Review

Creed

Spoiler inside...

Mit Creed passierte etwas, was ich seit Jahren nicht mehr erlebte. So viel vorweg; Das ist ein ganz fantastischer Film. Aber nach etwas mehr als einer Stunde mit dem siebten Sprössling dieser Filmreihe, musste ich ziemlich inne halten und saß mit offenem Mund im Kino. Wow...ein harter Schlag in den Magen filmisch treuer Rocky-Fans. Ich stand auf und ging kurz vor den Saaleingang, setzte mich auf eine der kleinen roten, mit Stoff bezogenen Bänke und schaute hinaus ins Dunkel. In diesem Moment wusste ich, dass ich heute kein Review zu Creed schreiben kann. Dass es dann fast drei Monate brauchte, spricht nur für den Film und für meine Beziehung zum "Italian Stallion". Nach einer symbolischen Schweigeminute hebelte ich den Deckel meines eben geholten Gerstengetränkes aus und musste wirklich ein paar Tränen drücken...

40 Jahre, 7 Filme in allen Qualitäten...und DER MANN war immer dabei - Sylvester Stallone. Wahnsinn! Seine wilden, sturen und quasseligen Tage aus Rocky 1 und 2 standen am Anfang eines filmisch einzigartigen Dokuments. Zwei rohe, liebevolle Sportfilme, dessen erster Ausflug einst mit dem Oscar als bester Spielfilm prämiert wurde. Das tolle an den ersten beiden Rocky's war dieses ungestüme Herz der Titelfigur. Seine große Liebe Adrian, sein Trainer Mickey und der gute alte Paulie. Rocky war der Kitt in dieser Symbiose aus Liebe, Mut, Fall und Lebensgeist. Ich mag die ersten beiden Rocky Filme sehr, da sie den wackligen Start eines jungen Kämpfers, mit all seinen Tücken, Lichtern und Fehlern zeigten.

Rocky III und IV waren dann eben der Bogen des großen Erfolges. Das große Geld, Familie, Freundschaft mit Apollo Creed, der Kampf gegen den legendären "Clubber" Lang und dem Spiegel des "Kalten Krieges" in filmischer Sicht. Der vierte Film, mit seiner sehr madigen politischen Leier, mag ein Kind seiner Zeit sein, aber auch diese Episode zieht mit. Die Rache an Ivan Drago in Russland mag kein menschlicher Geniestreich sein, aber unter Fans - und auch bei mir - ist er nach wie vor beliebt. Mir fällt keine weitere Filmreihe ein, die über 40 Jahre das Leben um eine einzige Person so umfassend dokumentiert. Im Gesamtkontext sehr wahrhaftig.

Mit Rocky V kam dann der gierige Abgesang. Aller Reichtum dahin, der Glanz alter Tage weg und Rocky wieder in den Spuren geknickter Sphären. Seine großen Tage schienen vorbei und als Trainer wollte er es nochmal wissen, scheiterte aber im gesamten Franchise sowohl menschlich, filmisch wie im Herzen. Ein mahnender Film. Rocky V ist bezeichnend für die Überschätzung der eigenen Möglichkeiten. Stallone gab einst zu, diesen Film nur wegen des Profit gemacht zu haben, aber Rocky V passt in die Reihe. Die schwachen Momente des Lebens einer schillernden Figur.

2006 lächelten dann vorab beinahe alle über Stallone's vermeintliche Rückkehr in den Ring. Doch mit dem Auftreten des sanften Hünen verstummten fast alle. Rocky Balboa. Das sensible und leise Alterswerk. Des Lebens Müde, seine geliebte Frau Adrian Tod, das Verhältnis mit dem Sohn äußerst verhärtet und auf drängen der Möglichkeit, Spielfreude und eines Gauklers im Herzen, wagt sich der alte Balboa noch mal in den Ring. Die pure Selbstreferenz, herrlich genuschelter Humor und viele sehr starke Dialoge und Gedanken über Demut, das Alter und dem würdigen Leben auf dem Teppich der Vernunft. Die Kampfchoreographie mag jetzt nicht besonders gut sein, aber der Film schlug mit seinem andächtigen Ton an alte Triumphe dermaßen gewaltig in mein Herz und bis zum heutigen Abend, ist Rocky Teil Nummer 6 mein liebster Sportfilm. Alle lächelten über Stallone, aber er dichtete und inszenierte sich nicht mehr als Übermenschen, sondern als wehmütigen und gebrochenen Mann, der einem auch das Loslassen lehrt. Gänsehaut macht sich in mir breit, wenn ich an die vielen Sichtungen der letzten Jahre denke.

Und nun Creed. Zugegeben. Als der Trailer vor einiger Zeit an mir vorbei waberte, riss mich noch nichts. Die vielen guten Stimmen und Kritiken loderten langsam. Das Leben in seiner ganzen Breite. Klischees werden bewusst wahrgenommen, aber durch die absoluten Glanzleistung unter den einzelnen Darstellern, wirken die Konflikte und Momente angenehm erdig, situativ und brechen nie über unangenehme Kitschschwellen. Auch eine gewisse Vorhersehbarkeit darf man nicht unterschlagen, wobei jeder Kampf auch ein verlorener sein kann. Der Sieger der Herzen. Michael B. Jordan ist ein ganz großartiger Schauspieler - was ich nach dem letzten Fantastic4 nicht erwartet hätte. Mimik, Dialog und die physische Präsenz sind einmalig, reißen mit und wandeln das große Rocky Franchise bestmöglich in ein Neues. Ist es ein Rocky Film? Ist es ein Creed Film? Die Melange ist einfach grandios und selten hat man einen Abschlag aus Zukunft und Vergangenheit so flott, empathisch und auch humorvoll gelöst. Alle Emotionen, Gespräche und Blicke greifen hier. Es wird zurecht gelacht, geweint, geflucht, trainiert und gekämpft. Auch die kräftigen und sehr gut in Szene gesetzten Ringszenen ziehen mit, sind nicht zu lang und weiden sich nur so weit in Pathos, wie es dem Konstrukt gut tut.

Von Regisseur Ryan Coogler darf man in Zukunft gutes erwarten. Ein sehr gut gemachter, mit großartiger Musik unterlegter Film, der die Brücke von über 40 Jahren so spannt, dass sie nicht an der Vergangenheit erstickt und den Raum für künftiges entflammt und hoffen lässt.

Heimliches Highlight ist, trotz all der hervorragenden Leistungen hinter und vor der Breitwandlinse, der alles überstrahlende und sehr zurückgenommene Sylvester Stallone. Durchwoben mit vergangenen und verflossenen, gibt Stallone seine vielleicht beste und persönlichste Darstellung neben dem letzten Rocky Film. Ach was hätte ich ihm den Oscar 2016 gegönnt. Er bleibt wohl wiederholt ein Sieger der Herzen. 40 Jahre durch ALLE Tiefen und Höhen diese Figur so aufrecht zu erhalten - ehrlich. Mir fällt immer noch keine weitere Filmreihe ein, die das so lange am flackern hielt. Als er dann mitten im Film die Diagnose Krebs im Frühstadium erhält, musste ich schlucken und mal kurz den Saal verlassen. Es ist nichts neues, dass ein Drama solche Kniffe aufweist, aber so schürfend und doch hinnehmend, wie es Stallone hier spielt - dieser Mann lebt eine Filmrolle wie kein Zweiter. Die Kombination Jordan & Stallone gegen die Krankheit und für den anstehenden großen Tag im Ring ist einfach erwärmend, echt und schwankt nie zu sehr aus dem Auge der Glaubwürdigkeit. Starke und dramatische Momente, gut verteilter Humor und eine wenig kitschige Beziehung zwischen Jordan und Filmpartnerin Tessa Thompson(auch sehr talentiert) machen das Universum um Rocky Balboa zu einem - bisher - grandiosen Schlusspunkt und öffnet im gleichen Zug die Pforten zu Creed und Co.

Als ich nach ein paar Minuten wieder den Saal betrat, mir noch ein Gerstensäftchen köpfte und wieder in meiner Ecke des Ringes platz nahm, drückte ich die Tränen weg und schaute mir den Rest dieses wunderbaren Filmes an. Rocky Balboa ist und bleibt mein absoluter Liebling. Trotzdem riss mir Creed die Laken unter den Füßen weg und ließ mich weit über den Abspann hinaus grübeln, nicken und denken. Ich freue mich schon sehr auf die Blu-Ray im Mai. Ein Abgesang auf alte Tage, die Würde im Alter und der quirlige und quasselnde Jungspund beim Erschaffen seiner eigenen Legende.

Creed ist vor allem der der zweite Film einer Reihe - und wieder fällt mir keine zweite ein -, dem ich eine 10 mit Herz anklebe. Und der Kreis schließt sich...nach 1976 ein weiteres mal...10

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