„Der Krieg macht Leichen aus uns allen!“
2002, also ein Jahr, nachdem der neuseeländische Regisseur Peter Jackson („Bad Taste“, „Braindead“) die erste Realverfilmung des „Der Herr der Ringe“-Fantasy-Zyklus des britischen Autors John Ronald Reuel Tolkien veröffentlichte, erschien der zweite Teil der Trilogie, „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“. Gedreht wurden alle drei Teile im Zeitraum 1999 bis 2001; ein Mammutprojekt, das als solches in die Filmgeschichte einging.
Nun zähle ich zu derjenigen Klientel, die man zum Ansehen dieser Filme erst überreden muss. Als bekennender Nicht-Fantasy-Fan habe ich nie eines der Bücher Tolkiens gelesen und bin dementsprechend wenig mit der Geschichte vertraut, habe aber den Vorteil, unvoreingenommen an die Filme herangehen zu können. Die Sichtung des ersten Teils liegt bereits ein paar Jahre zurück, die Erinnerung an ihn ist verschwommen. Trotz einer kurzen Rückblende zu Beginn dieser Fortsetzung lässt man die Vorgänge aus dem ersten Teil, „Der Herr der Ringe: Die Gefährten“, nicht Revue passieren, so dass es schwerfällt, wieder in die Thematik einzusteigen. Es geht also um diesen Ring, hinter dem alle her sind, die verschiedensten Charaktere unterschiedlicher Rassen von Bewohnern der „Mittelerde“ balgen sich um das machtversprechende gute Stück, bekriegen sich, helfen sich gegenseitig, bilden Zweckgemeinschaften usw. Er befindet sich zurzeit in Besitz des Hobbits Frodo (Elijah Wood, „Hooligans“). An ein paar Charaktere konnte ich mich noch halbwegs erinnern, Frodo, Gandalf (Ian McKellen, „Macbeth“) und Gollum waren mir ein Begriff. Ich beschloss, mir kein weiteres Vorwissen anzueignen und mich einfach ins kalte Wasser zu stürzen, den Film auf mich wirken zu lassen.
Das ist grundsätzlich möglich, denn jede Szene, jede einzelne Einstellung schreit förmlich „Ich bin episch! Ich bin monumental!“ und wurde auf bedeutungsschwanger getrimmt, wie es in „normalen“ Filmen üblicherweise nur speziellen Höhepunkten zuteil wird. „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ aber ist pompöser Bombast pur. Unmittelbar sieht man ihm an, welch ein gigantischer Aufwand Vorbereitungen und Dreh gewesen sein müssen, was unweigerlich Respekt abringt. Während schwelgerische Aufnahmen der neuseeländischen Landschaft wunderschön, atmosphärisch und einen weiten Horizont versprechend wirken, erscheint jedoch auch vieles artifiziell und sehr offensichtlich unecht, eben am Computer entstanden. Dabei ist die Gollum-Kreatur sicherlich ein Paradebeispiel für den detailverliebten Umgang mit computergenerierten Animationen, denn er wirkt tatsächlich lebendig, emotional und authentisch, hat eine glaubwürdige Mimik, einen ambivalenten Charakter mit Tiefgang und wirkt aufgrund seiner multiplen Persönlichkeit auch auf den Zuschauer mal niedlich und sympathisch, mal furchterregend und gefährlich. Damit ist dieser Gollum mein persönlicher Höhepunkt des Films; wann immer er auf der Bildfläche erscheint, ist beste Unterhaltung garantiert.
Häufig jedoch fällt es mir schwer, diese künstlich erschaffene Welt zu akzeptieren, zumal, wenn ich der Handlung ehrlich gesagt so gut wie gar nicht folgen kann und bereits zu einem frühen Zeitpunkt schlichtweg aufgebe, es zu versuchen und mich zurücklehne, um die phantastischen Bilder zu genießen. Ausschlaggebend dafür ist zu einem hohen Maße, dass ich höchstens in Ansätzen einen Zugang zur Geschichte finde, meist jedoch kaum einen Bezug zum echten Leben, zur Realität abstrahieren kann. Dabei wird eklatant deutlich, dass es sich eben um einen – „Blockbuster“ hin oder her – zwar gigantischen, aber dennoch eben einen Genrefilm handelt, der sich innerhalb seiner Gesetzmäßigkeiten bewegt, statt Genrestilmittel zu verwenden, um etwas darüber Hinausgehendes zu erschaffen. Und ich bin nun einmal kein Genrefan. Während die Handlung also mehr oder weniger vorüberplätschert und ich mehrmals in leichte Zweifel gerate, ob die fast vierstündige (!) „Extended Version“ die richtige Wahl war, lerne ich zahlreiche Mittelerde-Bewohner in zum Teil sehr gelungenen und gruseligen Masken kennen und stelle wohlwollend fest, dass dieser Teil, was seinen Gewalt- und Horroranteil betrifft, weniger auf „Familientauglichkeit“ getrimmt wurde, als ich den Vorgänger in Erinnerung habe. Die scharfen Schwerter führt man jedenfalls nicht nur zur Zierde mit sich. Ja, hier reihen sich doch einige starke Einzelszenen aneinander – wenn nur nicht diese Schwierigkeiten wären, sie in einen sinnstiftenden Bezug zueinander zu setzen...
Nun will ich mich aber gewiss nicht über eine komplexe, verschachtelte Erzählweise, der mit ziemlicher Sicherheit eine ebensolche Geschichte zugrunde liegt, echauffieren, nur weil es dem Stoff nicht gelingt, aufgrund meines mangelnden persönlichen Interesses nachhaltig selbiges für ihn zu wecken. Das wäre vermessen. Dennoch scheint mir derjenige Aspekt der Handlung, der noch im Vorgänger auf die charakterlichen Veränderungen, die mit dem Besitz des mächtigen Rings einhergehen, recht deutlich beleuchtete, diesmal stark in den Hintergrund gerückt worden zu sein. Davon, was in „Die Gefährten“ noch als Botschaft, als Aussage erachtet werden konnte, bleibt nicht viel übrig. Stattdessen geht es diesmal vornehmlich um den bevorstehenden Krieg, um die Unvermeidbarkeit desselben und um Kräftebündelung und das Finden Alliierter sowie die Ausarbeitung von Taktiken, um das David gegen Goliath nicht unähnliche Kräfteverhältnis auszugleichen. All das mündet in einer groß angelegten Schlacht, die grafisch wieder für einen solchen Film relativ explizit ausfiel, wenngleich angesichts des Gemetzels schon verdammt wenig roter Lebenssaft fließt. Nach verlustreicher Schlacht wird sogar gescherzt, als wäre lediglich jemand auf einer Bananenschale ausgerutscht – wie ich es hasse...
Für eine solche Thematik ist der Film einfach nicht düster genug, der Krieg verkommt zu einem Spektakel optischer Schauwerte zu Unterhaltungszwecken, ohne das mit ihm verbundene Leid zu verdeutlichen – wie in einem Actionfilm. Echte Nachdenklichkeit, Verzweiflung oder Kritik am kriegerischen Treiben (s. Eingangszitat) blitzen nur kurz auf und werden sofort niedergemäht. Die Darsteller indes fügen sich allesamt gut in das Konzept aus Computerkunst und mittelalterlicher Fantasy ein. Die häufig geäußerte Kritik an Elijah Wood als Frodo kann ich nicht ganz nachvollziehen. Mit seiner Mimik unterstreicht er die Auslegung seines Charakters als kleinem Hobbit, der mit einer übermenschlichen bzw. überhobbitschen Aufgabe betraut wurde. Anstrengung, Angst und drohende Überforderung zeichnen sich in seinem Antlitz ab; er wirkt mehrdimensionaler als manch andere Figur, wenngleich auch ihm Gollum die Schau stiehlt.
Unterm Strich ist für mich als nicht in den Kult um die Trilogie Eingeweihten der zweite Teil aber vor allem eines: Bombast um seiner selbst willen. Ein gigantischer Bilderrausch, durchaus vereinnahmend und faszinierend, der jedoch an mir vorbeirauscht (um bei diesem Terminus zu bleiben), die komplizierte Handlung zu etwas Sekundärem degradiert und mir kaum Gelegenheit bietet, mich einzuhaken und mit ihr mitzugehen. Technik-Freaks werden vermutlich mit der Zunge schnalzen und wer Fantasy-Themen ohnehin in erster Linie mit monumentalen Epen, Pomp und Kitsch (um dieses böse Wort auch einmal unterzubringen) in Verbindung bringt, findet mit Jacksons Werk vielleicht seine Erfüllung. Zugegeben, die knapp vier Stunden fühlten sich letztlich kürzer an, was natürlich für den Film spricht. Ich bevorzuge aber in der Regel anders konzipierte Spielfilme und „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ hat daran nichts geändert.