„Ich brauch‘ ‘ne Leiche, sonst kann ich das hier nicht erstnehmen!“
Der elfte Fall der Ludwigshafener Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ist zugleich der zweite mit ihrem neuen Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe). Der von Thomas Bohn (div. „Tatort“- und „Stahlnetz“-Episoden) geschriebene und inszenierte „Tatort“ ist sein zweiter Beitrag zur Reihe und einer der seltenen Fälle, in denen das Krimisujet um Science-Fiction-Elemente erweitert wird. Erstausgestrahlt wurde diese Episode im Januar 1997.
„Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind nicht immer mit unserer Logik zu erklären…“
Ein anonymer Anrufer behauptet, der Ufologe und Bestseller-Autor Lunik van Deeling (Dietmar Schönherr, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) sei ermordet worden. Sein Verleger Axel von Saalfeld (Walter Gontermann, „Voll normaaal“) hingegen gibt zu Protokoll, der Autor sei mit Außerirdischen verreist. Odenthal glaubt ihm kein Wort und vermutet, die Polizei solle für einen PR-Coup eingespannt werden. Doch es dauert nicht lange und Odenthal bekommt es mit einem tatsächlichen Todesfall zu tun: Eine Journalistin wird tot aufgefunden – mutmaßlich weil sie zu viel über van Deelings Verschwinden wusste. Deren Freundin Anke Engelke (Anke Engelke, „Die Wochenshow“) bestätigt, dass van Deeling geglaubt habe, mit außerirdischen Mächten in Kontakt gestanden zu haben. Auch van Deelings Frau Renate (Johanna Liebeneiner, „Der Mörder“) scheint davon überzeugt – und selbst auf dem Polizeirevier bekommt sie es mit Kollegen zu tun, die dies zumindest in Erwägung ziehen. Entnervt nimmt Odenthal die Ermittlungen auf und verdächtigt Paul, den Ex-Freund Renates. Zudem meldet sich der anonyme Anrufer erneut und scheint bestens informiert. Doch eine weitere Spur führt zu von Saalfeld, der es seinem Starschreiber gegenüber mit der Abrechnung anscheinend nicht immer so genau genommen hat…
„Du bist völlig blockiert!“
Zunächst einmal wird Odenthal bei einem Festnahmeversuch in einer Disco böse verprügelt, kann sich dann aber (unrealistisch) erfolgreich zur Wehr setzen. Mit ihr ist nicht zu spaßen, dies will man dem Publikum mitteilen. Und einer solchen Kommissarin braucht man auch gar nicht erst mit unerklärlichen Phänomenen, Außerirdischen und ähnlichem Hokuspokus zu kommen. Ob es da eine so gute Idee ist, mit Freundin Johanna (Carol Campbell, „Die drei Mädels von der Tankstelle“) ein Nina-Hagen-Konzert zu besuchen? Das erscheint zumindest kulturell wertvoller als auf einer Pferderennbahn durch ein kurioses Riesenfernglas zu starren. Die Hagen schmettert in ihrer Live-Performance eine eingedeutschte Coverversion des Ramones-Songs „Zero Zero UFO“, ansonsten dominiert ein spaciger Elektro-Soundtrack die Musikspur dieses Falls. Odenthal träumt nach dem Konzertbesuch schlecht, visualisiert von Bohn und seinem Team: Ihr erscheinen Nina Hagen und eine trashige Alien-Metamorphose. Für Freunde abseitiger Unterhaltung dürfte sich der „Tatort“ bis hierhin schon gelohnt haben.
„Humor hat sie ja, die Frau Engelke!“
Doch der Gastauftritte ist’s noch nicht genug: Anke Engelke, damals Radiomoderatorin beim SWF3, spielt sich ebenso selbst wie du kurz um die Ecke schauende Stefanie Tücking, ehemalige „Formel Eins“-Moderatorin und damalige Kollegin Engelkes. Mit Ingolf Lück als weiterem Radioschwätzer Carlo ist das halbe Sat.1-„Wochenshow“-Ensemble komplett. Eine weitere Referenz dürfte Erich von Däniken sein, an den der als Scharlatan begonnen, später aber scheinbar selbst den Verstand verloren habende verschwundene Ufologe unweigerlich erinnert. Flimmerten dessen Dokureihen nicht damals über die Privatsender ins heimische Wohnzimmer? Odenthal spielt den Fall mit, na klar, „Star Trek“-Figuren durch, bevor die Radioredaktion und Johanna unterstützend eingreifen: Auf Odenthals Bitte hin helfen sie mittels Audioschnitttechnik am PC, den Täter zu überführen.
Das darauf folgende und mit einer überraschenden, einem konservativen Publikum sicherlich sauer aufgestoßenen Pointe ausgestattete letzte Drittel kann leider die unterhaltsame Kurzweil des Vorausgegangenen nicht halten und wurde etwas zu bedächtig inszeniert. Nichtsdestotrotz ist „Tod im All“ ein angenehm medien- und damit selbstreflexiver Fall mit zahlreichen unerwarteten Gastauftritten, der seine Lockerheit nur selten aufgibt und sich in der Ufo-Frage auf keine Seite schlägt. Stattdessen lässt man die Folkerts mittels ihres T-Shirts Werbung für ihren Kinofilm „Nur über meine Leiche“ laufen und nimmt weder die Außerirdischen-Debatte noch das Format oder die Erwartungshaltung des Publikums sonderlich ernst. Damit ist „Tod im All“ ein sehenswertes Kuriosum in der langen „Tatort“-Geschichte.