastreichen Abläufen modelliert. Die selbst als verzweifelte Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft noch quirlige Olivia Cooke („Bates Motel“) erweist sich für diese Bemühungen als idealer Host und harmoniert mit dem gefasst bis introvertiert spielenden Nighy überdies ausgesprochen gut. Von Legenden und Mythen abgesehen werden außerdem gesellschaftliche Missstände aufgegriffen und feinmaschig in die Genre-Gewerke eingebunden. Kurzum, über weite Strecken ist „The Limehouse Golem“ eine sehr runde Angelegenheit.
Läge eben nicht der Schatten der unvermeidlichen Auflösung über dem gesamten Plot. Das gezielte Hinarbeiten auf eine Wendung setzt den Überraschungseffekt auf den Spiel. Nicht, dass dieser einen allzu hohen Stellenwert zugesprochen bekommen sollte, aber er geht einher mit konstruierten Elementen des Plots, die sich aus der radikalen Betonung von Unwahrscheinlichkeiten ergeben. Die Anerkennung, die sich der Film durch seine austarierte Erzählkunst über zwei Drittel hinweg verdient, büßt er schlussendlich zum Teil wieder ein. Der „Golem“ als Bildnis für die stumpfe Gewalt als ungelöstes Mysterium bleibt aber ein reizvolles Konzept, das in dieser klassisch, aber schwungvoll erzählten Geschichte über weite Strecken gut zur Geltung kommt.
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