Lou Ford ist Deputy Sheriff in Central City, einer kleinen Bergarbeiterstadt in Montana. Lou Ford liebt seinen Job und die Lehrerin Amy. Lou Ford wird von allen respektiert und geachtet. Egal wie hoch die Emotionen gerade gehen, und es ist egal ob zwei Betrunkene sich prügeln oder ob der Sohn des Chefs mit dem Bagger auf Streikende losgehen will, wenn Lou Ford dazwischen geht geben alle klein bei. Lou Ford ist wohlanständig, ruhig und respektabel. Und wenn es ihm dann mal langt, dann geht er raus, tötet zwei oder drei Menschen, und dann ist alles wieder gut.
Der Schriftsteller Jim Thompson war der Mann für die Gestrauchelten und die Gefallenen. Seine Romane sind keine Beschreibungen einer Welt wie man sie gerne hätte oder sie sich erträumt. Jim Thompson hat aus eigener Erfahrung vom Bodensatz der Gesellschaft geschrieben, vom Scheitern noch so winziger Hoffnungen, und von Gewalt, Sex, Drogen und Alkohol. Wo Bukowski prosaisch und Burroughs künstlerisch war, da war Thompson einfach nur realistisch und bitter.
Entsprechend ist die Verfilmung des Thompson-Romans The killer inside me auch keine pathetische Darstellung abgestürzter Alkoholpoeten. Nein, die Charaktere hier sind eigentlich ganz normale Menschen. Eigentlich. Deputy Lou macht seinen Job, kann sich seiner Liebe Amy seit 5 Jahren nicht so recht erklären, und ist ein super Kumpeltyp für die nächste Kneipe und für die übernächste auch noch. Der Minenboss Chester Conway ist ein korruptes Arschloch das Bürgermeister werden will, und dabei über seinen etwas tumben und dauergeilen Sohn Elmer stolpert, der sich in die Nutte Joyce verliebt hat. Lou Ford bekommt den Auftrag, zu Joyce zu fahren, mit ihr zu reden, und sie bitten die Stadt zu verlassen. Und was ist wenn sie nicht will. Herrgott, Lou, sie soll einfach abhauen. Doch Lou Ford verknallt sich ein wenig in Joyce - Sie so ganz anders ist als seine Lehrerin. Viel verruchter und verkommener … Oder warum sonst gehen Männer zu Huren?
Diese Beziehung macht die Geschichte nicht simpler: Lou schlägt Joyce grün und blau, und Joyce geht daraufhin zu Conway, erklärt diesem dass Elmer sie geschlagen hat, und sie 50.000 Dollar will damit sie das Maul hält. Conway zahlt, und Lou überredet ausgerechnet Elmer, Joyce das Geld zu bringen, damit die beiden abhauen können. Aber Joyce will nicht mit Elmer, Joyce will mit Lou.
Man merkt schon, das ist keine ganz einfache Situation, die aber elegant gelöst wird: Einen Genickbruch und sechs Kugeln später ist die Lage durchaus bereinigt. Was jetzt gewalttätig klingt, und in der 2010er-Verfilmung von Michael Winterbottom allem Anschein nach auch genauso umgesetzt wurde, nämlich unter dem Einsatz äußerster Brutalität, das geschieht in dieser älteren Fassung fast beiläufig. Das Zusammenschlagen der Hure, der Tod des gewünschten Verdächtigen, das sind alles eher zufällige Akte der Gewalt, die eigentlich kaum weiter auffallen. Sie unterbrechen den Fluss der Handlung nicht, und sind genau darum umso verstörender.
Nein, die brutale Komponente von KILLER INSIDE ME ist eine andere. Der Film ist beileibe nicht der Psycho-Thriller als der er beworben wird dafür fehlen ihm Tiefe und das Gespür des Regisseurs. Aber er ist eine erstklassige Studie einer Gesellschaft, die sich aus „Gewalt, Habgier und Korruption“ definiert. So beschreibt die deutsche Wikipedia die wesentlichen Komponenten der Romane Jim Thompsons, und genau diese Attribute sind es, die das Universum des Films ausmalen. Jeder hat seine dunklen Seiten, jeder tickt irgendwann mal aus und mutiert zur Wildsau, und dass eine reine und aufrechte, fast jungfernhaft gezeichnete, Idealistin wie Amy da unter die Räder geraten muss, das erstaunt in keinster Weise. Es verwundert höchstens, dass Amy dazu fünf Jahre braucht, aber sonst? Der Minenbesitzer ist es längst gewohnt, dass sich die Sauf- und Gewalteskapaden seines missratenen Sohnes mit Geld aus der Welt schaffen lassen, der Sheriff nimmt anscheinend auch bevorzugt die Anweisungen des Minenbesitzers entgegen und verkauft diese als polizeiliche Maßnahmen, und der Staatsanwalt und der Deputy gehen zusammen auf die Jagd und klüngeln. Und dies sind noch die „ehrenwerten“ Mitglieder einer Gesellschaft, von den Huren, den Säufern und den zu kurz gekommenen wollen wir da gar nicht erst reden. Diese Gesellschaft wird mit ruhigem Atem und mit Liebe zur Narration erzählt, und das ist es auch was hier wirklich zählt.
Schade ist halt, dass die Verkommenheit einer solchen Gemeinschaft nicht so richtig rüberkommt, dass die Analogie der kleinen und fiktiven Arbeiterstadt zur großen und realen Welt nicht genauer beleuchtet wird. Regisseur Burt Kennedy würde ich auch aufgrund seiner andern Arbeiten eher als braven Handwerker betrachten, der die Feinheiten einer düsteren und nur auf den eigenen Vorteil bedachten Gesellschaft nicht so herausarbeiten kann, wie es dem Film gut tun würde. Dazu kommt das schauspielerische Talent Stacy Keachs, das der vielschichtigen Person des Lou Ford auch nicht wirklich gerecht wird. Lou Ford leidet an Schizophrenie – Er hört Stimmen, er hat Erscheinungen, und aufgrund dieser Stimmen und Erscheinungen verliert er manchmal die Kontrolle und schlägt zu. Ein Killer lauert in ihm, der durch irgendwelche wilden Jugenderlebnisse immer wieder einmal die Oberhand gewinnt und Blut sehen will. Aber die Zerrissenheit dieser Figur kann Keach einfach nicht so recht darstellen, er ist eher der aufrechte Gesetzeshüter mit dem schlimmen Schatten auf der Seele. Beziehungsweise der sympathische aber leicht eingeschränkte Schauspieler mit dem kantigen Gesicht.
Wer also annimmt, dass KILLER INSIDE ME der ultimative Vorgänger eines, sagen wir, MANIAC COP ist, der unter dem Einsatz äußerst verstörender Gewaltszenen die Schauwerte eines durchschnittlichen Thrillerfans befriedigt, der kann nicht weiter entfernt liegen. Der Film ist dunkel, er ist bitter, und er ist, bis auf das letzte Viertel, wo der Regisseur die nicht so recht funktionierende Thrillerhandlung forciert, dicht erzählt. Lou Ford gehören alle unsere Sympathien, und wir wünschen ihm so sehr, dass er die Kurve kriegt und endlich um die Hand seiner Amy anhält. Und dieser Teil der Geschichte, der die Entwicklung von Lou Ford beschreibt, der lohnt die Sichtung in jedem Fall.