Blinder Mann allein zuhaus
Sie sind jung und brauchen das Geld. Die drei Diebe Rocky (Jane Levy), Alex (Dylan Minnette) und Money (Daniel Zovatto) bereiten sich auf einen letzten Diebstahl vor: Sie wollen das Haus eines blinden Irakkriegs-Veteranen (Stephen Lang) ausplündern, der offenbar auf viel Geld sitzt. Was zu Beginn scheint wie leichtes Spiel, artet schnell aus. Der Mann ist nämlich nicht so hilflos, wie er sich gibt. Und in seinem Keller wartet eine unangenehme Überraschung.
Fede Alvarez (Evil Dead 2013) legt mit Don’t Breathe (2016) einen ganz soliden Horror-Thriller vor, der eineinhalb Stunden gut bei Stange hält, aber an seinen Charakteren krankt. Wenn uns das Drehbuch zu Beginn etwas mehr Zeit gelassen hätte, ein Gefühl für die Hauptfiguren zu bekommen, wäre die Erfahrung ungleich spannender ausgefallen. Über den selbstsicheren Money etwa wissen wir so gut wie nichts; über Alex nur, dass er ein rechtlich bewanderter Besserwisser ist. Immerhin Rocky, die obligate Frau im Dreiergespann, dürfen wir etwas näher kennen lernen. Was wir erfahren, ist allerdings äusserst plakativ: Aufgewachsen in einer armen und kaputten Familie, will sie diesen letzten Diebstahl dazu nutzen, ein neues Leben in Kalifornien aufzubauen. Ah, und Marienkäfer haben eine grosse symbolische Bedeutung für sie. Da wissen wir ja schon, was wir in den letzten Szenen zu sehen bekommen werden …
Nach den verschenkten ersten zwanzig Minuten nimmt der Film aber glücklicherweise Fahrt auf. Der Plot lebt von seiner Prämisse: Ein scheinbar hilfloser Blinder jagt drei junge Diebe durch ein gruseliges altes Haus. Die Inszenierung von Alvarez hat ordentlich Schmackes und vermag die Zuschauer durchzuschütteln. Wenn der Blinde unsicher mit einer Pistole genau auf die schwer atmende Rocky zielt, dann bleibt einem die Spucke weg. Zugegeben, hin und wieder schreit man die dümmlichen Diebe schon an. »Jetzt lauf schon!« und »Hau ihm eine rein!« sind zwei Sätze, die sich besonders anbieten. Aber hey, bei solchen Filmen gehört das ein bisschen auch dazu.
Star der Show ist Stephen Lang (Avatar, Manhunter), der als Blinder einige gruslige Fratzen ziehen darf, wie wild herumstöhnt, -humpelt und -schiesst. Ein cooler Bösewicht. Jane Levy (Evil Dead) ist ein tolles Final Girl, so stark wie angsterfüllt. Die Jumpscares sind nett platziert, die Gewaltspritzen nicht allzu exzessiv, aber wirkungsvoll. Mit Fede Alvarez ist jemand am Drücker, der sein Handwerk versteht, manchmal vielleicht etwas übereifrig ist mit den Aufnahmen des Hauses; sie erinnern an David Finchers Panic Room (2002), erreichen aber nicht die technische Qualität. Wirklich Neues bietet uns Don’t Breathe nicht, aber das Spiel mit den Horror-Versatzstücken funktioniert.
Der »Twist« kommt kaum überraschend, sorgt aber für einige fiese Ekel-Momente. Das Ende des Filmes aber wurde echt vergeigt; es hätte wohl erschrecken sollen, wirkt aber wie hingeklatscht für ein mögliches Sequel. Unnötig.
Also: Don’t Breathe kann man sich geben, wenn man einen kurzen, intensiven Thrill sucht. Als solcher funktioniert er, aber mehr sollte man wirklich nicht erwarten.
6/10