2006 kaufte Disney Pixar auf, wollte dem umjubelten Studio dann aber doch nicht allein die Pole Position auf dem Markt für Animationsfilme überlassen. Und tatsächlich: Seit einigen Jahren meldet sich der zwischendrin schwächelnde Animationsgigant eindrucksvoll zurück.
Das gilt auch für „Zootopia“, der sich für das Disney-Spezialgebiet der menschelnden Tiere entscheidet. Heldin ist die Häsin Juddy Hopps, deren Werdegang eine weitere Disney-Spezialität darstellt: Der Du-kannst-alles-werden-wenn-du-nur-willst-Plot. Jene Traumumsetzung, nämlich Polizist zu werden, muss Judy gegen die ängstlichen Eltern, die Vorstellungen von natürlichem Verhalten und die Konkurrenz an der Polizeischule durchsetzen, was ihr allerdings mit Durchhalten gelingt, obwohl sonst Nashörner, Raubkatzen und Büffel hauptsächlich die Polizei stellen.
Nach bestandener Prüfung kommt Judy in die Hauptstadt Zootopia, die sich in verschiedene Zonen aufteilt und von einer großen Polizeitruppe kontrolliert wird. Dass Zootopia das Wort Utopie enthält, kommt nicht von ungefähr: In der Welt von „Zootopia“ leben alle Tiere in Harmonie, auch die Fleischfresser haben ihre natürlichen Instinkte überwunden und fressen die schwächeren Tiere nicht mehr. Verbrechen gibt es trotzdem noch, etwa die Betrügereien des Fuchses Nick Wilde, den Judy stellt, als der Chef sie zum Knöllchenschreiben verdonnert, während der Rest der Truppe die gefährliche Polizeiarbeit macht. Nicht nur in Sachen Spezies ist Nick ihr Gegenstück: Ein leichtfüßiger Verbrecher, sie die prinzipientreue Paragraphenreiterin. Verbindend ist nur, dass beide clever sind und zu den Besten in ihrem Metier gehören.
Judy klemmt sich schließlich an einen Fall, der das gesamte Revier beschäftigt: Das Verschwinden verschiedener Fleischfresser. Als Polizeichef Bogo ihr ein Ultimatum stellt, zwingt sie den streetsmarten Nick zur Zusammenarbeit…
Dass das besagte Ultimatum zwei Tage beträgt, ist kein Wunder, denn „Zootopia“ ist ein Buddy Cop Movie im Animationsformat. Doch nicht nur die Frist entstammt dem Genreklassiker „Nur 48 Stunden“, auch die erzwungene Kooperation Cop und Kriminellem lehnt sich daran an. Dabei nimmt „Zootopia“ gewitzt Genreroutinen aufs Korn, vom unzufriedenen Boss und der drohenden Suspendierung über Zeugenbefragungen bis hin zur Verschwörung bis in die höchsten Kreise. Doch neben der Hommage und gelegentlichen Parodie auf den Polizeifilm gibt es hier noch mehr Anspielungen zu entdecken, beispielsweise auf „Breaking Bad“ und „Der Pate“, aber auch mit dem Genre des tierischen Animationskomödie wird gespielt. Ist es in anderen Filmen und Serien um anthropomorphe Tiere (auch bei Disney) normal, dass diese ohne Kleidung oder ohne Hosen rumlaufen, so müssen Judy und Nick hier eine Befragung beim Nudistenyoga durchführen, die sie peinlich berührt. Die kleinen Gags gehen weit über den Filmbereich hinaus, etwa wenn aus der Bank Lehmann Brothers hier Lemming Brothers wird (es darf dreimal geraten werden, welche Tiere dort arbeiten).
Der Detailreichtum ist wirklich enorm, manche Gags nur für wenige Sekunden im Bild, wie beispielsweise das Angebot von Bootleg-DVDs, das ein Wiesel hat – alles Versionen von Disneys letzten Animationswerken etwa „Wrangled“ (statt „Tangled“) oder „Pig Hero 6“ (statt „Big Hero 6“). Dieser Aufwand kommt dem Film zugute, bei dem es nicht nur in jeder Sekunde Details zu entdecken gibt, sondern dessen Hauptfiguren einerseits etwas cartoonhaft überzeichnet sind, denen man aber gleichzeitig auch stets das zugrundliegende Tier sowie auch die individuellen Charaktereigenschaften ansieht. In den USA leihen Schauspieler wie Ginnifer Goodwin, Jason Bateman und Idris Elba den Protagonisten ihre Stimmen, hierzulande verzichtete man erfreulicherweise auf die Unart irgendwelche B-Promis ans Mikro zu zerren: Als Schauspieler und/oder Synchronsprecher tätige Profis wie Josephine Preuss (als Judy Hopps), Florian Halm (als Nick Wilde) und Robert-de-Niro-Stimme Christian Brückner (natürlich als Mafiapate) leisten hervorragende Arbeit und selbst Rüdiger Hoffmann passt als Faultier Flash wie die Faust aufs Auge, klingt nicht einfach nach Rüdiger Hoffman, sondern nach der Rolle, die er verkörpert.
Während viele der Anspielungen und Detailgags für erwachsene Zuschauer gedacht sind, funktioniert „Zootopia“ auch sehr gut als Animationskomödie, die vom pointierten Zusammenspiel seiner zwei Hauptfiguren profitiert. Die beiden spielen sich die Bälle nur so zu und sorgen für dynamische Worgefechte, während der Film mit wunderbar getaktetem Slapstick aufwarten kann (allein die genaue Beschreibung von Nicks Betrug mit dem Elefanteneis ist grandios). Und selbst die animierten Actionszenen begraben den Film nie, sondern unterstützen die Handlung. Besonders gelungen ist eine Verfolgungsjagd bei der Judy und der Verfolgte durch ein Mäuseviertel stürmen und dabei wie Godzilla-Figuren innerhalb der Ministadt wirken.
Für die Kleinen und Großen hat der Film auch noch Botschaften, die aber mit erstaunlich wenig Kitsch und ohne den großen Holzhammer vermittelt werden. Neben den obligatorischen Messages, dass man an sich glauben soll und alles dadurch schaffen kann, geht es vor allem um das – gerade in diesen Tagen sehr aktuelle Thema – der Toleranz und des Misstrauens gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Während Judy als erstes Kleintier bei der Polizei als Parabel auf Frauenquoten und Sexismus oder Diskriminierung im Job funktioniert, ist das irgendwann auflodernde Misstrauen zwischen Fleisch- und Pflanzenfressern eine interessante Thematisierung von Angst gegen über anderen Bevölkerungsgruppen und dem Generalverdacht, der eine Gruppierung treffen kann.
Ganz unproblematisch ist diese Parallele im letzten Schritt nicht, denn schließlich handelt es sich bei dem Verspeisen von Beutetieren um natürliche Impulse der jeweiligen Tiere, die in dieser Disneyvision zwar überkommen wurden, während in der Realität diskriminierte Gruppen ja keine „natürlichen“ Impulse für das Zusammenleben unterdrücken müssen. Andrerseits sollte man die Message des Films auch nicht verkomplizieren, denn es ist lobenswert und nicht ungeschickt wie Disney das anstellt, trotz dieses kleinen Denkfehlers. Manchmal schwelgt der Film vielleicht auch etwas sehr in seiner optischen Pracht (z.B. bei Judys Ankunft in Zootopia), doch das mindert seine Qualitäten kaum.
Insofern sichert sich „Zootopia“ die Position als wohl bester Animationsfilm der letzten Jahre spielend: Pointierte Gags, clevere Anspielungen auf das Genre des Buddy Cop Movies im Speziellen und die Popkultur im Allgemeinen und eine lobenswerte, nicht zu aufdringlich präsentierte Message machen den Streich der Disney Studios zu einem Vergnügen für Jung und Alt.