kurz angerissen*
"We Are The Flesh" gehört zu jener Sorte Experimentalfilm, die einem die Betrachtung des Waldes nicht gestattet, weil zu viele Bäume die Sicht versperren. Die Undefinierbarkeiten beginnen schon in der ersten Szene, als die widerliche Zubereitung einer Flüssigkeit aus Müllresten und verkommenen Lebensmitteln zum Zwecke des Warenaustauschs hergestellt wird. Dies sind die ersten Andeutungen der Kreisläufe eines Miniaturkosmos, der fast autark abläuft; nur ein kleines Loch und eine Schiebevorrichtung aus Holz und Draht scheint die Einsiedlerhöhle mit der unsichtbaren und somit zur Postapokalypse erklärten Außenwelt zu verbinden.
Emiliano Rocha Minter setzt penetrante rote Farbfilter ein, um dem hier gezeichneten Limbus eine Aussicht auf den Eingang zu Hölle zu verschaffen. Nachte Körper vermischen sich saftig mit sexuellen Explizitheiten und nicht selten Perversionen, die als Ausdruck der Kunst stets geschützt sind durch den Kammerspielcharakter, die Dialoge, in denen psychologische Manipulation angewendet wird, und die minimalistische Resthandlung, die im Wesentlichen aus dem nagetierartigen Ausbau der Höhle besteht und Metaphern bedient. Eine endlose Spaßrutsche von Geburt zu Tod zu Wiedergeburt zeigt der mexikanische Independentfilm mit jedem gebührenden Radikalismus und behauptet die Entmaterialisierung des Geistes bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn des rohen Fleisches – frei nach Cronenberg.
Provokation um der Provokation willen lässt sich da also Vorwurf nicht hundertprozentig entkräften, wenngleich es wohl in der Natur der Sache liegt, dass die Provokation per se etwas Anstößiges hat und somit immer auf Ablehnung und Hohn stoßen muss, ob nun resultierend aus einem Angriff auf das sittliche Empfinden oder einem kunstbeurteilenden Snobismus heraus. "We Are The Flesh" geht aber nicht, ohne Eindruck hinterlassen zu haben, so viel steht fest. Noé Hernandez' diabolisches Grinsen liefert auch Tage später noch Phantombilder, so wie der gesamte Film überhaupt viele Standbilder in sich birgt, die sich nachhaltig ins Gehirn einbrennen. Vielleicht kann man festhalten, dass sich der junge Regisseur am Anfang seiner Karriere den Weg zum Ausdruck seiner Kunst so umständlich bahnt, dass sein Spielfilmdebüt zumindest noch nicht geeignet ist, um Prognosen über weitere Werke zu liefern; vielleicht ist bereits alles gesagt im Rahmen eines expressionistischen Gemäldes mit pastellfarbenem Hintergrund, glühenden Löchern und rosafarbenen bis roten Klecksen in konfuser Strichführung. Das interpretiere jeder, wie er will.
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