Review

„Dead Cool"

Kennt ihr Deadpool? Macht nichts, kannte ich auch nicht. Ist bei uns ja auch wirklich keine Schande. Bevor Marvel anfing uns Nachhilfeunterricht in Sachen Superhelden zu geben, da brachte es im Land der Dichter und Denker höchstens der Mann im blauen Strampler und der roten Badehose zu einem gewissen Bekanntheitsgrad. Ok, die zweibeinige Fledermaus natürlich auch, gehört aber zu Konkurrenz.

Inzwischen hat man uns Ignoranten aber ordentlich weichgeklopft. Von Captain Picard´s Mutantenstadl, über Jules´ Rächer-Boygroup bis zum sich ständig rebootenden, spinnerten Teenie haben wir so ziemlich alles kennen lernen müssen, äh dürfen, was so zwischen den Groschenheft-Seiten der letzten acht Dekaden herum turnte. Aber weil man uns diese zunächst recht schmackhaften und leicht verdaulichen Menüs in immer geringeren Abständen und immer größeren Portionen in den Rachen stopfte, konnten auch die Anspruchlosesten unter uns nicht umhin festzustellen, dass die Zutaten nicht sonderlich raffiniert waren und schlimmer noch, immer dieselben blieben. Unangenehmes Völlegefühl als Folgeübel ist da noch ein wohlwollender Euphemismus.

Was einem dermaßen schwer im Magen liegt, würde man natürlich am liebsten auf schnellsten Weg nach draußen befördern. Und hier kommt nun unser neuer Freund Deadpool ins Spiel. Ist er salonfähig? Nein. Hat er gute Manieren? Mitnichten. Wird er unsere Herzdamen endlich mit dem ungeliebten Superheldenkino versöhnen? Eher im Gegenteil. Und ist all das eine gute Nachricht? Aber hallo.
Liebe Marvel-Bürokraten und -Erbsenszähler. Manchmal braucht es einfach einen beherzten Tritt ins fleischige Sitzkissen, ein paar deftige Humor-Breitseiten unter die Gürtellinie und ein paar zünftige FSK-Ohrfeigen und schon verzeihen wir euch ein 10-jähriges Easy-Viewing-Martyrium. War doch gar nicht so schwer.

Ok, die Story um einen Ex-Elitesoldaten, der sich als schmieriger Söldner durch dumpfbackige Kleinkriminelle und nervige Nerds pflügt, dabei teils Flunder-flache Witze in Endlosschleife produziert, sich bei seiner Liebsten als Wham- und George Michael-Fanboy outet und nach einer Krebs im Endstadium-Diagnose in einem dubiosen Labor für medizinische Experimente landet, klingt nicht nur reichlich bekloppt, sie ist es auch. Dass er dann als Zombie-Mutant auf den guten alten Monte-Christo-Gedächtniskriegspfad geht, verbessert die narrative Gesamtsituation ebenfalls nicht nachhaltig.
Allerdings haben wir schon einer drögen Laborratte dabei zugesehen, wie sie bei schlechter Laune zu einem grünen King Kong mit Ganzkörperenthaarung mutierte. Oder einer 70er-Jahre-Clint Eastwood-Reinkarnation, die sich in vergleichbar mieser Stimmung zu Rotkäppchens Alptraum mit Freddy Krueger-Flossen verwandelte. Also geschenkt.

Unser Superheld weiß wenigstens, dass er bescheuert aussieht und macht auch absolut kein Geheimnis daraus. Mit lästigen Gewissensbissen bei der Exekution seiner Gegner muss er sich ebenso wenig herum plagen wie mit ausgeklügelten Strategien zu deren Aufspürung. Und er hat ordentlich Spaß an seinem Handwerk, das er sich nicht durch grüblerischen Ernst, oder konformistisches Denken vermiesen lässt. Allzu zimperlich sollte man als sein Follower besser nicht sein, aber Hey, die bösen Jungs haben´s auch nicht anders verdient.

Schön ist das alles nicht nur für uns, also das vom Superheldeneinheitsbrei überfressene Publikum, sondern vor allem auch für Ryan Reynolds. Was hat der Mann nicht schon alles versucht, um einen Stammplatz an der Helden-Tafelrunde zu ergattern. Als Handlanger des Samurai-Vampirjägers war er irgendwie in die klebrige Robin-Falle getreten. Und als grüne Laterne war er mehr bemitleidenswerter Armleuchter als bewundernswerte Lichtgestalt. Nun, so abgeschmackt es klingen mag, aber aller guten Dinge sind eben doch meist drei. In der rot-schwarzen Ledercombo mit Doppelhalfter und Ninja-Klingen-Rucksack stiehlt er den meisten Kollegen auf dem Superhelden-Catwalk jedenfalls ordentlich die Show. Und das trotz Pizza-Visage und 80s-Softpop-Faible.
Bei so viel Wumms wird auch die Nemesis mitgerissen. Als Jason Statham-Klon im überflüssigen PS-Transportwesen-Neustart war Ed Skrein noch ein bleicher Postbote mit DHL-Ausstrahlung. Als sadistischer Folterknecht mit Scheuermittel-Spitznamen schaltet der Ex-Rapper gleich mehrere Gänge rauf und gibt schwungvoll die feixende Arschgeige ohne Herz. Nicht vergessen wollen wir an dieser Stelle auch seine Schwester im kranken Geiste, Adrenalin-Monster Angel Dust, nicht weil die Figur besonders cool wäre, sondern weil Martial Arts-Beauty Gina Canaro hier die Prügel verteilt.

Nett anzusehen sind aber nicht nur ihre Schmollmund-Kickbox-Einlagen, auch die von unserem Antihelden verursachten Massaker und Blechschäden sind optische Leckereien. Die oft bräsige Slow Motion ist hier zur Abwechslung mal ein absoluter Gewinn, kann man hier nicht nur in Seelenruhe derbe Details studieren, sondern auch versierte Stuntarbeit bewundern, die für gewöhnlich durch den Schnittgewitter-Fleischwolf oder die ADHS-Kamera bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet wird. Gut, Spielverderber Computer durfte hin und wieder dazwischen funken, aber wir wollen mal nicht so sein.

Also ab in die Lichtspielhäuser. Dieses Date wird euch nicht enttäuschen. Gerade wenn eure Beziehung zum Superheldenkino sich aufgrund anhaltender Redundanz-Penetranz langsam tot gelaufen hat. Freund Deadpool ist vielleicht niemand zum Vorzeigen, aber garantiert jemand um lärmig feiernd um die Häuser zu ziehen. Bestimmt nicht der nette Weltenretter von nebenan, sondern der krasse Kumpel aus eurer juvenilen Sturm und Drang-Phase. Ach, wie haben wir dich vermisst.

(9/10 Goodies sind ganz klar mehr Emo-Präsent als Ratio-Prädikat. Kurz: ein netter Batzen Badass-Fleißbildchen)

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