Review

„Beschissener Mutant!“

2016 war es endlich soweit: Die lange angekündigte und geplante Marvel-Comicverfilmung „Deadpool“, angesiedelt im „X-Men“-Universum (als deren achter Teil), wurde veröffentlicht. Für Regisseur Tim Miller wurde es seine erste (und bis dato letzte) abendfüllende Arbeit. Das Ergebnis ist eine Superhelden-Actionkomödie mit starken selbstparodistischen Zügen.

„Ich bin zwar super, aber kein Held!“

Ex-Spezialeinheitenmitglied, Söldner und Wham!-Fan Wade Wilson (Ryan Reynolds, „Green Lantern“) erfährt, dass er dem Tode geweiht ist: Eine unheilbare Krebserkrankung wurde diagnostiziert. Das ominöse geheime Versuchslabor „Weapon X“ unterbreitet ihm in Person des undurchsichtigen Ajax (Ed Skrein, „Tiger House“) das Angebot, eine Reihe an Experimenten an ihm durchzuführen, an deren Ende seine Heilung stehe. Keine Alternative sehend willigt Wade ein und unterzieht sich einem schmerzhaften Prozess, im Zuge dessen man ihn mit einem Mutantenserum infiziert und ihn für eigene, sinistere Zwecke ausbeutet. Durch Herbeiführen einer Explosion gelingt Wade schließlich die Flucht. Er wird für tot gehalten, ist jedoch lebendig – zwar furchtbar entstellt, aber über regenerative Superkräfte verfügend, aufgrund derer ihm kaum ein Normalsterblicher noch Schaden zufügen kann. Getrieben von Rachegedanken schlüpft Wade in einen roten Ganzkörperanzug, nennt sich fortan „Deadpool“ und versucht, Ajax und Co. zur Strecke zu bringen. Die Superheldenorganisation „X-Men“ wirbt um ihn, doch an ehrenvollen Aufgaben und hehren Zielen hat er kein Interesse. Erst als Ajax es auch auf Wades Ex-Freundin und große Liebe Vanessa (Morena Baccarin, „The Red Tent“) abgesehen hat, denkt er um und bildet ein Zweckbündnis…

„Mach ihn platt, Poolboy!“

Bereits der Vorspann ist selbstironisiert, Regie habe ein „überbezahlter Vollhonk“ geführt. Wade bzw. Deadpool durchbricht von vornherein die sog. vierte Wand, indem er direkt zum Publikum spricht. Unmittelbar auf den Prolog folgt die erste spektakuläre Actionszene, die Wade als Deadpool gegen Ajax‘ Männer kämpfen lässt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden also direkt ins kalte Wasser gestoßen und finden sich alsbald in einem mit zahlreichen Rückblenden arbeitenden, verschachtelten Narrativ wieder, in dem Wade seine Geschichte, u.a. aus dem Off kommentierend, erzählt. Zeitlupen kommen ebenso zum Einsatz wie schnelle Vorläufe – und Wade ist bewusst, dass er sich einem Film befindet. Übertriebene, bombastische Actioneinlagen und unrealistische Choreos noch und nöcher gehen eine Verbindung mit sarkastischen bis zynischen Dialogen und asozialen, vulgären Sprüchen im Dauerfeuerwerk ein.

Damit wird Deadpool zum Antihelden, der klassische Superhelden-Sujets mit ihren sauberen Protagonisten und ihren moralischen Vorbildfunktionen auf den Kopf stellt. Diese verballhornt „Deadpool“ auf respektlose, höchst vergnügliche Weise, obwohl er aus demselben Stall stammt. Weder die Gewaltspitzen noch die Dialoge sind familientauglich und die eingestreute Meta-Ebene versucht gar nicht erst, irgendeine Illusion aufrechtzuerhalten. Marvel gelingt es damit, die Zielgruppe seiner Filme zu erweitern, beweist viel Humor und Mut zur Selbstironie, aber eben auch geschäftliches Kalkül. Wer auf die „X-Men“-Filme steht, wird sich wohl auch „Deadpool“ ansehen bzw. angesehen haben; wer hingegen noch nichts mit ihnen anzufangen wusste, beginnt vielleicht nach „Deadpool“, sich für sie zu interessieren. Deren eiserner Typ taucht hier mit seiner sexy Azubine „Negasonic Teenage Warhead“ (wow: Brianna Hildebrand, „Prism“) auf, letztlich rauft man sich zusammen und arbeitet miteinander statt gegeneinander.

Das ist der Knackpunkt des Films: Parodie, Ironie und Meta-Ebene zum Trotz handelt es sich bei „Deadpool“ eben nicht um eine Erzählung um einen Schurken, der vorgibt, ein Held zu sein, auch werden die tatsächlichen Helden zwar von der Hauptrolle, nicht aber generell infrage gestellt. Prinzipiell ist auch „Deadpool“ eine Origin Story, eine Heldenreise mit allem, was dazu gehört (und einigem mehr) und eine Moritat mit einer positiven Moral, hier in Bezug auf Äußerlichkeiten, nur leidlich unter einer daumendicken Schicht Dreck, Gewalt und Obszönitäten versteckt. Deadpool ist ein Antiheld, das Werk „Deadpool“ aber kein Anti-Superhelden-Film.

Seltsamerweise funktioniert diese Mischung aber verdammt gut. Dass eine Mainstream-Produktion wie diese – wenn auch recht lange nach dem (doch etwas anders gelagerten) „Kick-Ass“ – die Grenzen dessen, was innerhalb des Superhelden-Bombastkino-Sujets möglich ist, verschiebt, ist durchaus faszinierend zu beobachten, vor allem aber aufgrund seiner Action-Vollbedienung, seiner hohen Gag-Dichte und dem gleichzeitigen selbstironischen Blick darauf ein wunderbar kurzweiliges Vergnügen, quasi der Party-Film unter den Marvels. Kaum zu glauben, dass es sich um ein Regie-Debüt handelt!

Zugegeben, die Krebsgeschichte empfinde ich als irgendwie unpassend unangenehm innerhalb dieser ansonsten so phantastischen Parallelwelt, Explosion und Entstellung erinnern an Sam Raimis (unironischen) „Darkman“ und für mein persönliches Glück hätten es gern auch ein paar (CGI-)Schauwerte und abgeklärte Einzeiler weniger und dafür ein paar Arschtritte Richtung Marvel-Kommerz-Blockbuster mehr sein dürfen. Offenbar wurden gegenüber den Comics auch diverse Anpassungen die Figuren betreffend vorgenommen, was ich normalerweise schade bis nervig finde, mich in diesem Falle aber nicht tangiert, da ich gar keine Marvel-Comics lese. Zu den weniger marktschreierischen Pluspunkten des Films zählen wiederum die seit einiger Zeit so beliebten popkulturellen Anspielungen auf vergangene Zeiten, was sich u.a. im coolen Soundtrack niederschlägt, die spaßigen Werbekampagnen für den Film, mittels derer beispielsweise zurückliegende Vermarktungsmaßnahmen anderer Filme persifliert wurden, und natürlich die Zusatzszene nach dem Abspann, in der nicht Ferris, sondern Deadpool blau macht.

Macht summa summarum 7,5 von 10 lebenden Sprengsätzen und eine gewisse Vorfreude auf die Fortsetzung.

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