Ein Herz bricht in tausend Grautöne
Märchen lassen uns nicht nur träumen, sondern auch oft unschöne, unbegreifliche und schmerzhafte Wahrheiten verschleiern, verschönern und umschreiben. Das können schon oder sogar vor allem, die Erzählungen für Kinder hervorragend. "A Monster Calls" ist der wichtigste Kinderfilm des Jahre. Oder besser drücke ich es so aus: der wertvollste Film für Kinder des Jahres. Denn er ist nicht wirklich ein klassischer Kinderfilm, für die U10er ist er sogar gar nichts und auch Teenager werden daran knabbern. Trotzdem ist die Geschichte über den (nicht mehr ganz so) kleinen Connor und seinen lehrreichen Baumbart-/Groot-Freund, der ihm in seiner wohl schwersten Phase des Lebens beisteht, kaum zu überschätzen, wenn sein Wert für Heranwachsende beschrieben werden soll.
Harter Tobak, heftige Themen wie Verlust, Tod, Wut, Trauer, Verdrängung oder Hoffnung, doch selten ist es sinnvoller diese Konfrontation und Erleuchtung der Grautöne zu suchen, als in der frühen Pubertät. Emotional wringt das fantastische Familiendrama einen aus wie ein nasses Handtuch. Hier gab es im (leider völlig unterbesetzten) Kino wirklich kaum ein trockenes Auge am Ende des Films. Lewis MacDougall ist einer der besten Kinderdarsteller der jüngeren Kinovergangenheit und überwältigt konstant in einer komplexen Coming-Of-Age- und Trauer-Rolle. Ein weiteres Highlight ist Liam Neeson als gutmütiger und waiser Eibenbaum - da kann selbst Baby Groot einpacken. Hinter solchen Glanzlichtern steht aber der Rest des beeindruckenden Cast ebenfalls nicht an - Toby Kebbel endlich mal in einem guten Film, Felicity Jones überzeugt als krebskranke Mutter nachhaltig. Dazu sehen die Effekte stark aus und es ist sehr angenehm, dass auf den extra 3D-Euro verzichtet wird.
"Sieben Minuten nach Mitternacht" erinnert an "Pan's Labyrinth", nur intimer, emotionaler und hoffnungsvoller. Realität und Fantasie verschwimmen, europäisches Einfühlvermögen trifft auf technisch höchsten Hollywood-Standard. Etwas Kopfschmerzen habe ich sogar - so nah ging er mir, so nahm er mich mit. Gut so. Und das, obwohl mir ein Todesfall einer wirklich nahen Angehörigen noch in der Vita fehlt. Wer mit dem Tod im Leben schon öfters in Berührung kam, der wird sich hier emotional auflösen und die Taschentuchpackung gleich mit. Trotzdem fehlt dem Film die Hoffnung nicht und sein Herz schlägt laut und stark. Hier ist J.A. Bayona sein bisheriges Meisterstück gelungen. Echte Probleme, echtes Leben, echter Verlust - echt guter Film. Sollte viel mehr Aufmerksamkeit zuteil werden. Verstehe noch einer die Kinobesucher oder den keinen allzu gut machenden Verleiher. Die animierten Kurzgeschichten waren für mich der Höhepunkt & wunderschöne Augenöffner, kreativ und magisch, von denen ich gerne mehr gesehen hätte. Spätestens da war klar, dass hier ein Jahreshighlight ins Haus steht. Unbedingt ins Kino! Oder später zu Hause nachheulen bzw. nachholen.
Fazit: A Boy's Labyrinth - traurig, menschlich, tiefgründig. Der wichtigste Film für Heranwachsende des Jahres. Emotional und psychologisch ein Goldschatz, optisch eines der betörendsten Märchen der letzten Jahre! Nahe an einem Meisterwerk.