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Das Bahnhofskino, in den 1950ern zur Unterhaltung wartender Reisender etabliert, korrigierte seinen Fokus von Nachrichten in Form von Wochenschauen bald auf B-Movies und Genre-Filme, die seit jeher Möglichkeiten boten, mit meist überschaubarem Budget etwas auszuprobieren oder Grenzen auszuloten – nicht selten mit krudem, oftmals indes schwer unterhaltsamem Resultat. Der deutsche Regisseur Oliver Schwehm („German Grusel - Die Edgar Wallace-Serie“) widmet sich in seinem rund einstündigen Dokumentarfilm „Cinema Perverso“ aus dem Jahre 2015 diesem in den 1980ern untergegangenen und in Vergessenheit zu geraten drohenden bundesdeutschen Phänomen auf kurzweilige Weise.

Nach einem herrlich reißerischen Intro im alten Stil wechseln sich die Original-Statements zahlreicher, nicht nur aus der Filmbranche stammender Interviewpartner wie Jörg Buttgereit, Wolfgang Niedecken, Uwe Boll, René Weller oder Christian Anders mit vielen Film- und Trailer-Ausschnitten ab, die einen sofort sogartig in die Faszination für das Bahnhofskino und seine Filme ziehen. „Cinema Perverso“ erzählt, wie manch Film in den Bahnhofskinos wiederentdeckt oder auch durch Umschnitte und Verknüpfungen mit fremdem Material erweitert wurde. Sog. Mondo-Filme und Eastern sind ebenso Thema wie der großartige Reißer „Blutiger Freitag“ mit Raimund Harmstorf und schließlich die grassierende Sexwelle mit Russ Meyers US-Oberweiten-Fetisch-Flicks oder den insbesondere hierzulande beliebten Eigenproduktionen, den (Pseudo-)Report-Filmen. Der esoterisch vollkommen verhuschte Christian Anders äußerst sich zu seiner „Todesgöttin des Liebescamps“ (inkl. kultigen Ausschnitten) und der eitle Ex-Boxer René Weller weiß vom Nürnberger Kulturgut Nr. 2 (nach den Lebkuchen), „Macho Man“, zu berichten, in dem er die Hauptrolle spielte.

Zunehmend hielt grafische Härte Einzug in die Bahnhofskinos, hier anhand der „Ilsa“-Trilogie und der Entwicklung des Splatterfilms nachvollzogen, bevor der Siegeszug der Heimvideos dem Bahnhofskino den Garaus machte. Der streitbare Filmemacher Uwe Boll erläutert dann noch einmal treffend, welch attraktive Chancen das Bahnhofskino jungen Filmemachern bot. Damit bietet „Cinema Perverso“ einen angenehm niedrigschwelligen Zugang in diese für jüngere Zuschauer vollkommen fremde Welt, spült Erinnerungen älteren Publikums an die Oberfläche und setzt dieser ehemaligen deutschen Kino-Institution ein ebenso informatives und historisch gut recherchiertes wie humorvolles, oftmals augenzwinkerndes Denkmal.

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