Abt. Familienzusammenführung
„Könnte einer von meinen durchgeknallten Freunden sein.“
Horrorfilme mit Weihnachtsthematik gibt es mittlerweile eine ganze Menge, darunter einige herausragende wie „Black Christmas“. Und noch immer versuchen sich Filmemacher an weiteren Beiträgen. Nicht so viele Horrorfilme wiederum gibt es aus Australien. Mit „Red Christmas“ aus dem Jahre 2016 von Autor und Regisseur Craig Anderson (vornehmlich als Schauspieler sowie als TV- und Kurzfilm-Regisseur tätig) gibt es nun auch einen waschechten australischen Weihnachtshorrorfilm. Für die weibliche Hauptrolle konnte die erfahrene Schauspielerin und Genre-Ikone Dee Wallace („Hügel der blutigen Augen“, „Critters – Sie sind da“, „Furz – Der Film“) gewonnen werden.
„Das war bestimmt dieser Christenspinner!“
An Weihnachten kommt die ganze Familie noch einmal in Dianes (Dee Wallace) Anwesen zusammen: Die hochschwangere, dem Alkohol und THC dennoch nicht abgeneigte Ginny (Janis McGavin, „Scooby-Doo“), deren Schwester Suzy (Sarah Bishop, „Crushed“), die mit einem Pfaffen (David Collins, „Der unglaubliche Hulk“) verheiratet ist, deren schwarze Adoptivtochter Hope (Deelia Meriel) und Sohn Jerry (Gerard Odwyer) mit dem Down-Syndrom. Joe (Geoff Morrell, „Coffin Rock“), Bruder der Witwe, ist schon länger bei ihr. Rechte Freude mag in der ungleichen Familie nicht aufkommen, als Diane ihr eröffnet, ihr Haus und Grundstück veräußern und auf Europareise gehen zu wollen, um sich endlich einmal selbst zu verwirklichen. Da klingelt ein entstellter Fremder (Sam Campbell, „Selfless“) an der Tür, der unter seiner Mönchskutte kaum zu erkennen ist und Einlass begehrt. Als er einen Brief rezitiert, dessen Inhalt Diane an ihren Aufenthalt in einer Abtreibungsklinik vor vielen Jahren erinnert, hält sie ihn für einen Aktivisten radikaler Abtreibungsgegner und verweist ihn empört des Hauses. Doch der Fremde, der sich als Cletus vorgestellt hat, ist die Fehlgeburt, die Diane in der Klinik eigentlich abtreiben wollte, als terroristische Abtreibungsgegner dort einen Bombenanschlag verübten und einer der Attentäter die noch Lebenszeichen aufweisende Fehlgeburt aus dem Müll fischte, aufzog und offenbar ebenfalls radikalisierte – denn so viel ungeborenes Leben angeblich wert ist, so wertlos ist für ihn das erwachsener Menschen, und so vollzieht er aus Rache eine abscheuliche, grausame Mordserie an der Familie seiner Mutter...
„Du verdammter Hurensohn!“
Heißa, das nenne ich mal eine krude Exposition! Der mit Zeitlupen arbeitende Prolog intoniert polemische Zitate aus Abtreibungsdebatten aus dem Off und zeigt den Mann, wie er Cletus aus dem Müll rettet, ohne dass der Zuschauer bereits wüsste, was genau es damit auf sich haben wird. Nach dem rotgefilterten Vorspann findet man sich 20 Jahre später bei der Familienzusammenkunft wieder, während der ein permanent im Hintergrund dudelnder Radiosong an den Nerven zerrt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist zunächst auch, dass in Australien zur Weihnachtszeit Sommer herrscht, sodass der Film für den einen oder anderen Zuschauer hiesiger Hemisphäre atmosphärische Probleme bekommen dürfte. Cletus ist für den Zuschauer zunächst lediglich ein Freak, der sich auf der Suche nach dem Haus seiner Mutter verlaufen hat. Er trifft auf einen Redneck (Anthony Jensen, „EDtv“), der ihn beleidigt. Von jenem erfährt man auch, dass Cletus verdammt scheiße aussehen soll. Als er Cletus anpinkelt, bringt dieser ihn um – wovon man lediglich das Ergebnis zu sehen bekommt, den Kopf auf der Kreissäge...
Nach seinem Besuch der Familie nimmt die Mordserie ihren Lauf. Anderson tat jedoch wenig gut daran, ausgerechnet die für etwas Sex-Appeal sorgende Hope als erste dahinscheiden zu lassen, und dann auch noch per extrem übertriebenen Schwachsinnseffekt, ihrer kompletten Spaltung durch einen Axthieb. Die Axt haut Cletus auch gleich dem Nächstbesten in den Kopf, Joe wird erdrosselt und der hinzustoßende Sheriff (Robert Anderson) landet mit seinem Haupt in einer Bärenfalle, während dem Pfaffen die Rübe zermixt wird. Doch, manch Spezialeffekt kann sich sehen lassen und ist tatsächlich nicht ganz unoriginell. Den ungeschriebenen Regeln des Slasher-Subgenres folgend ist Cletus offenbar unverwundbar, jedenfalls nicht ohne Weiteres totzukriegen. Doch damit nicht genug, einen besonderen Clou schüttelt der Film noch aus dem Ärmel: Mongo (nicht Mungo – ein bewusst eingesetzter Gag?) Jerry hört schließlich die Hintergrundgeschichte mit und wendet sich gegen seine Mutter! Das Down-Syndrom war, wie sich herausstellt, auch ausschlaggebender Grund für Dianes Abtreibungspläne in Bezug auf Cletus. Gerard Odwyer als Jerry spielt überraschend gut und für Wallace und Morrell dürfte „Red Christmas“ lediglich eine Fingerübung gewesen sein, die restlichen Darsteller aus der No-Name-Kartei bleiben hingegen unauffällig. Die eine oder andere Dame könnte sich jedoch als zukünftige Genre-Scream-Queen bewerben, eine umtriebigere australische Genre-Produktion vorausgesetzt. Gegen Ende bekommt man, ähnlich manch „Freitag, der 13.“-Film, endlich einmal Cletus’ stark entstelltes Antlitz zu Gesicht, für das leider eine recht billig anmutende Maske verwendet wurde.
Natürlich ist „Red Christmas“ höchst geschmackloser, kruder Quatsch. Eigentliche Probleme des Low-Budget-Streifens aber sind viele kleinere Logiklücken, das wenig nachvollziehbare Verhalten der Opfer untereinander, die partiellen und damit komplett unpassenden Ausflüge ins Komödiantische sowie allem voran die Frage nach Cletus’ Motiv, die mit „Rache“ nur höchst unzureichend beantwortet wird. So richtig Sinn ergibt das alles jedenfalls nicht. Das Thema Abtreibung und seine radikal-frauenfeindlichen Gegner einmal exploitativ durch den Weihnachts-Slasher-Wolf zu drehen, gefällt mir aber ebenso wie die Tatsache, dass die Handlung unter seinen bräsigen Charakteren ausgerechnet Jerry lange Zeit als den Zurechnungsfähigsten heraushebt und damit über die Abtreibungskontroverse hinaus die Frage nach unwertem Leben eindeutig zugunsten auch geistig gehandicapter Kinder entscheidet. Deshalb entsende ich 5,5 von 10 Schneeflocken ins entlegene Australien und bin damit bisher anscheinend einer der wenigen Kritiker, die diesem Werk noch am meisten abgewinnen konnten.