Dechiffriere das!
„Cypher“ war ähnlich wie „Braindead“ oder „Blood In, Blood Out“ einer dieser lange oder gar noch immer nicht regelmäßig in HD erhältlichen Titel, bei dem ich den DVD-Verkauf vor nun auch schon fast zwei Jahrzehnten echt oft genug bereut habe. Nun konnte ich ihn endlich hochauflösend genießen und wiederentdecken - obwohl Look und Twists mir schon noch sehr bewusst waren. Wie könnten sie das auch nicht. Sie sind genial und verspielt. „Cypher“ ist noch immer ein gelungener Geheimtipp genauso wie er es Anfang der 00er schon war. Dabei waren bei Vincenzo Natalis Zweitlingswerk nach „Cube“ durchaus alle Augen auf ihm - und dennoch schaffte es „Cypher“ nie aus dessen Schatten oder allgemein in Gesprächsrunden. Ich denke, die Zeit ihn komplett zu rehabilitieren ist auch schon abgelaufen. Macht aber ja nichts. Ich empfinde die technisierte, fast monochrome Reise eines unauffälligen Wirtschaftsspions heute wie damals als faszinierend, clever und packend…
Glasfassaden & Grautöne
Für Fans von „Fight Club“ bis „Dark City“, von „Matrix“ bis „Der Maschinist“ sollte „Cypher“ ein heisses Eisen sein. Aus seinem noch spürbar geringen Budget holt Natali eine Menge heraus, obwohl dieser glatte Videolook gewöhnungsbedürftig ist, aber ein Zeichen seiner Zeit und irgendwie auch zu dieser kalten Welt passend. Manchmal ist alles (zu?) verwirrend, manchmal nicht weit entfernt von der Menschenfeindlichkeit eines „Equilibrium“, manchmal dann aber doch näher an der Wärme eines „Gattaca“. Seltsame Gerätschaften, undurchsichtige Großkonzerne, totale Überwachung. Orwell ist nie allzu weit weg. Lucy Liu bringt Schärfe ins Spiel. Da braucht es ziemlich krasse Tricks um dieses perfide System auszutricksen… Und uns Zuschauer gleich mit. „Cypher“ ist ein Faszinosum und hat sich gut gehalten. Er funktioniert auch besser als man denkt, selbst wenn man weiß, was dahinter steckt. Ein „Black Mirror“-Wegbereiter, den zu wenige kennen. Zwischen Flugmeilen und Hamsterrad. Eine Convention der Konventionen. Der Hauptdarsteller wirkt anfangs etwas steif, aber das ist konzeptuell. Im Grunde ist's trotz allem Agentenkram und Technikalptraum vor allem auch eine Anklage der Kapitalismustretmühle und ein Beispiel eines austauschbaren Rädchen im System, das jede Seite versucht zu bestechen und zu bearbeiten und für seine Zwecke zu nutzen. „Cypher“ ist Natali pur, ein Autorenwerk, ein Kind seiner Zeit und dennoch zeitlos gut. Durchgehend interessant und mit einer zum Schneiden dichten Atmosphäre. Wenn Action einbricht, ist auch die sehr solide. Techthriller slick af. Manchmal wird die Glaubwürdigkeit stark ausgeleiert. Funktioniert trotzdem. Versiertes Vexierspiel. Das. Ist. Gut.
Tripleagent der Tristesse
Fazit: schöner und verschachtelter, stilsicherer und intelligenter Sci-Fi-Noir mit ungewöhnlichem Look, genug Mystery, vielen Überraschungen und unnachgiebiger Sogkraft. Trotz seines eher DTV'igem Charakter. Sollte jedem Fan von futuristischen Denksportaufgaben äußerst gefallen!