„Zielbohrung"
Manchmal genügt es schlicht den Fokus auf das Wesentliche zu richten, um die maximale Wirkung zu erzielen. Für die Männer auf der Öl-Bohrinsel „Deepwater Horizon" ging es bei dem verheerenden Unglück im April 2010 um nichts weniger als das nackte Überleben. Weder die Verantwortung der geldgierigen Konzernspitze von BP, noch die aus den Explosionen resultierenden, katastrophalen Umweltschäden spielten in diesem Augenblick eine Rolle. Über 120 Mann Besatzung interessierte nur eines: wie entkommen wir der brennenden Todesfalle?
Regisseur Peter Berg ist genau der Richtige für eine solche Verdichtung, gilt er doch als ausgewiesener Spezialist für zeitgenössische Leben-und-Tod-Szenarien des vornehmlich US-amerikanischen Normalos. Ob FBI-Agenten im Krieg gegen den Terror („Operation Kingdom"), Navy SEALs im Kampf gegen die Taliban („Lone Survivor"), oder wie jüngst Cops auf der Jagd nach den Attentätern des Boston Marathons von 2013 („Boston"), stets interessiert sich Berg besonders für die physischen und psychischen Auswirkungen dieser Extremsituationen auf die an vorderster Front kämpfenden Amerikaner.
In „Deepwater Horizon" sind dies vor allem Chef-Techniker Mike Williams und Projektleiter Jimmy Harrell. Mark Wahlberg und Kurt Russell leihen den realen Personen ihre kernige, zupackende und grundehrliche Ausstrahlung und sind damit prädestiniert für Bergs zentrale Intention: den Männern der Deepwater Horizon ein Denkmal an Tatkraft, Opferbereitschaft, Überlebenswillen und Heldenmut zu setzen. Dass dies ohne überbordendes Pathos gelingt, ist die spezielle Note Bergs, dem dieses Kunststück schon mehrfach gelang. Diesmal umschifft er auch souverän die Märtyrer-Falle, in die er bei „Lone Survivor" noch so forsch hinein marschiert war.
Der entscheidende Vorteil, wenn man über Darsteller wie Wahlberg und Russell verfügt, ist, dass man sich gar nicht lange mit Hintergründen und Umfeld der Figuren aufhalten muss, um die benötigte Empathie aufzubauen. Die Kerle sind einem von Beginn an sympathisch und erstaunlich vertraut. Da bleibt dann genügend Zeit, um die komplizierten Abläufe auf der Öl-Plattform einigermaßen massentauglich zu erklären sowie die nähere Umgebung der späteren Katastrophe zu beleuchten.
Ähnlich ökonomisch und zielgerichtet verfährt Berg mit der Gegenseite. Was Russell und Wahlberg für den Good Guy-Faktor bewirken, liefert John Malcovich für den Schurkenpart. Malcovich erschafft mit wenigen Blicken, Gesten und seinem berühmten, diabolischen Grinsen binnen weniger Minuten einen hassenswerten Bösewicht, ohne dass ihm dabei das Skript in bräsigen Erklärungen unter die Arme greifen müsste. Als Manager Donald Vidrine steht er stellvertretend für den ebenso geldgierigen wie skrupellosen Öl-Multi BP, der trotz mehrfacher Warnungen der Techniker auf Sicherheitsbohrungen verzichtet, um im bereits überzogenen Zeitplan nicht noch weiter zurück zu fallen.
Damit ist die Lunte gelegt für ein apokalyptisches Action-Inferno, wie es in Wucht und Intensität lange nicht mehr zu sehen war. Berg hat sich nicht nur hinsichtlich des genauen Hergangs Rat und Unterstützung bei Überlebenden der Katastrophe geholt, sondern auch bei Ausstattung und Setting akribisch auf Authentizität gepocht. So lies er z.B. die gesamte Plattform der Deepwater mitsamt Aufbauten im Maßstab 1:1 aufbauen. Selbst kleinste Details bei Werkzeugen, technischen Anlagen und Arbeitsabläufen hielten der Überprüfung durch Experten stand. So entsteht ein ultrarealistischer Einblick in die Arbeit auf einer Öl-Bohrinsel, der dann das folgende Desaster umso glaubwürdiger und unmittelbarer macht.
Als das Chaos dann schließlich im letzten Filmdrittel über die Deepwater hereinbricht, spielt Berg sein zweites, bewährtes Inszenierungs-As: den audio-visuellen Overkill. In einer perfekten Symbiose aus Ton-, Computer- und Pyrotechnik-Effekten entfesselt er ein infernalisches Katastrophen-Feuerwerk, das einen förmlich wegpustet. Wahlberg dient dabei als Indentifikationsfixpunkt und emotionaler Fels in der Brandung, der den gleichermaßen schockierten wie faszinierten Zuschauer an der Hand nimmt und sicher durch die Feuersbrunst leitet. Am Ende ist man genauso froh wie die Geretteten, die Feuerhölle einigermaßen glimpflich überstanden zu haben. Jeder Cent des stolzen 120 Millionen Dollar Budgets wurde hier gewinnbringend angelegt, die Oscarnominierungen für „Visual Effects" und „Sound Design" die logische Folge.
Kritik gab es vornehmlich aus Europa. Berg habe die verheerenden Umweltschäden der Katastrophe nur beiläufig abgehandelt und sich einzig und allein auf den heroischen Überlebenskampf der Arbeiter konzentriert. Auch die Verantwortung des fördernden Öl-Multis sei nur oberflächlich angerissen und unzureichend thematisiert worden. Vorwürfe, die weitestgehend ins Leere zielen, weil sie an Bergs Intentionen vorbei laufen und ihm zu Unrecht eine falsche Schwerpunktsetzung unterstellen. „Deepwater Horizon" schildert das Unglück aus Sicht des unmittelbar erlebenden und beteiligten Personals. Die Explosion und der Untergang der Ölbohrinsel hatten Ursachen und Folgen, keine Frage. Im Moment und totalem Chaos des Unglücks interessierte beides allerdings herzlich wenig. Und genau diese enge Fokussierung macht Bergs Film zu einem der packendsten und spektakulärsten Katastrophenfilme des Genres.