kurz angerissen*
Schmerzhafte zweieinhalb Stunden lang erlaubt Maren Ade nicht, dass man sich von Hauptdarstellerin Sandra Hüller löst. Die endlose Nahdistanz lässt den beruflichen Kampf ihrer Figur Ines Conradi bei gleichzeitiger Dauerkonfrontation mit dem Vater wie einen bösen Alptraum ohne Erwachen wirken. Strukturiert ist die zwischen Aachen und Bukarest pendelnde Handlung ausschließlich über peinliche und unangenehme Situationen unter verschiedenen Rahmenbedingungen, in denen aber immer soziale Normen eine große Rolle spielen; dass ihr Vater jede ihrer Bemühungen mutwillig zerstört, die Business-Maske einer Geschäftsfrau aufrecht zu erhalten, führt zu einer permanenten Unsicherheit, die nicht mal vor dem privaten Bereich der eigenen vier Wände halt macht.
Kunstvoll verbindet die Regisseurin Kritik an kapitalistischer Denkweise und der Betrachtung von Menschen als Ressourcen mit einem vielschichtigen Entfremdungsdrama zwischen Vater und Tochter. Peter Simonischeck nimmt in der Vaterrolle mit einer Kerkeling'schen Begeisterung für Travestie allerlei Rollen an, um auf eine ungelenke, ihm eigene Art einen Zugang zur Tochter zu gewinnen. Er steht meist im Bild wie ein blauer Elefant auf dem Mond in einem surrealistischen Gemälde, wofür Ade zunehmend bildhaftere Entsprechungen findet, die mit kleinen, alltäglichen Gesten beginnen – dem Streicheln von gekräuseltem Hundefell beispielsweise, der Verkleidung als Zombie inklusive falschem Gebiss für eine Schulaufführung, dem harmlosen Gespräch über ein Furzkissen, dem Verschenken einer Käseraspel. Vermeintlich unbedeutende Szenen, deren Konsequenzen sich später zu abstrus-situativen Momenten aufblähen, die sich konsumieren lassen wie grausam schief gegangene Witze. Für seine Umgebung ergibt dieser Winfried Conradi, oder Toni Erdmann, wie er sich oft nennt, keinerlei Sinn, seine Erscheinung wird aus Höflichkeit allenfalls geduldet und mit betretenem Lächeln und einem Blick zur Seite quittiert.
Entsprechend der Entwicklung der Hauptfigur, die bedingt durch die Handlungen ihres Vaters mit der Zeit einen neuen Blick auf die Welt gewinnt, bröckelt der starre Rahmen der Geschäftsetikette langsam auf und mit ihm die formelle Disziplin des Films. Was schließlich auf der Party geschieht, kann man als Plädoyer für die Selbstentfaltung zu aufgesetzt finden, eigentlich aber inszeniert Maren Ade diese Loslösung von gesellschaftlicher Pflicht mit aller gebührenden Zurückhaltung und behält sich dabei stets den Respekt vor ihren Figuren, selbst dann noch, wenn sie voreinander völlig bloßgestellt sind. Den meisterhaft arrangierten Stein-auf-Stein-Aufbau der komplex gezeichneten Beziehung in allen Facetten, die das Gemisch aus Drama und Komödie hergibt, setzt sie hiermit nicht aufs Spiel, sondern verleiht ihm eine letzte schrille Pointe mit Knalleffekt.
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