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Ist Quentin Tarantino noch der innovative Reanimateur längst beerdigter Spartenkost? Sieht er sich noch im Stande, sozusagen Paradigmenwechsel im Filmgeschäft zu erzwingen, die für beinahe die gesamte Genrekonkurrenz bindend sind? Oder zitiert sich der Mann inzwischen hauptsächlich selbst? Eine Frage, die sich derzeit aufdrängt, wenn man den achten Film des kompromisslosen Regisseurs mit dem nicht ganz zufällig gewählten Namen „The Hateful 8" im Kino ansieht.

Zu den Tönen des Altmeisters Ennio Morricone gewinnt ein hölzernes Jesusgesicht langsam an Kontur. Das Bild wandert den schneebehafteten Skulpturenkörper entlang, gleitet hinüber in die Weite und fängt einen schwarzen Punkt im weißen Hintergrund ein. In Ultra Panavision 70, dem Format, das einst Monumentalfilmen der Sorte „Der Untergang des Römischen Reiches" ihr Licht schenkte, zeichnet sich immer deutlicher eine sich nähernde Postkutsche ab, die sich den gesamten Vorspann Zeit nimmt, durch das winterliche Nichts hindurch auf uns zuzusteuern. Dazu werden in großen Lettern, wie man das aus den besten Tagen des Western kennt, die am Film Hauptbeteiligten präsentiert. Und doch wird es in den kommenden 167 Minuten weder klassisch, noch episch. Sondern zäh und zermürbend. Grimmig und garstig. Rätselhaft und fraglich. Vielleicht sogar fragwürdig.

Es sind typische Tarantino-Figuren, die sich in einer durch einen Blizzard von der Außenwelt abgeschnittenen Hütte im Nirgendwo Wyomings versammeln. Man kennt sich nicht und man traut sich noch weniger. Schnell ist das Kammerspielszenario aus dem Debut des ambitionierten Regisseurs präsent („Reservoir Dogs", 1992), das hier Erinnerungen wachruft und ein Déjà-vu andeutet. Nun sind es also ein weißer Kopfgeldjäger (Kurt Russell), ein schwarzer Kopfgeldjäger (Samuel L. Jackson), der zudem einst Unionsoffizier gewesen sein möchte, ein in den Ruhestand getretener Konföderierten-General (Bruce Dern), ein zukünftiger rassistischer Sheriff (Walton Goggins), ein englischer Henker (Tim Roth), ein Cowboy, der seine Mutter besucht (Michael Madsen), ein weiblicher Punchingball (Jennifer Jason Leigh) an der Kette des weißen Headhunters und eine Reihe weiterer zwielichtiger Gestalten, die als menschliche Bizarrerien in ein bewusst der Realität entflohenes Setting gesetzt werden. Und alle erfüllen sie die ihnen zugedachte Aufgabe.

Samuel L. Jackson beerbt Brad Pitt und Jamie Foxx. Wie einst die beiden kühlt der schwarze Kopfgeldjäger sein Mütchen an all jenen, die ihm Übles wollen oder die er als Schufte entlarvt hat. Und das heißt nichts anderes, als dass er ebenso wenig von neutestamentarischem Auch-die-andere-Wange-hin-halten hält wie alle von Tarantinos Anti-Helden bisher. Da wird gemordet und gefoltert und - als neues Element - sogar der weiße Rassenstolz sexuell gezüchtigt. Im letzten Drittel des Films muss sich ein Sklavenjäger im Schnee entkleiden, seinen Todesmarsch antreten und kurz vor seinem Kopfschuss Samuel L. Jackson oral befriedigen. Dass bei dieser ganz neuen Dimension stilwidriger Kino-Rache die aktuelle Situation in den USA Pate steht, ist offenkundig. Die Frage ist, was diese Form von Kanalisierung persönlicher Antipathien an echtem Zugewinn bringt, außer, dass man sich mal richtig Luft gemacht hat. Die mancherorts von gegenseitiger Verachtung geprägte, explosive Stimmung nach den Vorfällen in Ferguson und Charleston wird davon jedenfalls kaum entschärft. Sklavenjäger gibt es zwar zum Glück schon lange nicht mehr, Vorurteile, Selbstsucht und Missgunst aber schon. Durch die seinen Figuren in den Mund geschobenen Dialoge spuckt Quentin Tarantino nicht nur Gift und Galle, sein eigentlich löblicher Antirassismus verkommt zu neurotischem Hass. Das mag man penetrant, ungeschickt, unterhaltsam, angebracht finden oder nur achselzuckend hinnehmen, der Regisseur jedenfalls richtet - analog zum echten Leben - den Fokus mehr und mehr auf die von ihm vermittelte Botschaft, weg vom reinen Primat der Kunst. Nun widersprechen sich diese zwei Herangehensweisen zwar nicht direkt, doch wäre hier im Sinne halbwegs kultivierter Unterhaltung ein gebotenes Gleichgewicht angezeigt. Diese Balance lässt der recht unsensible Querkopf sehr nachdrücklich und ganz ausdrücklich missen. Und das soll man wissen.

Es sind noch mehr Gestalten, die vertraut wirken und die nahe legen, dass der Meister beim eigenen Œuvre klaut. So erinnert Tarantino-Veteran Tim Roth (der englische Henker) in seinem verqueren Habitus an Christoph Waltz, wenn ihm auch nicht dessen Aufmerksamkeit zukommt und er zudem nicht dessen latentes Genie transportiert. Da wäre ferner Kollege Michael Madsen, der sich zwar seit jeher entwicklungsresistent selbst spielt, doch trägt auch er sein Scherflein dazu bei, als Zuschauer den Eindruck zu gewinnen, Gewohntes zu sehen. Auch Walton Goggins wärmt seine Rolle als schmieriger Rassist und gewissenloser Handlanger aus „Django Unchained" wieder auf, wenn auch das Ende des Films seine Figur diesmal etwas differenzierter zeichnet. Nur Jennifer Jason Leigh („Existenz" 1999) ist ein Neuling. Der weibliche Prolet und waschechte Galgenvogel bringt in mehrfacher Hinsicht einen echten Zugewinn. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Story und verbindet deren wesentliche Komponenten schwung- und sinnvoll miteinander.

Nach 100 Filmminuten trivialer Dialoge, die den tatsächlich vorhandenen oder nur verblüffend geflunkerten Wortwitz, der die Mehrzahl der Filme Tarantinos auszeichnet, beinahe gänzlich vermissen lassen, fällt wie aus dem heiteren Himmel der erste Schuss. Nun wird für eine Viertelstunde, und zwar der einzig vorzüglichen des Films, Agatha Christie gedacht und beschwingte fünfzehn Minuten lang geschickt Cluedo gespielt. Samuel L. Jacksons schwarzer Kopfgeldjäger schlüpft in die Schuhe des Hercule Poirot und gibt eine wunderbare Figur ab, die für einen viel zu flüchtigen Augenblick bezeugt, zu welchen filmischen Großtaten Quentin Tarantino einst fähig war. Es ist nicht nur eine Schande, sondern bereits programmatisch, dass sich diese wunderbare Szene unvermittelt, wenn auch erwartungsgemäß, in eine absurd blutige Orgie närrischer Gewalt entlädt, die schon das Ende von „Django Unchained" zu einem zweifelhaften Abschluss brachte.

Die passende Allegorie für Quentin Tarantinos aktuelles Straucheln ist eine Tür. Und zwar die zum sturmumtobten Asyl der versammelten Kammerspieler. Die schließt nämlich nicht mehr und muss nach jedem Öffnen erneut zugenagelt werden. Und so wird quasi als rohrkrepierter Running Gag der Geschichte wieder und wieder gehämmert. Dabei ist dieses sinnlos in die Länge gezogene Element weder komisch, noch effektvoll, noch brauchbar. Außer in der Hinsicht, dass es als eine Versinnbildlichung der zum Teil ermüdenden Einfallslosigkeit des Skripts dienen mag und die geringe Motivation seines Autors aufzeigt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Ballast über Bord zu werfen.

Wie dereinst bei „Death Proof" (2007) erhebt Quentin Tarantino filmischen Nonkonformismus zum Prinzip seines Arbeitens und versucht, die Erwartungshaltung des Zuschauers wohlberechnet zu zerstören. Dass er dabei streckenweise seinen ureigenen Stil derart überstrapaziert, dass der beinahe fremdkopiert wirkt, mag den einen freuen, den anderen verschrecken. Es lässt sich jedenfalls schwer leugnen, dass die in mehrfacher Hinsicht an den Tag gelegte profane Aufdringlichkeit seiner filmischen Ambitionen derzeit mitunter schwer verdaulich ist. Kann es sein, dass der Maestro mit seiner vollmundigen Ankündigung, es sei bei ihm nur noch Wille für zwei weitere Produktionen vorhanden, einen Offenbarungseid dahingehend leistet, dass ihm die Ideen ausgehen? Niemand hofft das. Doch wäre er im Mekka der US-amerikanischen Filmindustrie damit wahrlich nicht der erste und außerdem in leidgeprüfter Gesellschaft.

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