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„Living off the wall…“

Star-Regisseur Spike Lee („Summer of Sam“) produzierte im Jahre 2016 den Musikdokumentarfilm „Michael Jackson's Journey from Motown to Off the Wall”, der sich dem künstlerischen Schaffen des King of Pop bis zu seinem Solo-Durchbruch mit dem Album „Off The Wall“ 1979 widmet.

Der Dokumentarfilm zeichnet Michael Jacksons Weg vom Motown-Plattenlabel mit den Jackson Five zum Wechsel zu Epic, der Umbenennung in The Jacksons und seiner Zusammenarbeit mit Produzentenlegende Quincy Jones, mit der er das wegweisende Album „Off The Wall“ aufnahm, nach. Selten gezeigtes Material aus Jacksons Privatarchiv wechseln sich ab mit Interviews mit Kollegen aus dem Musikgeschäft und Familienmitgliedern und vermitteln so einen Eindruck von Jacksons Werdegang vom Kinderstar zum musikalisch unabhängigen, individuellen und einflussreichen Megastar.

Für jeden Jackson-Fan oder -Interessierten ist Lees Film eine wahre Fundgrube an Bildern aus der Zeit vor Michaels auf ungeahnte Weise durchstartenden Solo-Karriere. Zudem geben sich hier neben Michaels Eltern und Geschwistern ehemalige Mitmusiker, aktuelle Künstler(innen), Songwriter, Produzenten (inkl. Quincy Jones) und Persönlichkeiten wie Stevie Wonder, John Leguizamo oder Lee Daniels die Klinke in die Hand und plaudern aus dem Nähkästchen. Lose chronologisch werden diverse wichtige Punkte in Michaels früher Karriere abgeklappert, inklusive seiner schauspielerischen Engagements. Anhand der Entwicklung vom Soul der Jackson 5 zum Disco-Sound der Jacksons begibt man sich auch auf eine Zeitreise in eine interessante, im Wandel begriffene Musik- und Popkultur-Ära, die Schwarz und Weiß zusammenführte. Viel Zeitkolorit und -geist schwingen da mit. Wenn man sich ungefähr ab der Hälfte konkret der Entstehung von „Off The Wall“ widmet, wird tatsächlich jeder einzelne Song unter die Lupe genommen (die Singles dabei ausführlicher), werden Hintergrundinformationen en masse geliefert – ein Dorado für jeden Fan des Albums! Der Film verdeutlicht, welch Befreiungsschlag dieses Album für Michael darstellte.

Eigentlich mag ich Disco gar nicht sonderlich, liebe aber „Off The Wall“. Ich habe mich öfter gefragt, woran das liegt. Eine große Rolle spielt sicherlich, dass das Album im Gegensatz zu vielen Disco-Produktionen von der Stange richtiggehend warm, organisch und authentisch klingt, viel mehr liefert als „nur“ die Musik. Laut Spikes Lees Dokumentarfilm handelt es sich um nicht weniger als das Disco-Album schlechthin, das das Genre erweiterte und voranbrachte, auf ein höheres Level hievte. Das Verständnis und Bewusstsein für diese musikalische Perle reift durch diesen Film und seine fundierte, intelligente Einordnung des Albums in den musik- und gesellschaftshistorischen Kontext im Allgemeinen – und in Michael Jacksons Biographie im Speziellen.

Auf Jacksons Tanzstil und seine Vorbilder wird ebenfalls eingegangen, über den Menschen Michael Jackson erfährt man jedoch lediglich zwischen den Bildern, Zeilen, Tönen etwas. Dies wird Absicht gewesen sein, da sich Michael nun einmal hauptsächlich über seine Musik ausdrückte. Das ist ein schönes Beispiel für einen respektvollen Umgang mit dem Künstler und seinem Werk. Leider wird unterdessen keine einzige Stimme laut, die sich kritisch mit Michaels Singen sexualisierter Texte bereits im Kindesalter auseinandersetzt. Auch der immense Druck, der zeitlebens – ebenfalls bereits als Kind – auf Michael lastete, bleibt leider unerwähnt, und damit auch seine zerstörte Kindheit, die die Weichen für manch wenig nachvollziehbare Irrwege im Erwachsenenalter gestellt haben dürften. Insbesondere die Jackson-Five-Aufnahmen unbeschwert als Unterhaltungsmusik zu konsumieren, fällt vor diesem Hintergrund nicht immer leicht. An den Qualitäten von „Off The Wall“ ändert dies indes nichts, dank dieses Films macht das Album sogar noch mehr Spaß.

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