Michèle Leblanc (Isabelle Huppert), erfolgreiche Produzentin von Videospielen, wird in ihrer Wohnung von einem maskierten Unbekannten vergewaltigt. Am nächsten Tag lässt sie sich zwar auf Geschlechtskrankheiten untersuchen, geht aber zum Entsetzen ihrer Freunde nicht zur Polizei. Statt dessen bittet sie einen Mitarbeiter ihrer Firma die Festplatten der Kollegen zu durchsuchen…
Das Werk von Regisseur Paul Verhoeven (geb. 1938 in Amsterdam) lässt sich in lässt sich in zwei große Themenbereiche aufteilen: zum einen sind es harte Actionfilme, die immer den Bogen überspannen und nie ohne Gesellschaftskritik daher kommen, wie „Flesh and Blood (1985), „Total Recall“ (1990) oder „Starship Troopers“ (1997), zum anderen sind es Filme mit erotischem Inhalt, die oft sexuelle Gewalt thematisieren und gerne allgemein gültige Konventionen sprengen, wie „Türkische Früchte“ (1973), „Spetters – knallhart und romantisch“ (1980) oder „Basic Instinkt“ (1992). In diese Kategorie gehört auch die europäische Co-Produktion „Elle“, mit welcher der mittlerweile 78-jährige Regisseur 10 Jahre nach „Black Book“ (2006) auf die Leinwand zurück kehrt.
Zu Beginn überrascht, wie dezent Verhoeven die brutale Vergewaltigung darstellt, erst im Schwarzbild unmittelbar nach dem Vorspann, danach indem er Michèles Katze zeigt, die dem Verbrechen teilnahmslos zuschaut. Später wird diese Szene dann aber mehrmals wiederholt und seziert, wie auch im weiteren Verlauf sexuelle Gewalt explizit dargestellt wird. Diese bekommt mit zunehmender Filmdauer eine sadomasochistische Note, so dass sich der Verdacht aufdrängt, dass man hier auf der kommerziell erfolgreichen „Fifty Shades of Gray“ (2015/16) Welle mitschwimmen möchte. Allerdings auf die härtere, die Paul Verhoeven Art eben. Auch hier bricht er mit den Konventionen, was er erreicht, indem sich die Handlungsträgerin höchst seltsam verhält. Sie hat ein zweifelhaftes Verhältnis mit dem Macho-Mann ihrer besten Freundin, die demütigt ihren Ehemann um ihm im nächsten Moment um Hilfe zu bitten, sie hat kein Verständnis für ihren Sohn und vor allem findet das Vergewaltigungsopfer Gefallen an der Untat. Der halbwegs ausgeglichene Zuschauer kann ihr Handeln irgendwann überhaupt nicht mehr nachvollziehen, Empathie, geschweige Sympathie sinken auf den Nullpunkt. Der erwartete Thriller ist „Elle“ auch nicht, so sorgen nur das überzeugende Spiel von Isabelle Huppert („Die Spitzenklöpplerin“ 1977, „Die Klavierspielerin“ 2001, „Die Nonne“ 2013) und die solide Inszenierung dafür, dass das im Wettbewerb von Cannes aufgeführte Spätwerk keine ganz große Enttäuschung geworden ist. Bestenfalls 6/10