Gesamtbesprechung
Das ist keine Serie, das ist eine wohltemperierte Badewanne
Der Erfolg von „Stranger Things" hat mich lange kaltgelassen und ich schnappte hin und wieder lediglich den Titel auf. Als ich dann durch den recht unterhaltsamen „Summer of `84" sah und in Kritiken zu dem sympathischen, aber etwas unausgegorenen 80s-Revival immer wieder über die Serie stolperte, ließ ich die erste Folge einfach laufen, als ich die Saiten einiger meiner Gitarren wechseln wollte. Zu diesem Zeitpunkt war gerade die dritte Staffel erschienen und tatsächlich habe ich dann drei Staffeln recht kompakt hintereinander durchgesehen. Von Folge 1 oder 2 an hatte mich die Serie am Haken.
Was man den Duffer-Brüdern immer zugutehalten muss, ist die Geduld, mit der sie ihren Figuren Leben einhauchen und ihre Geschichte weiterentwickeln. Hinzu kommt ein gutes Gespür für das Zusammenwirken von Dramaturgie und technischer Umsetzung, sodass innerhalb der Staffeln immer ein Flow gehalten wird, der einen einfach bei der Stange hält. Dabei bewahrt die Serie immer ihren Kern und mäandert nicht in irgendwelche Regionen, die zwar zur Streckung und weiteren Folgen führen, aber mit dem Ausgangsgefühl der Serie nichts mehr zu tun haben. Das passiert für gewöhnlich in Serien, die dadurch irgendwann aufhören, mein Interesse zu wecken. Hier ist das anders.
Was mir manchmal etwas stressig erschien, ist der emotionale Overload, der zum Ende einer jeden Staffel zunimmt. Aber die gut geschriebenen Figuren und die zumeist wirklich guten Dialoge und ein ausgezeichnetes Gespür für Timing und Pacing lassen das Gefühl eines Schmierentheaters gar nicht erst aufkommen. Hier wurde auf allen Ebenen sorgfältig gearbeitet, wenngleich die eigenständige Optik bei der Darstellung des Übels zwar gelungen, manchmal aber auch etwas zu steril und digital wirkt. Dann muss man doch wieder daran erinnert werden, dass man sich in den 80ern befinden soll, aber dafür wird wirklich alles an Zeitkolorit aufgewendet, was dieses behütete und auf Spaß und Hedonismus ausgerichtete Jahrzehnt zu bieten hatte.
Staffel 1
Best of 80s - Das Gefühl neuer Kindheitserinnerungen
Inhalt: In Hawkins Indiana bricht kurz vor Weihnachten von der Öffentlichkeit unbemerkt etwas Monströses aus einem geheimen Forschungslabor aus. Kurz darauf verschwindet der 12-jährige Will Byer spurlos. Auf der Suche nach ihm stoßen seine Freunde Mike, Dustin und Lucas auf die mysteriöse Eleven, die von einer rücksichtslosen Regierungsorganisation verfolgt wird. Die Freunde stellen bald fest, dass Eleven außergewöhnliche Fähigkeiten hat und im Kampf gegen die böse Macht, die ihren Freund gefangen hält, der entscheidende Schlüssel ist. Wills Mutter hat währenddessen Kontakt zu ihrem Sohn hergestellt. Er befindet sich in einer düsteren Parallelwelt, verfolgt von einem unheimlichen Wesen. Davon kann sie auch den bärbeißigen Sheriff Hopper überzeugen. Gemeinsam mit Wills Familie und dem Sheriff nehmen die Freunde den Kampf auf, um Will vor dem dunklen Demogorgon und Eleven vor ihren Verfolgern zu retten.
Trotz der langen Laufzeit einer Staffel lässt uns „Stranger Things" nicht lange warten, um klarzumachen, worauf die Serie aus ist. Die erste Sequenz zeigt uns bereits den Horror, den man zu erwarten hat, um dann zu den zentralen Figuren zu springen. Dafür, dass zunächst einmal sämtliche Figuren samt Umfeld eingeführt werden müssen, schreitet die Handlung schnell voran und nach 30 Minuten ist die Prämisse für die gesamte Serie bereits klar. Mit viel Hingabe werden ganz prototypische Charaktere mit einer außergewöhnlichen Bedrohung konfrontiert, in deren Mittelpunkt Eleven (Millie Bobby Brown) steht, die mit ihren telepathischen Fähigkeiten quasi ein Bindeglied zwischen der heilen amerikanischen Kleinstadt und dem Upside Down darstellt.
Wirklich neu ist dies alles für Menschen jenseits der 30 nicht, wenn sie mit dem üblichen Fernsehprogramm sozialisiert wurden. „Die unheimliche Begegnung der dritten Art", „E.T.", „Goonies", „Poltergeist", „Firestarter", „Stand By Me" usw. definierten die heimelige Welt des Achtzigerkinos, das Kindheiten in den 80ern und 90ern prägte. Alle Filme dieser Art waren bei TV-Ausstrahlung in den 90ern Pflichtprogramm und Gesprächsthema auf den Schulhöfen. Und dieses heimelige Gefühl etabliert die erste Staffel nahezu perfekt, wenngleich die am Computer generierten Effekte einem recht deutlich vorhalten, dass man eben eine zeitgenössische Serie ansieht.
Die Topoi des Sujets werden zahlreich aufgegriffen: Misstrauen gegenüber den staatlichen Autoritäten, fehlender Einblick der Eltern in das Leben ihrer Kinder, Rivalität zwischen Teenagern und soziale Ordnungskämpfe und ganz wichtig Freundschaft und die Akzeptanz der jeweiligen Individualität als Schlüssel zur Lösung von Problemen. Damit können sowohl dysfunktionale Familienstrukturen als auch Monster aus einer Parallelwelt überwunden werden.
Nichts erscheint hier wirklich neu und gerade davon profitiert diese Staffel, denn die Duffer-Brüder verstehen es meisterhaft, die richtigen Knöpfe zu drücken, um die Generation 30-50 einzufangen. Dabei ist die Narration hier aber so durchdacht, die Figurenzeichnung so herzlich und detailliert und die Atmosphäre durch Bild und Ton so gekonnt umgesetzt worden, dass eben auch ohne die emotionale Verbindung mit Kindheits- und Jugenderinnerungen sehr viel geboten wird. Eine Kinderserie ist dies jedoch wirklich nicht, denn es wird ungewohnt hart mit den Figuren umgegangen. Die Leiden und die Bedrohung von Will auf der anderen Seite empfand ich schon als drastisch und auch die Vergangenheit von Chief Hopper stimmt mit dem Tod seiner kleinen Tochter einen überaus ernsten Ton an.
Dies bleibt somit die von der ersten Seherfahrung ausgehend beste Staffel, was angesichts des Budgets (ca. 7 Millionen Dollar je Folge vs 30 Millionen Dollar je Folge in Staffel 4) verdeutlicht, dass Ambition, Akribie und Können unersetzlich sind. Diese Staffel ist voll davon.
10/10
Staffel 2
Eine wirkliche Fortsetzung
Inhalt: Der Frieden in Hawkins ist wieder hergestellt und so bereiten sich die vier Freunde Mike, Will, Dustin und Lucas auf Halloween vor, als die übercoole Max neu in ihre Klasse kommt und Lucas und Dustin den Kopf verdreht. Allerdings fühlt sich Nancy mit verantwortlich für den Tod ihrer Freundin Barbara, Mike vermisst die totgeglaubte Eleven, die von Chief Hopper in einer Hütte versteckt wird und zwischen Hopper und Eleven spitzt sich durch die Überbehütung des Chiefs ein Erziehungskonflikt zu. Da klopft auch schon das Böse wieder an und ergreift Besitz von Will, der so in Verbindung mit dem Übel steht. Während in Hawkins die Eingeweihten erneut den Kampf gegen das sich ausbreitende Böse aufnehmen, versucht Eleven auf eigene Faust etwas über ihre Vergangenheit herauszufinden und geht auf eine ungewisse Reise. Doch ohne sie schaffen es die anderen nicht, sich der wachsenden Macht von der anderen Seite entgegenzustellen. Zudem werden die Freunde von Max` jähzornigem Stiefbruder Billy verfolgt und ein Fundstück Dustins entwickelt bedrohliche Eigenschaften...
Staffel 2 muss die bekannten Figuren nicht mehr einführen und nimmt sich die Zeit, sie Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Natürlich gibt es auch Neuzugänge, die im Falle von Billy vielleicht etwas überzeichnet erscheinen mögen. Jedoch gefiel mir der Ansatz, Jugendliche ohne jede erwachsene Fürsorge außer Rand und Band laufen zu lassen, ganz gut. Dies wurde im ersten „Nightmare On Elm Street" thematisiert und in „Interceptor" schien es ja gar keine Erwachsenen mehr zu geben.
In meiner Erinnerung verquicken sich die ersten beiden Staffeln immer miteinander und bestimmte Szenen kann ich nicht zuordnen. Die Machart ist weitestgehend identisch, das Böse auch und alles wirkt tatsächlich wie eine Weiterentwicklung und Fortsetzung der Elemente aus Staffel 1. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden ausgebaut und einem für das Sujet der Serie glaubwürdigen Rahmen entwickelt. So gelingt es in nahezu jeder Folge, Dynamiken zwischen Figuren freizutreten, die mehr Unterhaltungswert bieten als der fortwährende Kampf gegen monströse Wesen, die hier wieder sehr mittelmäßig animiert wurden, auch wenn der Look der üblen Elemente wieder insgesamt sehr stimmig und von einer klaren Handschrift gekennzeichnet ist.
Zwar wiederholen sich Elemente aus Staffel 1 erkennbar, aber sie waren ja auch da schon nicht neu. Statt der Lichterketten gibt es hier nun Zeichnungen von Will an den Wänden, die er aus seinen now memories (Was für ein schön erdachter Begriff!) heraus gezeichnet hat. Erneut ist Will die Opfer-Figur, die es zu retten gilt, wenn auch in einer Variation, die passend in den Plot eingebettet wird.
Die Neuzugänge übertünchen den Vorwurf der Wiederholung allerdings absolut ausreichend. Maxine Mayfield bringt eine neue Dynamik in den Freundeskreis und ist insgesamt eine gut geschriebene und wie immer gut gespielte Figur, Murray Baumann ist ein passender comic relief und Sean Astin als Bob ist eine Wucht an Durchschnittlichkeit. So erweist sich die zweite Staffel als eine sehr gelungene Verlängerung des Gefühls, das Staffel 1 ausgelöst hat.
9/10
Staffel 3
Ein typisches Sequel - Mit allen Vorteilen und Nachteilen
Inhalt: Der Frieden in Hawkins ist wieder hergestellt und der 4. Juli steht vor der Tür. Joyce verarbeitet noch Bobs Tod, aber die Kinder sind weitestgehend mit sich und ihrer Libido beschäftigt. Nancy und Jonathan, Eleven und Mike, Max und Lucas... Hopper wird es zu bunt und er setzt Mike so unter Druck, dass dieser Eleven aus dem Weg geht. Max und Eleven gehen daraufhin eine enge Freundschaft ein und lassen die Jungs unglücklich hinter sich. Allein Will bleibt von dem ganzen Liebesgerangel ungerührt und spürt nur, dass sich alles ändert und die Kindheit und Freundschaft zu enden droht. Doch da befällt das Böse Billy und Dustin fängt einen Funkspruch von Russen ab, die in einer Geheimstation unter der neuen Shoppingmall daran arbeiten, das von Eleven verschlossene Tor wieder zu öffnen. Er überzeugt Steve und dessen Arbeitskollegin Robin, der Sache auf den Grund zu gehen. Zusammen mit Lucas vorlauter Schwester Erica dringen sie in die Station der Russen tief unter der Erde ein. Während Joyce und Hopper den Dingen um die Russen unabhängig von den Kindern nachgehen, stellen Nancy und Jonathan fest, dass Billy nicht allein das Problem ist. Das Böse wächst und befällt immer mehr Menschen...
Die Niedlichkeit der Protagonist*innen geht mit voranschreitendem Alter so langsam stiften und die Pubertät hält auf voller Breite Einzug in die Welt der Figuren. Die Beziehung von Hopper und Eleven wird ins Zentrum gerückt, dabei werden aber die anderen Familien vernachlässigt, wodurch der liebgewonnene Rahmen des US-amerikanischen Vortorts nach Spielberg`scher Art aus dem Fokus gerät. Die Serie verliert dadurch etwas an ihrer Heimeligkeit, die es in den ersten zwei Staffeln gewissermaßen zu verteidigen, bzw. ihrer Langeweile zu entfliehen galt.
Dafür werden aber Dinge nicht nur aufgekocht, sondern man ergänzt den zentralen Kern der Serie mit überschaubaren Neuerungen, die sich über die gesamte Staffel ins Gesamtkonzept einpassen, wenngleich Ereignisse hier etwas sprunghafter geschildert werden. Stilistisch bleibt man sich nur in Teilen treu. Das Bild hat nicht mehr diese herbstliche Gemütlichkeit und ist etwas schriller in den Farben, wodurch ein anderes Gefühl der 80er vermittelt wird, die ja nicht nur modisch ein sehr grelles Jahrzehnt gewesen sind. So ist auch das melodramatische Moment zu Gunsten einer mehr überkandidelten und abgedrehten Machart runtergeschraubt worden, was man bereits daran erkennen kann, dass die antisowjetische Paranoia der 80er hier nicht mehr nur angedeutet wird, sondern ganz zentraler Bestandteil der Handlung ist. Der Kampf gegen terminatoreske Sowjet-Killer, das Eindringen in eine unter der Mall befindliche russische Forschungsstation durch ein paar Kinder, Gesangseinlagen am Funkgerät - Der Spaßfaktor ist durch die Feel-Good-Attitüde und jede Menge Tamtam auf jeden Fall gegeben, auch wenn hinten raus wieder reichlich auf die Tränendrüse gedrückt wird.
Der Horror selbst wird hier auch wesentlich handfester und körperlicher, aber in der Wahrnehmung nicht bedrohlicher. Bei alledem opfert man aber auch eine zentrale Besonderheit der ersten beiden Staffeln. Dort hatten die Figuren trotz allen Spuks einen glaubwürdigen Tiefgang, der hier der überdrehteren Machart geopfert wird. Die Figurenhandlungen waren bisher sorgfältig vorbereitet und nachvollziehbar. Wenn man sich hier die Figur Steve herauspickt, die in den ersten beiden Staffeln die Entwicklung vom verwöhnten Arschloch aus reichem Hause hin zu einem sympathischen Helden durchgemacht hat, so stellt man fest, dass Steve in Teilen zu einer Witzfigur verkommt. Es ergeben sich zwar einige unterhaltsam komische Szenen, aber die emotionale Bindung zu der Figur verschwindet. Die Prämisse im Umgang mit den Figuren ist hier ganz gewollt eine andere und sie wirken weniger bedroht und bewegen sich in einem von allen bekannten Gesetzmäßigkeiten befreiten Raum. Daran erkennt man, wie gut es den ersten beiden Staffeln gelungen ist, trotz aller Fantasterei eine glaubhafte Welt zu erschaffen. Davon befreit man sich hier.
In Staffel 3 stellt man sich dann häufiger die Frage, warum die Kinder und die eingeweihten Erwachsenen sich angesichts ihrer bisherigen Erlebnisse nicht umgehend austauschen und stattdessen in kleinen Grüppchen in die unterschiedlichen Gefahren hineinlaufen, so dass man vier verschiedene Kriegsschauplätze hat, die dann aber natürlich mehr oder weniger zusammengeführt werden und in einem Overkill enden, dessen Ausmaß den Gesetzen des Sequels folgend wesentlich größere Ausmaße hat, als die beiden vorherigen Showdowns. Das alles ist aber Unterhaltung auf ganz großem Niveau. Aber halt nicht mehr ganz so groß und liebenswert wie in Staffel 1 und 2.
8/10
Staffel 4
Mit vereinten Kräften in Ost und West
Inhalt: Der Frieden in Hawkins ist wieder hergestellt, was die Familie Byer mitsamt Eleven/Jane nicht davon abringt, nach Kalifornien zu ziehen. Man hat sich ja schon zweimal darauf verlassen, dass endlich Ruhe ist... Der Springbreak steht vor der Tür und Mike besucht Eleven in Kalifornien, die dort keinen Anschluss findet und gemobbt wird. Ihrer Kräfte beraubt, erduldet sie die Schikanen, unter dem Verlust von Hopper leidend. Da ereilt Joyce ein Paket mit sowjetischen Marken, das einen Hinweis auf das Überleben Hoppers liefert. Zusammen mit dem Verschwörungstheoretiker Murray begibt sie sich nach Alaska, um Hopper zu befreien. Unterdessen schnappt sich das Böse in Hawkins emotional anfällige Kinder, bedroht sie in Visionen und tötet sie nach kurzer Zeit grausam. Der Freund des ersten Opfers verdächtigt den Hellfire-Club, eine D&D-Gilde um Dustin und Mike und den Anführer Eddie, für den Tod seiner Freundin verantwortlich zu sein und macht Jagd auf die Jungs. Nancy recherchiert gerade wegen des Mordes, als ihr Kollege ebenfalls umgebracht wird. Sie erfährt, dass es bereits 1959 einen Mord an einer Familie gegeben hat, dessen Opfer die gleichen Verletzungen wie die aktuellen Opfer aufwiesen. Sie und Robin suchen den als Täter verurteilten Vater der Familie auf, um den wahren Mörder zu finden.
Unterdessen verdächtigt die Army Eleven, für die Morde verantwortlich zu sein und will sie ausschalten. Dr. Owens weiß, dass sie jedoch der einzige Weg ist, das Böse ein für alle Mal zu vernichten und er überredet Eleven, sich in die Hände von Dr. Brenner zu begeben, um ihre Kräfte zurückzuerlangen. Doch die Zeit drängt, denn als nächstes Opfer hat sich das Böse Max auserwählt...
Die vierte Staffel schafft es tatsächlich, konzentriert den Kern der Serie weiterzuspinnen. Dazu greift man erneut direkt auf die vorherige Staffel zurück, kreiert jedoch zunächst eine als neu empfundene Bedrohung, die die bisherige Aufteilung in Up- und Downside etwas auflöst und dennoch figurenbezogener wird. Der Antagonist Vecna generiert sich zwar erneut aus einer auf D&D basierenden Vorstellung der juvenilen Nerdbande wie schon der Demogorgon aus Staffel 1 und der Mind Flayer aus Staffel 2. Jedoch bekommt das Monstrum hier eine Stimme und auch eine Art Persönlichkeit, die im Laufe der Folgen immer weiter ausgebaut wird. Das empfand ich als äußerst gelungen und organisch aus der Serie herauswachsend, so dass hier im Kern eine erzählenswerte Geschichte zu erkennen ist und nicht der plumpe Versuch, einen Erfolg irgendwie zu verlängern.
Was Staffel 4 auf die Spitze treibt, ist das Erzählen verschiedener Ebenen. Es wird nicht nur die mittlerweile beachtlich große Gruppe an wichtigen Figuren in viele Gruppen aufgeteilt, die jede ihre eigene Agenda zum Großen und Ganzen verfolgen, das gab es bereits zuvor. Es werden zusätzlich verschiedene Zeitebenen aufgemacht. Das gab es zwar auch schon zuvor, aber nicht in dieser massiven Ausprägung. Bei all diesen Ebenen nicht die Übersicht und den Spannungsfaden zu verlieren, würde mir auf dem Papier eventuell unmöglich erscheinen. Aber durch die lange Laufzeit der Folgen von teilweise 140 Minuten (!) können alle Bestandteile so ausführlich dargestellt werden, dass man es immer wieder schafft, sich zu orientieren.
Zudem sind die Figuren und Dialoge wieder sehr sorgfältig und in Teilen psychologisch schlüssig geschrieben worden, dass auch Verschnaufpausen durch die Dynamik zwischen den Figuren einen hohen Unterhaltungswert haben. Wenn sie denn überhaupt relevant sind. Jonathan und Will Byer sind irgendwie zu Bystandern verkommen und Wills bedeutendste Aufgabe ist es, sich nicht zu outen. Das Thema Homosexualität ist ja auch schon bereits mit Robin besetzt. In Sachen Handling der Figuren würde ich eine trennende Linie zwischen Hawkins/Kalifornien und Russland ziehen. In Hawkins/Kalifornien/Nevada findet man stellenweise wieder den geerdeten Drive der ersten Staffeln und in Russland hingegen hat man dem Tonfall von Staffel 3 folgend jeden Bodenkontakt verloren. Und beides ist sehr unterhaltsam.
Extrem auffällig sind diesmal die Reminiszenzen an „Nightmare On Elm Street" in Bild und Ton, was ich als eher ungewöhnlich empfand, da die Serie bisher gekonnt sein Zitatwerk so arrangierte, dass ich beim Ansehen nie so konkrete Herleitungen erkennen konnte. Aber hier drängt sich der Vergleich einfach auf. Ob die Filmreihe damit eine besondere Ehrung bekommen sollte, weiß ich nicht. Aber mit weiteren Gastauftritten dieser Sorte würde man sich irgendwie seiner Eigenartigkeit berauben, wie ich finde. Aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt an dieser Staffel, die ich als erstaunlich gelungen empfand.
Dennoch hat die finale Folge schon extrem viel Gepäck zu schultern und die Frage, ob man nicht den Handlungsstrang um die wutschnaubende Sportsbande im Satanic-Panic-Modus hätte weglassen können, stellte ich mir mehr als einmal.
(Allerdings ist die Darstellung dieser, in der Serie als Normalos bezeichneten, Gruppe eine Allegorie auf das sich hinter bigottem Christentum versteckende Wutbürgertum, das zwanghaft seine Emotionen und Überforderungen in bloße Waffengewalt ummünzen will. Auf diesen Kommentar zur US-Gesellschaft wollen die heutigen US-Serien und Filme aus dem liberalen Unterhaltungssektor wohl nicht mehr verzichten. Das sah man so bereits auch bei "Halloween Kills". God save the heartland...)
Neben diesem innerhalb des Sujets etwas unpassenden Kommentar bleibt jedoch: Die Verknüpfung von Optik, Sound und Pacing ist hier wieder auf allerhöchstem Unterhaltungsniveau.
9/10