Generation: JumpScare
"Unfriend" hat es richtig schwer am Kinomarkt oder zumindest nicht so leicht, wie es ein überdurchschnittlich guter Grusler wie er sonst hätte. Sein Thema wurde vor einigen Monaten von Hollywood schon geschickt geklaut/vorweggenommen ("Unfriended"), eine deutsche Produktion (Regisseur Simon Verhoeven von "Männerherzen" & Co.) hat es nie leicht bzw. muss gegen Vorurteile ankämpfen, der Markt ist eh überflutet mit minderwertigen Horrorfilmen jedes Jahr & recht machen kann man es in diesem Genre sowieso nie allen. Auch meine Erwartungen waren gering, vielleicht sogar absichtlich, um eine positive Überraschung heraufzubeschwören, die ich irgendwie im hoffnungsvollen Unterbewusstsein hatte. Und siehe da: "Unfriend" ist ein Grusler von internationalem Format & durchweg gelungen. Nicht ganz ohne Fehler & mit recht wenig Innovation, vor allem wenn man viel & gerne Horrorfilme guckt, aber allseits beliebte Muster werden ansehnlich kombiniert. Nichts Neues, aus Deutschland aber noch nie so gut geliefert bekommen. Einen ähnlichen "Lazarus Effect" aus Hollywood steckt man z.B. locker in die Tasche.
In der temporeichen & kurzweiligen Geschichte nimmt sich eine Außenseiterin am College das Leben, nachdem sie mit ihrer aufdringlichen Art ihre neue, einzige & überall beliebte Freundin vergrault hat. Diese Freundin/unsere wirklich süß-sympathisch gespielte Hauptdarstellerin & ihre Clique, müssen sich von nun an seltsamen Visionen & Posts aus dem Jenseits aussetzen... Drum prüfe wer sich ewig liked - oder so ähnlich... Horrorfans sehen schon an dieser groben Zusammenfassung nicht nur eine Kopie der Geschichte des Desktop-Schockers "Unfriended" von vor einem halben Jahr, sondern auch Parallelen zu "The Ring", "Nightmare On Elm Street", "Silent Hill", "Das Omen", "Carrie" oder auch dem neuen "It Follows". Auch viele Bilder erinnern unverschleiert an die Klassiker. Nur steht halt jetzt alles in Zusammenhang mit dem Internet, über allem schwebt eine Botschaft gegen Mobbing & gegen oberflächliche Massen an virtuellen "Freunden".
Das Thema Internet wirkt noch recht frisch, genauso unverbraucht wie die Darsteller & ihre Charakter, von denen die meisten zwar flach aber sympathisch, nie zu mies oder elitär wirken. Da hat der Film zu seiner direkten Konkurrenz einen klaren Vorteil. Der Look ist auch hübsch & durchzogen von guten Ideen (animierte Internetclips, eklige Kurzvideos, tolle Beleuchtung), allerdings nie so genial wie die reine Computersicht aus "Unfriended"/"Unknown User". Aber für eine deutsche Produktion: Hut ab, verdammt schick, edel, ambitioniert. Auch wenn das nicht automatisch eine höhere Wertung mit sich bringt, sollten sich trotzdem viel mehr Produktion international solche Ziele setzen & sofort in englisch produziert werden.
Laut & pulstreibend, aber einfach viel zu inflationär & ähnlich benutzt, wurden mal wieder extrem basslastige, schnelle Jumpscares, die im Kino aber immerhin noch am ehesten ziehen. Kommt aber auch da aufs Publikum an. Zum Glück war auch die Atmosphäre im Hintergrund nicht ohne & trotz der extremen Anzahl an billigsten Erschreckern, war noch genug Grundanspannung vorhanden. Ich hoffe nur irgendwann erkennen sowohl Publikum als auch Filmemacher, dass Atmosphäre & die Angst vor dem Ungewissen, wesentlich effektiver & langanhaltender sind, als hervorschießende Zombieaugen hinter einem Guckloch. Ein weiteres Beispiel: das eindrucksvoll in den Soundtrack eingebaute, allseits bekannte Geräusch, wenn ein Handy zu nah am PC ist, oder das dezent eingefrorene Spiegelbild auf dem Desktop vor dem Sterben, sind viel schauriger als eine verweste Hand die nach dir greift wie schon 100 mal gesehen. Das ist dann eher Horror-Fast Food, die Katzenvideos des Genres & hier ärgerlich oft gebraucht. Hätte der Film nicht nötig gehabt. Das Ende rettet sich durch eine schmunzelnde Schleife noch, da der Film kurz davor im letzten Drittel doch noch etwas zu Lahmen begann.
Fazit: "Unfriend" braucht sich vor internationaler Konkurrenz absolut nicht verstecken & verknüpft bekannte Horrormuster gekonnt mit unser aller größten, momentanen Sucht: Anerkennung, Popularität, Internet.