Das Bahnhofskino ist ein Phänomen, das es nur in der alten Bundesrepublik gab. Die Bahn errichtete nach dem Zweiten Weltkrieg an größeren Bahnhöfen eigene Kinos für die Reisenden. Der Dokumentarfilm unternimmt eine unterhaltsame Reise in diese Terra incognita der deutschen Filmgeschichte und liefert ein Stück Archäologie der Alltagskultur.
Einen recht amüsanten Blick auf die Welt des Bahnhofskinos wirft diese einstündige Dokumentation. Von der Gründung nach dem Krieg mit dem hehren Ziel Zugreisende bis zur nächsten Verbindung zu unterhalten bis zum Ende so etwa in den 80ern und dem Abstieg zum sogenannten "Schmuddeltempel" lud man sich zahlreiche interessante Gäste, darunter auch eher filmfremde wie BAP Sänger Wolfgang Niedecken oder den Ex-Boxer Rene Weller, wobei letzterer eigentlich nur mal wieder eher selbstverliebte Phrasen drischt.
Interessant dabei ist aber zu erfahren, das sich entgegen der allgemeinen Meinung nicht nur Kerle in Regenmänteln den neuesten Schulmädchen Report anschauten, sondern das sogar hier sich eine richtige Kultur von Filmen entwickelte, die in den großen Kinos nie gezeigt wurden. Da übernahm man quasi die Rolle der Privatsender aus der heutigen Zeit und zeigte B- bis Z-Movies aus allen Sparten und Genres. Mein persönliches Highlight war die alte Ticketverkäuferin, deren Nikotinzähne in Großaufnahme eingeblendet wurden und die mit stoischer Ruhe eine Auswahl der reißerischsten Titel, die damals so liefen und von denen ich verdammt nochmal die Hälfte mindestens haben möchte, wiedergibt.
Auch nett die Auftritte der beiden Regisseur Uwe Boll und Jörg Buttgereit, deren meiste Filme ja auch typische Kandidaten fürs Bahnhofskino wären, die auch recht launig ihre Erfahrungen präsentieren. Garniert wird das Ganze noch von zahlreichen Ausschnitten aus den abstrusesten Werken und abgenudelsten Filmrollen (liefen damals ja in der Endlosschleife, sogar nachts), da schaltet man doch gerne spätabends auf selten gebrauchte Sender wie RBB. Die Doku ist jetzt zwar sicher nicht das tiefgründigste Stück Filmgeschichte, bietet doch einen launigen Blick auf ein Stück ausgestorbene Filmwelt.
7/10