„Der Baron ist ein ungewöhnlicher Mann mit seltsamen Gewohnheiten!“
Im gleichen Jahr wie seinen fulminanten „Psycho 2.0“, gemeint ist natürlich der Psycho-Schocker „Mörderisch“, brachte der Marktschreier des US-Horror-Thrills, Mr. William Castle, die Gothic-Horror-Revue „Der unheimliche Mr. Sardonicus“ in die Kinos. Das war 1961 und die dem Film zugrunde liegende Kurzgeschichte Ray Russells war zuvor im „Playboy“ erschienen. Als besonderes Gimmick ließ Castle diesmal das Publikum abstimmen, welches Ende es lieber möchte: eines, in dem dem Unhold Gnade widerfährt oder eines, das ihn abstraft. Überlieferungen zufolge gab es gar kein gnädiges Ende – genauso wenig wie ein Publikum, das es hätte sehen wollen…
Mediziner Dr. Cargrave (Ronald Lewis, „Ein Toter spielt Klavier“) ereilt der Ruf seiner Jugendliebe Maude (Audrey Dalton, „Alarm für Sperrzone 7“), die ihn nach Böhmen bittet, damit er ihren Mann Baron Sardonicus (Guy Rolfe, „Dolls“) behandelt. Seit dieser an einer Art Gesichtslähmung erkrankte, als den Sarg seines Vaters öffnete, um ein dort hineingeratenes Lotterielos zurückzubekommen, trägt er stets eine ausdrucklose Maske vor seinem entstellten Antlitz. Seinen Frust lebt er durch Folterungen seiner Mitmenschen aus. Cargrave lässt er keine Wahl: Entweder er behandelt ihn oder Maude wird ebenfalls entstellt…
Gentleman-like wie eh und je eröffnet William Castle seinen Film höchstpersönlich, indem er sich mit einer Ansprache an die Zuschauer wendet und ihnen die Geschichte eines Ghuls ankündigt – obwohl Baron Sardonicus auch mit viel Phantasie als keiner zu definieren ist. Im Anschluss lernt man Dr. Cargrave an seiner Wirkungsstätte im London des Jahres 1880 kennen, bevor er sich auf die Reise zu Maude und Sardonicus begibt. Ganz dem Subgenre verpflichtet trifft er auf ein opulentes Anwesen in Form eines alten Schlosses, das die Schwarzweiß-Bilder in atmosphärischen Nebel hüllen, auf einen buckligen, einäugigen Diener (Oskar Homolka, „Sabotage“), später auf einen Folterkeller und ein geheimes Zimmer. Gute Voraussetzungen also für einen Gruselschinken der alten Schule. Dieser versucht den Zuschauer zunächst mit an jungen Mädchen saugenden Blutegeln zu schockieren, hält sich ansonsten aber in Sachen Schrecken eher bedeckt. Castle setzt vielmehr auf die geheimnisumwitterte Aura Sardonicus‘ hinter seiner Maske, den der Zuschauer nach und nach kennenlernt.
Dies geht schließlich in eine Rückblende über, die zeigt, was dem Baron zustieß. Und fürwahr, der Anblick des toten Vaters ist ein echter Schock, warum auch immer er bereits kurz nach seinem Tod bis auf die Knochen abgenagt ist. Unterschiedlich aufgefasst werden dürfte die Enthüllung Sardonicus‘ Gesichts. Auf mich jedenfalls wirkte das an Batmans Joker erinnernde, jedoch weitaus größere bizarre Dauergrinsen, das Sardonicus sogar Sprechen neu lernen lassen musste und ihn seine Nahrung nur noch schlürfen lässt, durchaus verstörend. Sein Name leitet sich übrigens von einem tatsächlich existierenden Krankheitsphänomen ab, dem Risus sardonicus, einer bakteriell hervorgerufenen Muskelverkrampfung, die zu einem hämischen Grinsen führt, das der Betroffene nicht mehr lösen kann.
In guter alter Schauermär-Manier ist dieser Mr. Sardonicus also im Grunde eine tragische Figur. Dessen sind sich Russell und Castle bewusst, wenn sie die medizinisch gewichtete Geschichte – u.a. findet die damals anscheinend neue Erfindung der Spritze zur direkten Injektion in die Blutbahn Erwähnung – letztlich in eine psychosomatische verwandeln, die Sardonicus keine Erlösung bietet. Einwandfrei geschauspielert und ohne Längen oder grobe Schnitzer inszeniert vermengt „Der unheimliche Mr. Sardonicus“ in Poe-Manier klassischen Grusel mit erschreckenden medizinischen Phänomenen und menschlicher Tragödie, von Castle comichaft (aber nicht komisch) und unter Berücksichtigung von Genrestandards unterhaltsam und liebevoll auf die Leinwand gebracht – und ob der wiederum Castle-typischen Bizarrerie länger im cineastischen Gedächtnis verweilend.