Schon kurz nach dem Ende des 2.Weltkriegs entstand mit "Das Schweigen des Meeres" ein Film über das Verhältnis der Franzosen zu den Deutschen während der Besatzungszeit - ein Thema das Jean-Pierre Melville auf Grund seiner Vergangenheit im französischen Widerstand immer besonders bewegte und auf das er nur wenige Jahre vor seinem Tod mit "Armee im Schatten" wieder zurückkam.
Inzwischen hatte Melville seinen pessimistischen Stil noch verfeinert. Seine sehr ruhigen und langen Bildeinstellungen waren zu graphischer Perfektion geworden, seine kargen Wortwechsel und sich langsam entwickelnden Charakterisierungen waren von exaktester Beobachtung und liessen nur selten Gefühle durchschimmern und seine Haltung wurde immer fatalistischer. Deshalb bekam "Armee im Schatten" ,der zwischen seinen Gangster-Epen "Der eiskalte Engel" und "Vier im roten Kreis" entstand, immer das Etikette "Gangsterfilm im Gewand eines Widerstandsfilms" verpasst - leider eine typisch vereinfachende Einordnung.
Melvilles Stil hatte sich immer unabhängig vom Genre weiterentwickelt. Allerdings war die Symbiose mit dem Gangstergenre besonders überzeugend, da hier seine allgemeingültigen Lieblingsthemen Einsamkeit, Freundschaft ,Vertrauen und mangelnde Sozialisation einen hervorragenden Nährboden fanden. Dagegen wird das Thema "Resistance" in der Regel temperamentvoll und heroisch behandelt, um ein wenig davon abzulenken, dass letztlich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wirklich im Widerstand war und das diese Kämpfer oft die Zivilbevölkerung genauso fürchten mussten wie die Besatzungsmacht. Damit will man den mutigen Verteidigern des besetzten Vaterlandes auch ein Denkmal setzen - ein ehrenwertes Anliegen, das leider allzu oft eher den Versuch darstellt, die eigene Vergangenheit zu verklären.
Diesen Fehler begeht Melville nicht und man kann nur konstatieren, dass sein äußerst lakonischer Stil diesem Thema sehr entgegenkommt. Am Ende des Films hat man einen sehr genauen Eindruck davon, was es tatsächlich bedeutete, im Widerstand gegen eine Besatzungsmacht zu sein und was diese Menschen wirklich leisteten - fernab jeglichen typischen Heldenmutes. Und es bedarf der langen Spielzeit um diese Komplexität zu begreifen, denn Melville erklärt nichts und greift nie auf emotional polarisierende Methoden zurück.
Zu Beginn werden wir Zeuge davon, wie Philippe Gerbier (Lino Ventura) in einem LKW der französischen Polizei zu einem Gefangenenlager transportiert wird. Der ihn bewachende Polizist scherzt noch gegenüber seinem Landsmann, dass es sich um ein besonders grosszügiges Lager handelt und er sich dessen glücklich schätzen könnte. Und scheinbar bestätigen sich diese Worte, denn der intellektuell und selbstbewusst wirkende Gerbier erhält eine Schlafstatt in einer grossen Baracke und kann sich innerhalb des Lagers frei bewegen. Angesichts der Mitgefangenen, die sich ihre Zeit beim Spiel vertreiben, wirkt die gesamte Situation wenig bedrohlich und das ändert sich auch nicht ,als ihn ein deutsches Kommando zu einer Befragung abholt.
Gerbier scheint sich der Ernsthaftigkeit der Lage bewusst zu sein, aber das überträgt sich noch nicht auf den Zuschauer. Und als ihm dann recht problemlos die Flucht mit Hilfe eines anderen Gefangenen gelingt (dessen wahrscheinlich tödliches Schicksal von Melville bewusst nicht gezeigt wird), wirkt die immerhin fast halbstündige Anfangssequenz verhältnismäßig harmlos, was die dann folgenden Ereignisse besonders brutal erscheinen lassen.
Ein gut angezogener, freundlich wirkender junger Mann wird durch einen Trick in einen Citroén gelockt, mit dem er von Bergier und dessen Kameraden Felix (Paul Crochet) und Le Bison (Christian Barbier) an einer entfernten Ort gebracht wird. Es werden kaum Worte gewechselt und Niemand äußert Gründe für ihre Vorgehensweise oder Vorwürfe gegen den jungen Mann. Man begreift, dass auch er zur Resistance gehört, aber weil er sich nicht gegen seine "Verhaftung" wehrt, wird es erst mit der Zeit deutlich, dass er mit dem Tod bestraft werden soll.
Melville zeigt uns diese Tötungssequenz in voller Härte und die Ausführenden um Gerbier zwar mit einer gewissen Betroffenheit, aber ohne darüber hinausgehende Emotionen oder Infragestellung ihrer Vorgehensweise. Man kann nur annehmen, dass hier ein Verrat bestraft wird - vielleicht derjenige, der Gerbier, eine - wie sich immer mehr herausstellt - führende Persönlichkeit der Widerstandsbewegung, in das Gefangenenlager brachte. Da Melville bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Aktivitäten der Besatzungsmacht zeigt , wirkt die gezeigte Bestrafung innerhalb der "Resistance" übertrieben grausam - erst sehr viel später erschliesst sich für den Zuseher, wieviel Glück Gerbier zuvor hatte, der Gestapo zu entkommen.
Trotz der verschiedenen Fluchtsituationen und Befreiungsaktionen im weiteren Verlauf des Films vermeidet Melville nahezu jede Action, was aber nicht bedeutet, das der Film nicht ungeheuer spannend ist. So gestaltet er hier,schon vor der Echt-Zeit-Einbruchssequenz des im folgenden Jahr entstandenen "Vier im roten Kreis" eine quälend lang wirkende minutenlange Befreiungsaktion, in der die führende Aktivistin Mathilde (Simon Signoret) gemeinsam mit zwei Kameraden in ein Gefängnis der deutschen Besatzer hineinfährt, um Felix, den die Gestapo gefoltert hatte (was von Melville nie in Aktion oder Worten gezeigt wird), mit einem Trick zu befreien. Jedes Klacken der Mechanik der riesigen Gefängnistore lässt Aufschrecken und Melville treibt seinen bitteren Fatalismus mit dieser Schilderung auf die Spitze.
Besonders in Erinnerung bleibt die scheinbar harmloseste Szene, die zusätzlich noch die Qualität dieses Ausnahmewerkes unterstreicht. Bergier fährt zusammen mit seinem Chef Luc Jardie (Paul Meurisse) per U-Boot nach London, wo sie von den Engländern freundlich begrüsst werden und Jardie sogar einen Orden erhält (allerdings nicht die gewünschten Waffen, weil man in England der Resistance nicht genügend zutraut). Bergier wohnt in einem schönen Hotelzimmer, erhält einen neuen Anzug und geht abends in "Vom Winde verweht", als auf dem Rückweg plötzlich deutsche Fliegerbomben auf London fallen. Er zieht sich kurz in ein Lokal zurück, wo er jungen Engländern dabei zusieht, wie sie erst recht unverdrossen weiter tanzen. In diesem emotionalsten Moment des Films (wenn man von Emotionalität angesichts des unbewegten Gesichts Venturas reden kann), macht Melville deutlich, wie gross der Unterschied ist, wenn man zwar von dem selben Gegner angegriffen wird, aber dabei selbst noch in Freiheit lebt.
Der Film heisst nicht ohne Grund "Armee im Schatten" ,denn gegen die deutsche Besatzungsmacht, deren Einfluss auf die einheimische Bevölkerung sehr gross ist, so dass man nie sicher sein kann, einem Verräter zu begegnen, hilft nur militärische Disziplin, gnadenlose Härte gegenüber Verrätern und strategisch perfekte Planung. In Melvilles Film gibt es keinerlei Ideologien (egal von welcher Seite), keine Freudensausbrüche oder Trauer angesichts irgendwelcher Aktionen und nie einen Ausblick auf ein Ende oder eine Lösung - in einem Umfeld, dass deinen Tod bewirken kann, weil du das Foto eines geliebten Verwandten bei dir trägst (und damit Emotionen zeigst), gibt es keine Hoffnung...
Fazit : Jean-Pierre Melville's düsterer Film "Armee im Schatten" verzichtet bei seiner detaillierten Schilderung der französischen Widerstandsbewegung auf jegliche heroische Momente und verdeutlicht zu welch perversen Handlungen die Kämpfer gegenüber ihren eigenen Leuten gezwungen sind, um sich vor der Entdeckung durch die deutsche Besatzungsmacht zu schützen.
Die genauen Beobachtungen geben dem Betrachter einen detaillierten Einblick in diese erzwungene Tätigkeit und ermöglichen dank des sehr guten Spiels von Ventura und Signoret ein nachvollziehbares Bild ihrer Psyche. Nur so lässt Melville hier (neben dem historischen Wissen) Parteinahme und Sympathie entstehen, denn sadistische und brutale Aktionen der Besatzungsmacht werden erst kurz vor dem Ende des Films angedeutet.
Gerade weil dank Melvilles Stil, polarisierende und emotional beeinflussende Momente in "Armee im Schatten" nicht stattfinden, ist die Wirkung zum Schluss besonders beeindruckend, wenn man begreift, unter welchen Umständen sich Menschen für die Freiheit ihres Volkes einsetzen, obwohl sie keine Chance haben (10/10).