Der Todesengel (1971) (Originaltitel: "La Vittima Designata")
Spoiler: ja, ein wenig
"Wenn du in den Spiegel siehst wirst du in Zukunft auch mein Gesicht sehen, denn ich bin dein wahrer Bruder! Ich habe getan wovon du nur geträumt hast, ich bin das Werkzeug das deinen Willen ausführt!" (Graf Matteo Tiepolo)
Der Italiener Maurizio Lucidi, der mir bis dato rein gar nichts sagte, führte Regie und war zudem am Storywriting beteiligt. Behilflich war ihm dabei unter anderem Aldo Lado, der im selben Jahr,1971, seinerseits den in Gialli-Fankreisen offensichtlich sehr geschätzten Film "Malastrana" als Regisseur in Szene setzte.
Stefano Augenti (Tomas Milian), Leiter der Werbeagentur seiner verbitterten Frau, hat eigentlich die Nase voll von seiner Ehe und möchte lieber mit seiner heimlichen Geliebten Fabiàne durchbrennen. Leider fehlt ihm dazu aber das nötige Kleingeld. Die Firmenanteile die er gerne veräußern möchte gehören seiner Frau, und diese ist absolut nicht mit einem Verkauf einverstanden und schon gar nicht um ihm damit ein sorgenfreies Leben zu bescheren. Statt dessen läßt sie ihren Mann bei jeder Gelegenheit wissen das Er ohne Sie nichts darstellt und sie ihn schon gar nicht mehr liebt. Als Stefano mit seiner Geliebten gerade heimlicherweise in Venedig verweilt, trifft er an einem kleinen Schmuckstand auf den extrovertierten Grafen Matteo Tiepolo (Pierre Clementi). Beide hegen zwar Interesse an einer Kette mit einer großen "12" daran, sind aber ansonsten grundverschieden. Der Graf überläßt die Kette Stefano und zieht von dannen. Interessant an dieser Stelle das die 12 z.B. in der christlichen Mythologie das Symbol für eine göttliche Begegnung ist und in der jüdischen Mystik, der Kabbala, aus der 1 und der 2 besteht, zwei Zahlen die gegensätzliche "Prinzipien" vertreten und sich in der Quersumme, der 3, zu etwas "Höherem" vereinen. Sind doch beide Film-Charaktere grundverschiedene Typen und sind scheinbar auch nach einiger Zeit bereit sich zu etwas "Höherem" zu vereinen. Denn als Stefano immer wieder scheinbar zufällig auf den Grafen Matteo trifft, offeriert dieser ihm schlussendlich folgenden "Deal":
Ich töte deine Frau und du kannst endlich dein gewünschtes Leben leben, wenn du dafür meinen gehassten und mich unterdrückenden Bruder aus der Welt der Lebenden entfernst!
Für Stefano ist dies allerdings zunächst keine Option, er versucht sich lieber darin die Unterschrift seiner Frau zu fälschen um doch noch irgendwie die Firmenanteile der Werbeagentur gewinnbringend verkaufen zu können. Leider durchkreuzt der Graf seine Pläne, führt seinen Teil des "tödlichen Deals" aus, verwickelt Stefano in ein perfides "Psychospielchen" und läßt ihn als Verdächtigen dastehen. Dieser wird nun nicht nur von der ermittelnden Polizei unter Druck gesetzt sondern zeitgleich fordert der omnipräsente Graf Matteo unter Zuhilfenahme einiger zurückgehaltener Beweismittel vom Tatort, die Stefano entlasten könnten, dass auch dieser nun seinen Teil der "Abmachung" in die Tat umsetzt ... Zeit Entscheidungen zu treffen und zu handeln...für Stefano!
Die Story mag zunächst stark an Patricia Highsmiths Buch "Zwei Fremde im Zug" erinnern, schlägt allerdings im weiteren Verlauf eine komplett andere Richtung ein. Der Film ist über die gesamte Strecke sehr ruhig, blutleer und komplett actionarm inszeniert, kann dafür im Bereich "sich stets steigernde subtile Spannung" punkten.
Eindrucksvolle mailändische und venezianische Impressionen nebst symbolträchtiger Filmsprache (u.a. die Zahl 12, Maus, die Farbe rot) wissen ebenso zu gefallen und lassen den Film über die ganze Spielzeit in Schwermut und Melancholie eintauchen. Die Kirchendachszene wurde nebenbei auf einer der 2 venezianischen Votivkirchen, - Kirchen die z.B. erbaut wurden als Zeichen des Dankes für die Rettung aus einer Notlage, in diesem Falle war der Erbauungsgrund die Pest die 1630 fast ein Drittel der Gesamteinwohnerzahl Venedigs dahinraffte - der barocken Kirche "Santa Maria della Salute" gedreht. Diese wiederum befindet sich seit ihrer Fertigstellung 1687 am Eingang des Canale Grande.
Um die musikalische Vertonung kümmerte sich Luis Enríquez Bacalov, ein argentinischer Filmkomponist, der seine Karriere in Italien begann und langjähriger Freund von Ennio Morricone ist, was man meiner Meinung nach auch hier und da heraushören kann. Ich wurde musikalisch z.B. das ein oder andere Mal an die Serie "Allein gegen die Mafia" erinnert, dort war bekanntlich Morricone für den Großteil des Scores zuständig. Bacalov dürfte einigen ein Begriff sein, vertonte er doch bereits in den 1960er Jahren diverse Djangofilme und erhielt 1996 für die Filmmusik zu "Der Postmann" den Oscar, obwohl für diesen Film eigentlich erst Morricone als "Filmvertoner" angedacht war. Auch Tarantino ließ es sich nicht nehmen einige Stücke von Bacalov für seine Filme "Kill Bill" und "Django unchained" auszuleihen.
Die New Trolls waren im Todesengel ebenso muskalisch aktiv, eine grandiose Mischung aus frühen Rock und Classicelementen, deren 71er Album "Concerto Grosso per I New Trolls" noch heute zu den wichtigsten italienischen Releases in Sachen "Italien Progressiv Rock" zählt und von Luis Enriquez Bacalov wiederum arrangiert wurde. Puuh, gerade noch "zu" bekommen den Kreis.
Darstellerisch können hier neben Luigi Casselato als Commissario Finzi, natürlich vor allem Tomas Milian als eher zurückhaltender und ruhiger Zeitgenosse Stefano und Pierre Clémenti als leicht tuntiger, dekadenter und "raumeinnehmender" Graf mit Hang zum Overacting überzeugen. Diese beiden "Kontrahenten" tragen den Film auch im Grunde in darstellerischer Hinsicht alleine und ergänzen sich hervorragend.
Trotz aller ruhiger Bedächtigkeit und genreuntypischer "Blut- und Nackthautarmut" ist Maurizio Lucini ein durchaus intensiver und vor allem stringenter "eher Thriller denn Giallo" gelungen der in einem "pointenreichen" Finale mündet. So vermag es der Film sogar nach dem Abspann noch gedanklich zu fesseln, gibt doch das Ende genug Interpretationsmöglichkeiten und läßt einige Vorkommnisse im Film in einem anderen Licht erscheinen... oder doch nicht? Findet es selbst heraus!
Mehr als positiv überrascht kann ich diesen Film auch, oder gerade "Nicht-Gialli-Fans" nur empfehlen!
Atmosphärisch-spannende 9 von 10