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„Die Flucht könn‘ sie von der Steuer absetzen!“

Regisseur Peter Timm („Go Trabi Go“, „Rennschwein Rudi Rüssel“), gebürtiger Ost-Berliner, wurde 1973 aus der DDR ausgewiesen. Ab der zweiten Hälfte der 1970er engagierte er sich im politischen Kabarett, in den 1980ern dozierte er an einer Schauspielschule. 1986 erschien sein erster Spielfilm „Meier“, zu dem er auch das Drehbuch verfasste, das in seiner Heimat angesiedelt wurde und sich auf satirisch-komödiantische Weise mit der Absurdität des Ost/West-Konflikts zu Zeiten des Kalten Kriegs auseinandersetzt.

„Um Zehn gibt’s doch im Osten ‘nen Western!“

Tapezierer Ede Meier (Rainer Grenkowitz, „Nur eine Hure“) lebt in Ost-Berlin mit seiner Freundin Lore (Nadja Engelbrecht, „Coplan – Entführung nach Berlin“) zusammen. Als er von seinem West-Berliner Vater eine hübsche Summe erbt, investiert Ede das Geld in einen falschen West-Berliner Personalausweis und anschließend in eine mehrwöchige Weltreise. Zurück in West-Berlin überrascht er Onkel und Tante damit, keinerlei Ambitionen für eine West-Karriere zu hegen und stattdessen per Tagesvisum immer wieder nach Ost-Berlin „einzureisen“, wo er seinem alten, gewohnten Leben nachgeht. Als er jedoch der DDR-Mustertapeten überdrüssig wird, bekommt er eine Idee, wie er sich seine inoffizielle Zweistaatlichkeit gewinnbringend zunutze machen kann: Er importiert BRD-Raufasertapete, die sich im Ostteil größter Beliebtheit erfreut und behauptet, eine Maschine entwickelt zu haben, mit der er die Mustertapete in Raufaser umwandelt. Seine Brigade erlangt die Aufmerksamkeit der Behörden und Ede wird zum „Helden der Arbeit“ gekürt. Doch auf Dauer gehen Doppelleben und die ständigen, minutiös getimten Ein- und Ausreisen nicht gut…

Peter Timms weitestgehend unbekanntes Regie-Debüt entpuppt sich als wahres Kleinod, das nicht nur perfekt Zeit- und Lokalkolorit des geteilten Berlins Mitte der 1980er-Jahre (die Videospielautomaten!) einfängt und transportiert, sondern dem auch das Kunststück gelingt, bei Verweigerung an der Beteiligung jeglicher Kalter-Kriegs-Propaganda eine auf beide Seiten abzielende unaufgeregte, doch äußerst gehaltvolle Satire zu entfalten. Dabei wird das gängige Klischee vom armen, geknechteten Ost-Arbeiter, der es kaum erwarten kann, in den „goldenen Westen“ rüberzumachen, ebenso entkräftet wie der DDR-Staat entdämonisiert, ohne dessen autoritäre Strukturen zu ignorieren, im Gegenteil: Sie werden süffisant aufs Korn genommen. Man merkt Timm stets seine DDR-Biographie an, aufgrund derer ihm ein differenziertes Bild vom Leben in Ost-Berlin zu zeigen möglich wird. Darzustellen, wie jemand die Chance bewusst verstreichen lässt, sich eine Existenz in der BRD aufzubauen und sich das Recht herausnimmt, „drüben“ glücklich zu sein, dürfte auf Westseite ebenso als provokant aufgefasst worden sein wie die Verballhornung der DDR-„Mangelwirtschaft“ und des Ministeriums für Staatssicherheit sowie anderer DDR-Behörden mit ihrem Arbeits- und Orden-Fetisch auf Ostseite. Dass manch Schauspieler dabei auch optisch an DDR-Obere erinnern, sorgt für zusätzliche Authentizität und macht den Spaß perfekt.

Bei aller komödiantischen Überzeichnung durchaus authentisch wirken auch die übrigen Charaktere, die verschiedene Typen Ost-Berliner verkörpern, ohne sie als reine Abziehbilder zu skizzieren – weniger aufgrund perfekten Schauspiels als wegen der Auslegung der Rollen. Ferner erhält der Zuschauer Einblicke in den DDR-Arbeitsalltag, speziell des Tapeziererhandwerks, in DDR-Feierkultur und Grenzer-Habi- und Duktus, Nadja Engelbrecht gibt sich als Lore sehr freizügig und Kabarettist Dieter Hildebrandt taucht in einer Nebenrolle als „Hamwanich“-Kellner auf. „Meier“ ist ein wunderbares Dokument deutsch-deutscher Gegensätze, Gemeinsamkeiten, Beziehungen und Abhängigkeiten mit einer dem Ganzen innewohnenden Wahnsinn Ausdruck verleihenden und nur allzu wahren Pointe und insbesondere dadurch interessant, dass es eben nicht erst wie z.B. „Sonnenallee“ nach Auflösung der DDR entstand, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem kaum jemand ernsthaft an eine Wiedervereinigung glauben mochte. Wem „Sonnenallee“, „Kleinruppin Forever“ u.ä. gefällt, sollte unbedingt auch Ausschau nach „Meier“ halten!

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