„Altweibergeschichten! Hinterwäldlerischer Aberglaube!“
Das Fantasy-/Horror-Märchen „Zeit der Wölfe“ des irischen Regisseurs Neil Jordan, entstanden im Jahre 1984 in britisch-US-amerikanischer Koproduktion, basiert auf den Kurzgeschichten „Der Werwolf“ und „Die Gesellschaft der Wölfe“ der britischen Autorin Angela Carter, die sich auch am Drehbuch beteiligte. Es war nach „Angel - Straße der Angst“ Jordans zweite Regiearbeit.
Die Heranwachsende Rosaleen (Sarah Patterson, „Schneewittchen“) träumt sich in eine mittelalterliche Märchenwelt, in der ihr ihre Großmutter (Angela Lansbury, „Mord ist ihr Hobby“) fantastische Geschichten von Wolfsmenschen erzählt und sie vor Männern mit zusammengewachsenen Augenbrauen warnt. Und tatsächlich begegnet sie derartigen Wesen und gerät in Gefahr…
Das Grimm’sche Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf wird gern als Allegorie auf das Erwachen der weiblichen Sexualität interpretiert: Das Rotkäppchen als jungfräuliches Mädchen, der Wolf als Verführer. Einen ganz ähnlichen Weg schlägt Jordans auf mehreren Ebenen erzähltes Grusel-Fantasy-Märchen ein, das ab einen bestimmten Zeitpunkt die Erzählung vom Rotkäppchen aufgreift und auf eine eigene Weise interpretiert. Dramaturgisch eher leise führt Jordans Film durch seine verträumten, märchenhaften Kulissen, bis eine wirklich gut umgesetzte Häutungs-/Verwandlungsszene ein erstes tricktechnisches Ausrufezeichen setzt und den Film ein Stück weit in den Horrorbereich verlagert. Bis zur nächsten Wolfs-Action vergeht dann allerdings eine ganze Weile, effektkünstlerisch naiv ging man hier zu Werke und zog Hunden Kostüme an. Weitere Spezialeffekte muten auch eher eigenartig an: Da entledigt sich ein Wolfsmensch des Kopfes der Oma per Handkantenschlag und das Greisenhaupt zerschellt wie Porzellan. Lange Zeit bleibt die Handlung nur lose zusammenhängend, dabei optisch stets interessant genug, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Erst im letzten Drittel wird die Rotkäppchen-Geschichte aufgegriffen und geschickt variiert. Die Verwandlungsszene am Ende fiel indes etwas unbeweglich aus, dafür bereiten Wölfe mit leuchtenden Augen ein gewisses Unbehagen. Es folgt eine sehr schöne, quasi neue und erneut nur lose mit den vorausgegangenen Ereignissen verflochtene Geschichte einer verwundeten Wölfin, die nichts Böses wollte. Die eigentliche Pointe des Films passt ebenfalls prima, wird hier aber natürlich nicht verraten.
Ja, psychologisch lässt sich an „Zeit der Wölfe“ und seinen Freud’schen Bildern viel in Bezug auf das Heranreifen der weiblichen Sexualität heruminterpretieren, alternativ lässt man schlicht die weltliche Logik weitestgehend hinter sich gelassen habenden Bilder auf sich wirken und genießt einen bestimmt nicht rundherum perfekten Film, der jedoch durch seine einzigartige Mischung aus klassischer Märchenverfilmung, Fantasy-Stimmung, Horrorbildern und interessanter Kontextsetzung bekannter Erzählungen und Metaphern aufmerken lässt und aufgeschlossenen Freunden des phantastischen Films durchaus empfohlen sei – nicht zuletzt dank überzeugender schauspielerischer Leistungen der kleinen Sarah Patterson und der für ihre Rolle prädestinierten Angela Lansbury.