Ein Ort namens Lederhose
Mit „Der treue Roy“, dem dritten Einsatz des komödiantischen Weimarer „Tatort“-Ermittlungsduos Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen), brach man erstmals mit dem ursprünglichen Konzept der Ausstrahlung an Feiertagen: Der erneut von Murmel Clausen und Andreas Pflüger geschriebene und diesmal vom bereits „Tatort“-erfahrenen Regisseur Gregor Schnitzler („Was tun, wenn’s brennt?“) inszenierte Fall wurde am 24.04.2016 erstausgestrahlt.
Stahlarbeiter Roy Weischlitz (Florian Lukas, „Der Hauptmann von Köpenick“) scheint Suizid begangen zu haben, indem er in die Hochofenschlacke seines Arbeitgebers sprang – seine Kollegen finden nur noch ein verkohltes Skelett und einen Abschiedsbrief. Die Kripo glaubt jedoch nicht an Selbstmord, sondern vermutet ein Kapitalverbrechen und nimmt ihre Ermittlungen auf. Roys Schwester Siegrid (Fritzi Haberlandt, „Transpapa“) zufolge bemalte Roy in seiner Freizeit Zinnsoldaten und galt eigentlich als unsterblich, seit er eine Hochhaussprengung überlebte – im Inneren des Gebäudes. Sein in Spiegelschrift verfasstes Tagebuch führt zu einem Lottogewinn, da er es stets auf den Rückseiten der Lottoscheine zu verfassen pflegte – und damit zu einem Kreis Verdächtiger auch über den „Flamingo“ genannten Karsten Schmöller (Thomas Wodianka, „Stiller Sturm“) hinaus, Roys Ex-Kollege und Siegrieds Ex-Verlobter, der bei einem von Roy verschuldeten Arbeitsunfall ein Bein verlor. Flamingo wiederum ist befreundet mit Zuhälter bzw. Kommunikationsberatungsspezialist Frank Voigt (Sebastian Hülk, „Wer ist Hanna?“), in dessen vermeintlich tschechische Prostituierte Irina (Nadine Boske, „Tore tanzt“) Roy sich verguckt hatte…
„Kack mir doch in‘ Schuh!“
Skurrile, schrullige Charaktere, ausgetüftelte Pläne und vertrackte Fälle – das sind die Zutaten auch dieses Weimarer „Tatorts“, der besonders schwarzhumorig ausgefallen ist und dessen Zahl Toter sich zum Ende hin potenziert. Rückblenden in Schwarzweiß helfen, das große Puzzle nach und nach zusammenzufügen, während die sarkastische Dorn und Klugscheißer Lessing über die wendungsreiche Entwicklung genauso staunen wie das Fernsehpublikum. Dabei begeben sie sich in manch ungewohnte Situation – so lässt sich Dorn in Siegrids Kosmetikstudio beinahe bis zur Unkenntlichkeit aufdonnern – und geraten sogar in Lebensgefahr. Letzteres wird problematisch, denn dass ein Täter Kira Dorn einen Revolver an die Schläfe hält und abdrückt, entfacht zwar seine volle Wirkung, will aber so gar nicht zum heiteren Tonfall dieser „Tatort“-Episode passen. Auch der Humor fiel diesmal weniger feinsinnig aus und driftet bisweilen ins Klamaukige und Absurde ab. Zudem hapert es mit der Logik hier und da; so halte ich es für fraglich, ob Dorn am Ende tatsächlich so entspannt am Krankenbett eines Typen stehen würde, der sie kurz zuvor beinahe umgebracht hätte.
„Führerschein und Jagdlizenz auf Lebenszeit: Das ist Russisch Roulette – mit allen Kugeln!“
Nachdem „Der treue Roy“ mit ein paar dramaturgischen Anlaufschwierigkeiten in Fahrt gekommen ist, bietet er aufgrund seiner Unvorhersehbarkeit spannende Unterhaltung, immer wieder mal aufgelockert durch ein paar echte Lacher, und macht mit seinem eingespielten Team, vor allem der hervorragenden Chemie zwischen Tschirner und Ulmen, und seinen vielen Charakterfressen im Ensemble viel Freude. Als Zuschauer darf man sich indes wundern, wie wenig man Unsterblichkeit zu schätzen wissen, wie naiv man auf geldgierige, windige Weibsbilder hereinfallen, wie sehr ein Lottogewinn alles zum Negativen wenden kann – und wie schlecht man auch heute noch im Osten Englisch spricht. Verglichen mit anderen Weimarer „Tatorten“ kommen die Weimarer hier nicht sonderlich nicht gut weg, man degradiert sie zu etwas dümmlichen Witzfiguren. Das dürfte im komödiantischen Rahmen noch akzeptabel sein, jedoch auch dazu beigetragen haben, dass sich bei Kenntnis aller bis dato ausgestrahlten Weimarer Fälle dieser aller Qualitäten zum Trotz als der schwächste anfühlt – und im Osten der Republik dürfte man mit ihm einen schwereren Stand gehabt haben.