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Ist die Katze in der Box tot oder lebendig? Womit Schrödinger einst die Physik erschütterte, damit lässt sich auch darlegen, wie der Women-in-Prison-Film eine vollwertige Subgenre-Abzweigung im Exploitation-Baum nehmen konnte. Schließlich ist auch das Frauengefängnis von außen betrachtet eine Art Box, eine Black Box sozusagen, bei der man weiß, dass in ihr bestimmte Zustände herrschen, ohne jedoch zu wissen, welche genau. Die Fantasie, zumeist eine solche männlichen Ursprungs, übernimmt dann die Aufgabe, die Wissenslücken zu füllen. Sie geht dabei von einer versteinerten Norm des Gefängnisfilms aus, in der Männer die Hauptrolle spielen und dabei männliche Dinge tun, überträgt sie auf das weibliche Geschlecht, lässt dabei Wunschgedanken einspielen… und erzeugt so einen filmischen Mikrokosmos aus Vorurteilen und Vorlieben, der sich im Laufe der Jahre zum eigenen Subgenre der Exploitation verdichtet hat.

Schrödingers Katze hat in „Reform School Girls“ in gewisser Weise tatsächlich sogar einen kleinen On-Screen-Auftritt. In einer Szene auf einem Ackerland, die in ihrem Ablauf an alte Filme über Sklaven mit schwarzweißen Uniformen und Eisenkugeln auf Baumwollfeldern erinnert, versteckt eine der Arbeiterinnen ein streunendes Kätzchen in ihrem Hemd und schmuggelt sie nach erledigter Arbeit ins Gefängnis, wo sie jedes Mal in einer kleinen Kiste versteckt wird, wenn die tyrannische Aufseherin erscheint. „The last thing we need around the dorm is another pussy“, feixt eine der anderen Gefangenen und liefert damit einen der vielen Hinweise darauf, dass sie alle nur Abziehbilder in einer Fiktion sind, die man als parodistisches Konzentrat des WIP-Films bezeichnen könnte – ein Handlungsgerüst, das sich durch die Verkettung sämtlicher Klischees definiert, mit denen man das Subgenre assoziiert.

Tom DeSimone war auf dem Regiestuhl während der Dreharbeiten vermutlich hauptsächlich damit beschäftigt, eine Checkliste mit Häkchen zu versehen, denn die Déjà-Vus der Vorbilder quellen regelrecht aus jedem einzelnen Take. Gemeinschaftsduschen, Körperinspektionen, Rudelbildungen, Bitch Slaps und Cat Fights, Luftküsse und Posen, Aufstände und Unterdrückungen, sogar Essensschlachten stehen auf der Agenda. In jedem Quadratzentimeter von Sybil Dannings stocksteifer Uniform (selbstredend in der Rolle der Direktorin) lebt die Naziploitation fort, während Warhol-Muse Pat Ast mit knautschig verzogener, vor Arroganz triefender Miene das sadistische Teufelswerk fortführt, das Darstellerinnen wie Ida Lupino („Revolte im Frauenzuchthaus“, 1955) oder Sheila Keith („Haus der Peitschen“, 1974) einst auf den Weg brachten. Als Krönung mischt in diesem Wasserglassturm der Anarchie dann auch noch Punk-Ikone Wendy O.Williams mit, die als überhebliche Knast-Queen ganz in Tradition von Barbara Luna in „Mädchen hinter Gittern“ (1982) steht, einer Rolle also aus einem weiteren Frauengefängnisfilm von DeSimone, der sich auch bereits 1972 mit „Prison Girls“ in dem Subgenre orientierte und somit wohl vierzehn Jahre später wohl durchaus wusste, womit er da jonglierte.

Und da wir uns nun mitten in den 80ern befinden, liegt über allem noch der Schleier dieser schrillen Graffiti-Pop-Art der MTV-Ära. Als die Hauptfiguren in den Schlafsaal geführt werden, glaubt man, die Kulisse für ein Glam-Punk-Musikvideo zu betreten, die Einstellung überladen mit halbnackten Insassinnen und riesigen Dauerwellen, die beinahe die Hälfte der Gesamtkörpergröße ausmachen. Mit der leicht untersetzten, muskulösen Denise Gordy und den Charaktervisagen von Ast und Williams verfolgt nicht nur das Casting einen karikaturistischen Ton, sondern auch die Regieführung, denn die Darstellerinnen werden sichtbar dazu aufgefordert, ihre jeweiligen Charakterzüge mit besonders auffälligen Grimassen auszukosten, was vor allem bei Ast und Williams zu teils absurden Gesichtsverrenkungen führt, die nur im dadaistischen Sinne noch etwas mit Schauspiel zu tun haben. Die oft aus leichter Unterwäsche bestehende Häftlingskleidung trägt in Kombination mit den gestellten Posen der Damen zusätzlich dazu bei, dass man sich wie in einem Comic fühlt, in dem die gezeichneten Objekte jeweils aus den Panels springen; von der Uniformität, die in seriösen Gefängnisdramen den Zuschnitt bestimmt, ist weit und breit nichts zu sehen. Durch das radikale Aufbrechen von Rastern werden hier effektiv zugleich Gender-Stereotype aufgebrochen und doch auf primitiver Ebene gewisse Fetische bedient – ein Paradoxon, das dem WIP-Film auch ganz allgemein zu eigen ist.

Um so erstaunlicher, dass sich trotzdem immer wieder ernste Züge ins Skript mischen, obgleich DeSimone in den wenigen nicht-pornografischen Spielfilmen, die er bis dahin gedreht hatte, immer wieder Tendenzen zeigte, seine Sujets durchaus ernst zu nehmen, selbst wenn sie dem Wesen nach eher unernst waren. Hier nun ist es vor allem die Hintergrundgeschichte der grauen Maus (Sherri Stoner als Lisa), die zu Herzen geht, auch gerade weil mit Charlotte McGinnis auf Seiten der Gefängnisleitung eine Sympathieträgerin vorhanden ist, die ein Ohr für die Probleme der Mädchen hat und sich, angesichts der Leinwandpräsenz von Danning und Ast natürlich zunächst erfolglos, gegen die verkommene Obrigkeit auflehnt. Besonders erkenntnisreich fällt in diesem Zusammenhang auch die Darstellung der wenigen männlichen Rollen aus, vor allem in den Szenen rund um einen Truckfahrer, denn hier treibt das Schicksal ein perfides Spiel mit den Hoffnungen der Hauptfigur – eine Szene, die von Linda Carol und James Staszkiel nuanciert genug dargeboten wird, um sich auch für ein höherwertiges Drama zu qualifizieren.

Natürlich gerät durch derartige Ausflüge ins Dramatische und generell ins Ambitionierte auch ein wenig der Gesamtton ins Schwanken, so dass nach halber Laufzeit nach dem eigentlichen Ziel oder der Identität des Films gefragt werden muss. „Reform School Girls“ karikiert bis dahin mit kräftigem Strich alles, was zur Entstehung des WIP-Films beigetragen hat, doch als er mit dieser Übung durch ist, steht er halb verrichteter Dinge da. Gewissermaßen wird in einem Schwung sogar die Welle der High-School- und Erziehungsdramen vorbereitet, die sich 1987 mit „Der Prinzipal“ aufbäumte und in den 90ern mit „Dangerous Minds“ und „187“ ihren Höhepunkt erreichte, doch scheinen solche Ansätze kaum mehr als Zufallsprodukte bei der ziellosen Suche nach einem pointierten Abschluss zu sein. Im Vergleich mit typischen No-Budget-Streifen wiederum, die sich solche Ziellosigkeit erlauben konnten, sieht die Produktion dann doch wieder zu hochwertig aus.

Und so beschloss man wohl, sich mit einem explosiven Finale zu retten. Immerhin können hier nun endlich ein paar Zeitbomben gezündet werden, die man über die gesamte Laufzeit bereits ticken hörte. Hilfreich dabei ist unter anderem eine Armee wütender Häftlinge auf dem nächtlichen Gefängnishof, ein brennender Aufsichtsturm und eine Wendy O. Williams, die auf dem Dach eines rasenden Lastwagens Richtung Turm unterwegs ist. Durchaus überdurchschnittliche Schauwerte für einen Streifen dieser Sorte.

Mit einer solchen Mischung hat schon manch einer lupenreinen Kult erschaffen; im Fall von „Reform School Girls“ ist eine solche Definition zumindest diskutabel, aber es ist immerhin ein WIP-Kondensat entstanden, das man als Pflichtprogramm bezeichnen kann, wenn es um die Reflektion des Themas bzw. Settings geht. Es wird nicht endgültig geklärt, wie es nun um die Gesundheit von Schrödingers Katze steht; dafür schwenkt die Kamera nicht genug auf die Wahrheit und bleibt lieber bei den Karikaturen verhaftet. Aber das Experiment wird anschaulich genug erklärt, damit man reichlich Spaß beim Lernen hat.

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