Im Dunkeln ist der Blinde König
Wie oft gibt es in Horrorfilmen Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse, Helden gegen Bösewichte, Opfer gegen Killer. Eine der vielen Dinge, die mir an "Don't Breathe" richtig gut gefallen, ist dass der Film strikt gegen diese einfache Kategorisierung geht. Und nicht nur in seiner Wahl der Charakter ist der Film den meisten seiner Genrekollegen weit voraus, ebenso Optik, Twists, Härte & Eleganz spielen ganz oben mit. Einer der besten Horrorfilme 2016, oder eben extrem harter Thriller. Das Kino war teilweise so leise, dass man passenderweise jeden Atemzug hören konnte - eine ganz besondere Situation bei der sonst immer so redefreudigen, unverschämten & respektlosen Zielgruppe solcher Filme. Das kann natürlich Glück gewesen sein, dass ich diesmal gesittete Menschen im Kino hatte, doch es hat mit Sicherheit auch mit Fede Alvarez zweiter Regiearbeit nach dem "Evil Dead"-Remake zu tun. Hier übertrifft sich der begabte Urugayaner selbst & erschafft Terrorkino per excellence - irgendwo zwischen Hitchcock & der neuen französischen Hardcore-Horrorwelle.
Es geht um drei Einbrecher & kleinkriminelle Jugendliche in Detroit, die sich als nächstes Ziel das Haus eines alten, blinden Kriegsveteranen ausgesucht haben. Doch was nach einer leichten Aufgabe & großem Gewinn klingt, entpuppt sich als schlimmster Alptraum & der alte Mann als bei weitem nicht so hilflos & ungefährlich wie erwartet. Stephen Langs Darstellung des blinden Mannes hat eine physische Präsenz, irgendwo zwischen einem Spürhund, einem instinktiven Killer & eben einem bemitleidenswerten blinden alten Mann, dass einem jedes Mal die Haare zu Berge stehen, wenn er ins Bild kommt. Sicher eine gruseligsten Figuren des Jahres - vergisst man so schnell nicht & er wirkt wesentlich beängstigender, realer & greifbarer (auch er kann dich greifen ;)) als seine Geister- oder Monsterkollegen in anderen Filmen des Genres. Die drei Einbrecher sind auch nicht gerade Engel, wenn auch schon eher klassische Einbrecherschablonen & die drei Seiten eines Bruchs bzw. wie man zu ihm stehen kann (dumm, unsicher, letzter Ausweg). Trotzdem ist man natürlich eher auf ihrer Seite, wenn auch im Laufe der Story durch viele perfekt ausgespielte Twists nicht immer klar ist, wer hier gut ist, wer böse & erst recht nicht wer die Oberhand hat.
Der Stil des Films ist extrem hübsch, technisch herausragend & abwechslungsreich, dazu knochentrocken wenn er Gewalt anwenden muss. Dass Alvarez in Punkto Brutalität keine Gnade kennt, war zu erwarten & er liefert Brutalität hier perfekt dosiert ab. Der Film ist eigentlich ein langes Versteck- bzw. Fangenspiel, wird jedoch nie langweilig. Ganz im Gegenteil: die Anspannung & das fast tänzerisch choreographiere Spiel des Todes sind jederzeit zum Greifen & absolut schweißtreibend. Ab dem Beginn des Einbruchs gibt es keine Atempause mehr, es geht nur noch nach vorne in einer Spirale aus Gefahr, Gewalt & Schock. Ohne wirkliche Jumpscares, vielmehr durch eine durchgängige Anspannung, unangenehme Präsenz & Körperlichkeit, zeigt der Film, wie heute spannendes Kino machbar ist. Nicht billig, nicht immer gleich & nicht durchsichtig. Im Spiel mit den Grauzonen verliert man selbst ab & zu mal den inneren Kompass. Unsicherheit mischt sich mit Angst. Wenn dazu dann noch optische Spielereien wie die Szene im Keller in vollkommener Dunkelheit kommen, dann gibt es hier rein gar nichts auszusetzen.
Fazit: beinharter Thriller, der seinem Namen alle Ehre macht & einem heftig den Atem raubt. Einer der Pflichttermine für Spannungsjunkies 2016!