Cowboys, Wilde und Indianer
Der Mix aus Western und phantastischen oder Horrorfilm-Elementen reicht im Grunde zurück bis in die 50er Jahre: "The Beast of Hollow Mountain" (1956), "El jinete sin cabeza" (1957), "Teenage Monster" (1958) und "El grito de la muerte" (1959) markieren den Beginn einer kleinen Welle, die mit "El Charro de las Calaveras" (1965), "Billy the Kid vs. Dracula" (1966) und "Jesse James Meets Frankenstein's Daughter" (1966) Mitte der 60er Jahre (mit mehreren Vertretern jährlich) ihren Höhepunkt erreicht.
Zwar lassen sich schon ab dem Western-Serial "Lightning Bryce" (1919) vereinzelte phantastische Elemente ausmachen – dort nämlich hellseherische Indianer, die in Glaskugeln schauen, geheimnisvolle Pulver verwenden und zu Menschenopfern neigen –, aber das waren bloß milde Nuancen in einem reinen Western-Abenteuer und darüber hinaus boomten solche Bilder des magisch begabten, schamanischen Indianers (oder der von ihm beschworenen/registrierten Kraft) später gerade nicht im Western-Horrorfilm, sondern in reinen Horrorfilmen wie "The Manitou" (1978), "The Ghost Dance" (1980), "Scalps" (1983) oder ideologisch (deutlich oder wenigstens etwas) besonneneren Vertretern wie "Wolfen" (1981) und "Creepshow 2" (1987). Mit einem zunehmenden kritischen Bewusstsein für die Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner (die auch in "Shining" (1980) durchschimmerte) ging auch deren Aufwertung einher, sodass sie im phantastischen Film alsbald zu weisen, übersinnlich begabten Ratgebern gerieten – wie in "Poltergeist II: The Other Side" (1986) oder "The Cellar" (1989).
Auch geheimnisvolle, gefährliche Phantomreiter, die man vom Serial "The Phantom of the West" (1931) mindestens bis hin zu "Los diablos del terror" (1959) antreffen konnte, brachten maximal wohlige Schauer in vereinzelten Momenten in die Filme, ohne diese zugleich auch in das Horrorgenre schwappen zu lassen. (Antonio Margheritis später Gothic-Rachewestern "E Dio disse a Caino..." (1970) und Clint Eastwoods mysteriöser "High Plains Drifter" (1973) trieben solche Anlagen dann auf etwas andere Weise auf die Spitze, derweil sie die stark reduzierte Phantomhaftigkeit ihrer Rächer subtiler gestalteten.) Etwas näher stehen dem Horrorfilm jene raren Vertreter ab "Haunted Range" (1926), die ihren vermeintlichen Spuk gegen Ende als Trick einiger Gauner ausweisen, die sich auf diese Weise Neugierige vom Leib halten.
Ließen sich gerade in Mexiko bis Mitte der 70er Jahre hinein noch so einige Beispiele des immerhin seit zwanzig Jahren populär gewordenenen Horror-Westerns entdecken, so gehörte dieser Mix später zu einer doch eher raren Ausnahme: "Eyes of Fire" (1983) – dem man nur bedingt typische Western-Elemente attestieren kann –, "El extraño hijo del Sheriff" (1982), "Ghost Riders" (1987), "Ghost Town" (1988) und "Sundown: The Vampire in Retreat" (1989) stellen eigentlich alle relevanten 80er-Jahre-Titel dar; hinzufügen ließen sich "House II: The Second Story" (1987) und natürlich Kathryn Bigelows "Near Dark" (1987), die beide zumindest phasenweise mit Western-Motiven spielen. (Wobei der ambitionierte "Near Dark" späteren Vampirfilmen mit Western-Anleihen wie "Sundown: The Vampire in Retreat", "From Dusk Till Dawn" (1996) oder "Vampires" (1998) den Weg ebnete.)
Mit dem zunehmenden Boom von Low-Budget-Produktionen und einer Art Vulgär-Postmoderne der Internet-Ära (ganz besonders seit dem trash-affinen retro-chic ab "Grindhouse" (2007)) erlebte der Horror-Western (insbesondere als humorige Variante) im 21. Jahrhundert einen neuen Boom: charakteristisch sind neben dem vergleichsweise kostenspieligen "Abraham Lincoln: Vampire Hunter" (2012), vereinzelten Elementen in Coscarellis "Bubba Ho-Tep" (2002) und einem wohlwollend aufgenommenen "The Burrowers" (2008) vor allem kuriose Billigfilme mit Titeln wie "The Quick and the Undead" (2006), "Dead Noon" (2007) oder "Dead in Tombstone" (2013). Zugleich kulminiert zu dieser Zeit auch der Western-Sci-Fi-Mix aus "Westworld" (1973) oder "Back to the Future Part III" (1990) in bizarren Großprojekten wie "Wild Wild West" (1999) oder "Cowboys & Aliens" (2011).
"Bone Tomahawk" reiht sich [Achtung: Spoiler!] in diesen illustren Reigen ein – und verdankt einem "Grindhouse"-Projekt so einiges –, geht aber dennoch gänzlich eigene Wege. Diese ironisch bis parodistisch zelebrierte Absurdität des postmodernen Horror-Westerns des 21. Jahrhunderts schwächt "Bone Tomahawk" erheblich, beinahe vollständig, ab. Seine Tradition scheint nicht weniger eine andere zu sein: die Überführung der obligatorischen Western-Gewalt in drastischen Körperhorror. Western-Klassiker wie "Shane" (1953) oder Peckinpahs "The Wild Bunch" (1969) hatten die Gewalt für die jeweiligen Verhältnisse deutlich unbequemer inszeniert. In den 70er Jahren, als eine Splatterästhetik kommerzielle Erfolge zu feiern begann, entstanden schließlich (auch in Reaktion auf die Peckinpah-Drastik im Genre) reichlich gewalttätige Western wie "Soldier Blue" (1970), "Cain's Cutthroats" (1970), "Condenados a vivir" (1972), "I quattro dell'apocalisse" (1975) – dessen deutschen Titel Marcus Stiglegger zur Überschrift seines Aufsatzes über Fulcis "viszerale[s] Kino"[1] machte – oder "Mannaja" (1977).
Zu einer der ikonischsten, wenngleich keinesfalls spekulativ ausgeschlachteten Gewalt-Szenen jener Jahre zählt auch das Initiationsritual in Elliot Silversteins "A Man Called Horse" (1970), in welchem Richard Harris an seiner durchbohrten Brust-Muskulatur in die Höhe gezogen wird. Nicht umsonst plagiierte Umberto Lenzi diese Szene später in seinem exploitativen Kannibalen-Film "Cannibal ferox" (1981), in welchem Zora Kerova an ihren Brüsten durchbohrt und aufgehängt wird. Und der – im "Grindhouse"- & retro-chic ebenfalls wieder (etwa in Eli Roth' "The Green Inferno" (2013)) aufgeblühte – Kannibalen-Film ist immerhin ein Bezugspunkt von "Bone Tomahawk". In dieser Zeit hallten Western-Anleihen auch durch Tobe Hoopers verstörendes "Texas Chain Saw Massacre" (1974), das seinerseits vage auf Herschell Gordon Lewis' Splatter-Klassiker "Two Thousand Maniacs!" (1964) zurückwies, in welchem die stofflich gewordenen Geister eines Südstaaten-Dorfes aus Bürgerkriegszeiten durchreisende Yankees totfolterten. Die ur-amerikanischen Wild-West-Gräuel drangen in dieser Zeit subtil in den modernen Horrorfilm ein, der dadurch aber nicht automatisch immer auch ein Western wurde...
Schon Antonia Birds kannibalischer Aunahmewestern "Ravenous" (1999), untermalt mit einem Score vom großartigen Michael Nyman, war dieser Ära verpflichtet – sowie möglicherweise dem bizarren Camp-Musical "Cannibal! The Musical" (1996). "Bone Tomahawk" mag davon inspiriert gewesen sein, entfernt sich aber stärker vom Survival- und Zivilisations-Kannibalismus und verweist noch viel eher auf den (vornehmlich italienischen) Kannibalenfilm der frühen 80er Jahre – sowie natürlich auf den seit 1969 immer grafischer gewordenen Spät- & Italowestern der 70er Jahre.
Bereits der einleitende Kehlenschnitt verweist auf diese gewaltgesättigte Western-Ära: Zwei Gauner machen ihren Opfern den Garaus und sichern sich ihre Beute, ehe sie eine sonderbare Grabstätte betreten, woraufhin einer von ihnen indianischen Wilden zum Opfer fällt, während der andere knapp entkommen kann. Gespielt werden diese Ganoven von Sid Haig und David Arquette. Arquette verweist – das wird später im Film offensichtlich – natürlich auf "Ravenous" zurück; Sid Haig hingegen auf sein Comeback im retro-chic-Film von Quentin Tarantino[2] und (mehr noch) Rob Zombie: Er ist dann auch derjenige, dem in einer (noch recht distanziert gezeigten) Ausweidungsszene am Ende des Prologs die Gedärme rausgerissen werden... das ist dann schon näher dran am Italo-Kannibalen-Kino als am 70er-Jahre-Western.
Doch nach diesem Prolog bleiben solcherlei Gräuel erst einmal aus. Liebevoll (und detailliert an teils kauzigen Charaktereigenschaften interessiert) führt der Film nun seine Haupt- und Nebenfiguren ein: die Ärztin Samantha O'Dwyer und ihren Mann Arthur, dem eine Verletzung seines Beines gerade erst einen Karriereknick beschert hat, den souveränen Sheriff Franklin Hunt und seinen etwas unbedarften Deputy Chicory, den schneidigen und rassistischen John Brooder, der einmal an Samantha interessiert war... In dieses kleine Städtchen flieht auch der noch lebende Gauner Purvis. Und weil der Deputy mitbekommen hat, dass dieser etwas zu verbergen hat, sucht bald darauf Sheriff Hunt den Fremden im Saloon auf und schießt ihm nach kurzer Auseinandersetzung vor Brooders Augen ins Bein. Daraufhin wird Mrs. O'Dwyer zur Verarztung des Mannes bestellt – und wird über Nacht mit ebendiesem und einer Wache entführt; bloß ein übel zugerichteter, toter Stallbursche bleibt am Ort des Geschehens zurück. Hunt und Arthur O'Dwyer wollen sich nun auf die Suche machen, Brooder und der Deputy wollen sich anschließen.
Es folgt gewissermaßen der letzte Ritt von Männern, die durchaus ahnen, worauf sie sich einlassen: Ein gelehrter Native American hat sie nach der Untersuchung eines Pfeils darüber informiert, dass es keinesfall ein gewöhnlicher Indianerstamm gewesen sei, sondern Troglodyten; unzivilisierte Höhlenbewohner ohne Sprache, die ihre eigenen Mütter vergewaltigen und auffressen würden – und denen man im Kampf unweigerlich unterlegen wäre. Die daran anschließende Reise füllt einen Großteil des Films: Hunt agiert pragmatisch und ruhig, Brooder tritt recht eingebildet und eitel auf, O'Dwyer bangt um seine Frau und hat mit seinem Bein zu kämpfen und Deputy Chicory ist im Grunde ein comic relief – immer wieder stellt er sein schlichtes Gemüt unter Beweis und sorgt mit naiven Kommentaren und Fragen für Heiterkeit beim Publikum, derweil sein Umfeld lakonisch über seine Defizite hinwegsieht. Brooder und O'Dwyer sind sich aber aufgrund ihrer jeweiligen Beziehungen zu Mrs. O'Dwyer nicht ganz grün; und nachts umherziehende Banditen sorgen für zusätzlichen Ärger. So kommen ihnen auf der langen Reise alsbald die Pferde abhanden, O'Dwyer zieht sich einen offenen Bruch zu und muss schließlich der Dreiergruppe nachhinken, die ihm mit Steinen den Weg markiert.
Und schließlich stoßen Brooder, Hunt und Chicory auf die ersten Troglodyten, welche die drei Männer allesamt verwundet haben, ehe diese auch bloß einen Schuss abgeben können. Chicory hat eine heftige Platzwunde an der Stirn, Hunt einen Pfeil tief im Oberarm und Brooder wurde eine Hand abgetrennt. Und obgleich die Inszenierung hier um eine Flüchtigkeit des Gewalteinbruchs bemüht ist, wirken Brooders blutender Armstumpf und der dekorativ in Kurt Russells Arm steckende Pfeil sowie Chicorys in Großaufnahmen gut sichtbare Stirnwunde etwas ausgestellt. Hier oszilliert der Film zwischem ruppiger, direkter Härte und überzogener Gewalt, die in wenigen Momenten fast schon wieder in die Gefilde verdaulicher blutrünstiger Monty-Python-Sketche abrutscht.
Nun beginnt das splatterlastige Endstück des Films, das in der Höhle der Troglodyten über sie hereinbricht, während O'Dwyer gehandicapt ihre Spur aufnimmt. Und hier nun fallen tonale Brüche, die schon zuvor im Film wahrzunehmen waren, besonders krass aus. Wenn ein armer Teufel von den Troglodyten skalpiert, mit seiner Kopfhaut und einem Messer geknebelt und anschließend der Länge nach halbiert wird, derweil Sheriff Hunt ihm seine Rache verspricht, ist das eine ausgesprochen aufwühlende Gräuelszene, die schwer im Magen liegt (und wesentlich naturalistischer ausgefallen ist als eine vergleichbare Szene in Fulcis "Demonia" (1990)). Und wenn dann später Hunt selbst einer Folter unterzogen wird, sorgen Chicorys einfältig-hilflosen Racheschwüre für eine unpassend ironische Note: Hier wird die Gewalt kaum mehr ernst genommen. Das gilt auch für die tragischen Szenen des Films: wenn Mrs. O'Dwyer erfährt, dass ihr Mann keinesfalls in Sicherheit ist, sondern vermutlich noch in diese Höhle nachfolgen wird, dann wird ihre Verzweiflung mit Chicorys belustigender Unbedachtheit konterkariert, da er sie überhaupt erst unüberlegt mit diesem Wissen ausstattet.
Mit einer erhitzten Metallflasche, die aus seiner Bauchwunde ragt (wie zuvor der Pfeil aus seinem Arm), gibt Kurt Russell wenig später ein eher absurdes Bild ab, dessen Brutalität durch ein Quentchen Komik abgemildert wird. An den Körpern der attackierenden Troglodyten wird grafische Gewalt hingegen als kathartischer Befreiungsschlag präsentiert. Die schwangeren Troglodytenfrauen allerdings – horrible Variationen der fettleibigen Nutzvieh-Weiber in "Mad Max: Fury Road" (2015) –, die mit amputierten Bein- und Armstümpfen und ausgestochenen Augen als Gebärmaschinen in den Gängen dahinvegetieren, sorgen schließlich noch für geschmacklosen shock value, bis kurz darauf die O'Dwyers Grund zum Schmunzeln geben, weil sie einander zwar küssen wollen, Arthur jedoch kurz zuvor aus taktischen Gründen ein blutiges Knochenstückchen zwischen seine Lippen geklemmt hatte. Tragik, Entsetzen und Komik wechseln hier in kurzen Abständen und behindern sich dabei gegenseitig: Die Fülle an launigen Oberflächenreizen, die dabei abgefeuert werden, steht einem harmonischen Ganzen im Weg. (Immerhin: einige Späße sind doch recht hintergründig geraten – etwa das Gespräch über Flöhe, das in letzter Konsequenz auf Thesen zum Kannibalismus verweist, ohne dass das direkt ausformuliert werden würde.)
"Bone Tomahawk" ist kein Film, dessen Gewaltbilder ein klares Konzept verfolgen würden: mal sind sie extrem aufwühlend, mal befreiend, mal absurd, teils fast schon parodistisch. Die Gewaltbilder wollen Gewalt nicht verurteilen, sie wollen Gewalt auch nicht verharmlosen, sie wollen Gewalt auch nicht verherrlichen: Die Gewaltbilder wollen einzig mit Gewalt unterhalten und nehmen zu diesem Zweck alles andere in Kauf.[3]
Weshalb setzt denn Autor und Regisseur Zahler auf kannibalische Wilde und nicht etwa auf gewöhnliche Banditen, um seine Geschichte vom (womöglich) letzten Ritt vierer Männer zu erzählen? Weil mit gewöhnlichen Banditen kein Spalten und Ausweiden gerechtfertigt werden könnte... "Bone Tomahawk" weiß um seine Schauwerte. Und für diese macht er alles: Um sich in die Position zu versetzen, heutzutage noch ungestraft einen Haufen vergewaltigender, folternder, dummer Wilder in Szene setzen zu können, führt er im ersten Drittel einen gelehrten Indianer ein, der gebildet & klug ist (und als die gebildetste und klügste Figur neben der Ärztin erscheint) und um die Rassismen der umgebenden weißen Männer weiß. Der schneidigste und kampferfahrenste dieser Männer outet sich dann mehrfach als Rassist, der weder für Indianer, noch für Mexikaner viel übrig hat. Damit verschafft sich der Film das Maß an politischer Korrektheit, das er benötigt, um (schaut man sich das Gros der Kritiken an: ungestraft) den gräßlichen Überfall der primitiven Wilden und die gerechtfertigte Gegenwehr zu schildern. Dieser (Körper-)Horror-Teil führt das Horrorgenre in reaktionäre Gefilde, die es gerade als moderner Horrorfilm geschickt zu umgehen vermochte: Selbst im klassischen Horrorfilm war das Fremde, das Andere oftmals auch ausgesprochen tragisch (Frankensteins Monster, King Kong, Freaks); im modernen Horrorfilm kam das Grauen aus dem Inneren der Gesellschaft (mordende Kinder, satanistische Upper-Class-Ehemänner, unscheinbare Serienmörder). In "Bone Tomahawk" sind es schlicht primitive, grässlich anzusehende Menschen – selbst der Italo-Kannibalen-Film der 80er Jahre war da ambivalenter: "Cannibal ferox" ebenso wie Ruggero Deodatos wirklich erstaunlicher "Cannibal Holocaust" (1980). An diesen gemahnt "Bone Tomahawk" besonders: mit dem dekorativ genutzten Schädel im Prolog womöglich, mit der Gewalt der Troglodyten an ihren Frauen noch eher. Doch hier sind die Wilden in der Tat verkommen, bei Deodato waren sie es bloß scheinbar (als Resultat einer perfiden Inszenierung innerhalb des Films). Freilich beziehen sich Zahlers mythisch überhöhten Troglodyten auf keine real existierende Gruppe;[4] betrachtet man das Horrorgenre jedoch als Genre, das immer wieder die Angst des Eigenen vor dem (externen oder internen) Fremden verhandelt, so fällt "Bone Tomahawk" eindeutig in die reaktionärere Sparte des Genres. Dass er sich das über einen gebildeten Quotenindianer und eine kluge Quotenfrau erlauben zu können glaubt (und darüber, dass er seinen Rassisten dadurch diskreditiert, dass diesem zu vorschnell diverse Tötungen von der Hand gehen), mutet besonders befremdlich an... zumal ja dem Fremden hier ein sadistisches Potential unterstellt wird, das tatsächlich (als sadistisches oder sadomasochistisches Potential) auf S. Craig Zahler und einen selbst (als Teil des Publikums) zurückfällt: die Gewaltbilder hier verurteilen ja keine Gewalt; sie unterhalten mit Gewalt. Auch in dieser Zuschreibung eines vermeintlichen Sadismus hatte ein "Cannibal Holocaust" so viel mehr zu bieten...
Lange Zeit sieht es zumindest noch so aus, dass Sheriff Hunt mit seiner Mutmaßung, die Intelligenz sei der einzige Vorteil seiner Gruppe, einem eigenen, ziemlich latent rassistischen Vorurteil unterliegt: Schließlich tappst er mit seinen Begleitern etwas unbeholfen in die Attacken der Gegner. Arthur O'Dywer schlägt sich dann aber trotz seiner Verwundung dank kluger Taktik in der Tat äußert wacker – und auch Hunts Ausbruchsplan gelingt zumindest ansatzweise, ehe körperliche Unterlegenheit ihn wieder beendet.
Und O'Dwyers korrekte Feststellung, dass es ohne die Waffengewalt durch Hunt und Brooder nie so weit gekommen wäre, wird schnell wieder relativiert: instinktiv hat zumindest Hunt richtig gehandelt. Und ohnehin nimmt O'Dwyer seine Vorwürfe sogleich selbst wieder zurück.[5] Und der schneidige Rassist erweist sich im finalen Kampf zwar als der uneffektivste Kämpfer, der auch als erster dahinscheidet – seine Souveränität und sein Können hat er auf der Reise aber bereits unter Beweis gestellt. (Was zugegebenermaßen nicht ganz ohne Reiz ist: dass man bisweilen auf Mithilfe von Menschen angewiesen sein kann, deren Ansichten man verabscheut, ist ein unbequemer Gedanke, auf den man gar nicht oft genug gestoßen werden kann.)
Insgesamt also ein im Hinblick auf seinen Gehalt (und vereinzelt auch im Hinblick auf die Montage) eher plumper Film, der sich in starken Einzelszenen verliert, ohne ein stimmiges Ganzes zu ergeben. Das ist zumindest bei einer Erstsichtung recht kurzweilig – und spürbar liebevoll umrissene Charaktere und ein namhafter Cast entfalten darüber hinaus durchaus einen Reiz... aber insgesamt ist "Bone Tomahawk" doch ein unausgewogener Brocken, der einem kaum mehr als ein zweifelhaftes Wechselbad der Gefühle beschert. 6,5/10
1.) Marcus Stiglegger: Verdammt zu leben, verdammt zu sterben ... Lucio Fulci auf dem Weg zu einem viszeralen Kino. In: Ders.: Grenzüberschreitungen. Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte. Schmitz 2018; S. 151.
2.) Auch die Besetzung mit Kurt Russell in einer der Hauptrollen verweist auf "Grindhouse" und den retro-chic. Dass der schon 2012 verpflichtete Russell im Erscheinungsjahr von "Bone Tomahawk" dann auch als Westerner in "The Hateful Eight" (2015) zu sehen war, war glücklicher Zufall.
3.) Die Inszenierung indes kann sich nicht entscheiden, wie das gelingen soll: durch Wegblicken oder durch Hingucken. So geht der Film einen holperigen, unebenen Mittelweg... S. Craig Zahler inszeniert quasi so wie ein Kind Horrorfilme schaut: mit Fingern vor den Augen, aber durch die Zwischenräume hindurchblickend.
4.) Man kann an dieser Stelle noch einmal auf die eingangs erwähnten Indianer im Horrorfilm zurückkommen. Will man "Bone Tomahawk" zu Ungunsten auslegen, kann man darauf verweisen, dass der im europäischen Herrenanzug steckende, studierte Indianer ein zivilisierter Indianer ist, wohingegen die Troglodyten in ihrer primitiven Tracht tatsächlich Barbaren sind. Wohlwollend ausgedeutet ließe sich feststellen, dass der Indianer im ersten Drittel erklärt, dass es sich bei den (mit Pfeil und Bogen agierenden) Troglodyten nicht um Indianer, sondern um etwas anderes handele – dass dieser Unterschied von Nicht-Indianern aber wohl nicht wahrgenommen werde...
5.) Sofern man überhaupt etwas Gehalt aus diesem unbedingt unterhaltungssüchtigen Film ziehen kann, wäre es wohl die Kritik an einem Aktivismus, der lediglich dem eigenen Selbstwertgefühl dient: Schließlich wiederholt Mrs. O'Dwyer die Kritik ihres Mannes an den übrigen Männern mehr oder weniger und betont dabei, dass auch Arthur O'Dwyer seine Beinverletzung nur deshalb erlitten habe, weil er gegen ihren besorgten Rat während eines Sturms auf das Dach geklettert ist. (Indes: Arthur ist im Finale nicht nur ihr Held und Lebensretter.)