Die Todesstrafe ist nicht nur als Filmstoff ein Thema, das undurchdringliche Tiefen birgt. Der Wert des Lebens und die Irreversibilität des Todes sind klassische Argumentationsentfacher, wie sie im Lehrbuch stehen, die Vergeltung des Tötens mit dem Tod ein Reizthema, bei dem die Masse gespalten wird wie kaum woanders. Es versteht sich von selbst, dass Filmemacher immer wieder hierauf zurückkommen, garantiert dies doch ein Höchstmaß an dramaturgischem Potenzial schon aus sich selbst heraus. Für das Drama ist demnach eigentlich fast automatisch gesorgt; diesen Vorteil hat auch Alan Parker auf seiner Seite, dem das Skript zur fiktiven Geschichte des David Gale von Nicolas Cage herangetragen wurde, der eigentlich vor Kevin Spacey für die Hauptrolle angedacht war.
Der mehrfach oscarnominierte Parker ist auch mitnichten das Problem, das dieser Film unübersehbar hat, genauso wenig wie der Rest des Casts eines darstellt. Allen voran Kevin Spacey gibt einmal mehr eine gewohnt hervorragende Leistung zum Besten, die dem Charakter so unglaublich viel Persönlichkeit verleiht, dass das ganze Projekt ohne Hintergrundkenntnisse im Grunde wie ein Biopic herüberkommt. David Gale hat gelebt, das ist der überzeugende Eindruck, den man nach diesen zwei Stunden hat. Das vermittelt nicht nur Spacey, der mit der ihm eigenen leicht zynischen Spielweise seiner Figur gemäß der Genrezuteilung auch ein relativ undurchschaubares Gesamtbild verleiht. Es wird auch von Parker veranschaulicht, der die Handlung sehr souverän an einem Rückblendenkonstrukt aufzieht, ja fast schon zu souverän, denn am Ende fehlen sogar ein wenig die inszenatorischen Improvisationen. Dennoch ist dem Werk technisch nichts anzuhaben, denn die Professionalität steht in keiner Filmminute in Frage. Spacey steht dann mit Kate Winslet und vor allem Laura Linney auch noch ein hervorragender Supportcast zur Seite, der “Das Leben des David Gale” auch schauspielerisch vollkommen macht, auch wenn es in Winslets Leistung hin und wieder Momente gibt, in denen man glaubt, eine andere Schauspielerin hätte die Rolle glaubwürdiger spielen können - womöglich die ursprünglich angedachte Nicole Kidman (die ich allerdings im Allgemeinen für überschätzt halte) oder sogar Linney selbst, wäre die nicht schon in der deutlich kleineren Rolle der Constance Harraway zu sehen.
Problematisch wird es leider beim Drehbuch von Charles Randolph, das bezüglich des Themas Todesstrafe derart einfallslos und insgesamt so klischeeverseucht ist, dass es den Film in einen drögen Mix aus philosophierendem Hinrichtungsdrama und effekthascherischem, künstlich gepacetem Thriller lenkt. Diesen Mix inszeniert Parker zwar sehr gut, nur leider ist er in sich schon so gehaltlos, dass er in Gesellschaft von “Dead Man Walking” und “The Green Mile”, die sich wirklich tiefgehend mit der Materie beschäftigt haben und beim Zuschauer auch weiterführende Gedanken provozierten, ganz klein aussieht. “Das Leben des David Gale” könnte eine John Grisham-Verfilmung sein - mit dem Unterschied, dass die Grisham-Filme einen deutlich geringeren Anspruch haben und diesen auch klar signalisieren.
Kurioserweise versucht der vorliegende Film aber genau das auch in dem Wissen, dass er nicht gerade die Klischees umschifft, sondern mitten hindurchsteuert. So werden sie dann einfach auch mal beim Namen genannt von einer Studentin, die ihrem Professoren den beliebten Deal “Sex gegen eine Eins” vorschlägt. Im ersten Augenblick ist man positiv überrascht über diesen kleinen selbstironischen Bruch, zumal man die Klischees sich bereits deutlich formieren sah... doch dann erinnert man sich an das propagierte Filmziel und denkt: Moment mal! Sollte ein solcher Film überhaupt in die Lage kommen, derartige Selbstironie ins Spiel zu bringen? Als Antwort muss zweifellos ein Kopfschütteln erfolgen, denn es harmoniert einfach nicht mit der ursprünglichen Prämisse.
So wirken Figuren wie die komödiantische Gothic-Bewohnerin des Mord-Hauses ebenso fehl am Platz wie diverse Situationen - wie die auf der Party - und gewisse Dialogsequenzen. Da gerade die (klischeehaften) Situationen und (vorhersehbaren) Dialoge den Plot vorantreiben, kulminiert der irgendwann zur hochdramatischen wie unglaubwürdigen Thrillerhatz, die den Faktor Zeit (Stichwort: Autopanne) bis ins Absurde ausreizt und endgültig das als Fiktion entlarvt, was mancher bis dahin vielleicht noch als wahre Geschichte betrachtet hat. Darüber hinaus ist der komplette Handlungsverlauf auch noch auf nicht nur einen, sondern gleich zwei Plottwists ausgelegt, wovon mindestens der zweite außerordentlich vorhersehbar ist. Dass schon zu Anfang - geschickt, wie man aber nur bei einem waschechten Thriller konstatieren müsste - das hochdramatische Finale und die darauffolgenden Twists vorbereitet werden (wieder Stichwort Autopanne) und der ganze Streifen wie eine Art langgezogener Countdown aufzufassen ist, bei dem einer Profilerin (hier Kate Winslet) stückweise ein paar Teile des Puzzles zugeworfen werden, das sie zu entziffern hat wie in der mittelmäßigen Folge einer Thriller-TV-Serie, das alles ist schrecklich kontraproduktiv für das eigentliche Thema Todesstrafe und das Sinnieren über dieses. Die Thrilleraspekte, obendrein ansonsten nicht einmal besonders gut durchdacht, verhindern einfach jegliche Auseinandersetzung mit den Pro- und Contra-Argumenten zur Todesstrafe. Der Film bezieht keine Stellung, aber nicht etwa, weil er dies nicht will, sondern weil er es nicht kann.
Ausnahmen bestätigen sicherlich die Regel, und so erfreut beispielsweise das TV-Duell, in dem Gale ganz fiese rhetorische Tricks gegen seinen Opponenten einsetzt, und auch die Momente zwischen Spacey und Linney sind manchmal rührend anzusehen. Doch im Allgemeinen läuft die Idee, so interessant sie sich im Vorfeld und dann auch nach Auflösung des Twists auch anhören mag, ins Leere, denn was genau wird mit der ganzen Aktion überhaupt bezweckt? Im Film wird es ja mitunter sogar angedeutet (siehe erstes Interview eines Befürworters der Todesstrafe nach Auflösung des Plottwists): Medien, Parteien und Gegenparteien zeigen sich doch im Endeffekt vollkommen unbeeinflusst gegen die Vorgänge, aus denen die Filmhandlung besteht - das walzt sich auch auf den Zuschauer nieder, der nicht erreicht wird, so paradox die Situation sich auch anhören mag, dass ein Gegner der Todesstrafe im Gefängnis sitzt und auf seine Hinrichtung wartet. Ein Film wie “The Green Mile” vermag es, mit einer deutlich weniger vertrackten Konstellation, ja sogar mit simplen Gut-Böse-Polen viel tiefer in die Materie einzutauchen.
Bleibt zu sagen, dass das “Leben des David Gale” technisch wie schauspielerisch zwar eine grundsolide Sache geworden ist, inhaltlich aber kaum überzeugen kann. Das liegt primär daran, dass versucht wird, über Thrillerelemente zum Nachdenken über das Paradoxon der Todesstrafe anzuregen. Leider funktioniert dieser Ansatz nicht, weil Randolphs Skript sich zu vieler Typenzeichnungen bedient, die dem Realismus zuwiderlaufen, der vom Filmtitel ebenso suggeriert wird wie von der eigentlichen Rahmenhandlung. Nicht uninteressant und durch die guten Schauspielleistungen kaum langweilig, aber im Grunde weder als Drama noch als Thriller so recht zu gebrauchen.