Review

Die Spezies „Mensch“ hat eine bewegte Geschichte, gelinde gesagt. Epochale und zukunftsweisende Leistungen sind die eine Seite. Wichtige Beispiele finden sich in Philosophie, in den Wissenschaften allgemein, in Technik oder Medizin. Auf der anderen Seite zieht sich eine unvorstellbare Blutspur durch die Geschichte. Die Jahrtausende sind gespickt mit Kriegsereignissen, oft ausgelöst von geradezu wahnwitzigen Phantastereien einzelner Leute.

Wie es scheint beginnt sich in der neueren Zeit die Vernunft mehr und mehr durchzusetzen. Seit den Weltkriegen hat man nun wirklich an der Demokratie gearbeitet, gelernt damit umzugehen, und sie abzusichern. Damit geht aber auch die Gefahr des Vergessens einher, wie menschenfeindlich das Leben in machtbasierten Systemen ist. Wenn Gesetze willkürlich nach den Interessen Einzelner gemacht werden. Oder wenn Anarchie und Gesetzlosigkeit aus Menschen „wilde Tiere“ machen, die brutal und grausam im wahrsten Sinne über Leichenberge gehen.

Anders ist das eigentlich nur in den USA, den Vereinigten Staaten von Amerika. Jedes Kind kennt heutzutage dieses Land, einen der wichtigsten und größten Staaten. Und einer der jüngsten Staaten, grade mal etwas mehr als 200 Jahre alt. Seit mehr als 400 Jahren flüchten Menschen aus sicherlich allen Ländern der Erde dorthin. Einige weil sie dort das große Glück machen wollen. Die meisten flüchten vor ihre alten Heimat, vor der Verfolgung und Benachteiligung durch ihre „lieben“ Mitmenschen. Ethnische und religiöse Gründe sind der Anlaß, oder weil diese Leute eben nur „anders“ sind. Intelligenter, schöner, feinsinniger, oder was auch immer.

Die Gründerväter dieses Staates hatten etwas, das vielen Führenden und Verantwortlichen selbst in unseren Tagen abgeht: Weitsicht, Beharrlichkeit und... persönlich gemachte Erfahrung! Deren wichtigstes Ziel: Die unvorstellbare und unterbrechungslose Blutspur der „Alten Welt“ in der „Neuen Welt“ zu verhindern. Eine Gruppe begnadeter Staatsmänner hat das mit einer sehr logischen und sehr wirkungsvollen Strategie geschafft: Keine Grenzen und keine Religion. Zumindest keine dominierende Staatskirche.

Im Lauf der Zeit hat man, manchmal auch mit Kriegen, alle Einzelstaaten vereint. Allein dadurch sind die ansonsten zu erwartenden ständigen Zwistigkeiten und Grenzscharmützel zwischen den einzelnen Nachbarstaaten vermieden worden. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regionen. Aber die löst man halt politisch, mit Vernunft.
Und: Es herrscht absolute Religionsfreiheit, nicht nur auf dem Papier. In den „States“ sind nach meinem Wissen mehr als 1000 verschiedene Religionen zugelassen. Keine Kirche dominiert, oder kann sich in den Staatsbetrieb einmischen. Jede Kirche muß sich selbst durch Spenden finanzieren, und muß sich natürlich entsprechend verhalten.

Wie sich das alles ohne entsprechende Führung entwickelt hätte, zeigt eine der entsetzlichsten Phasen der Menschheitsgeschichte: Die Eroberung der beiden amerikanischen Kontinente in der Zeit vorher. Durch die „Alte Welt“, die Europäer. Eine Zeit der Anarchie, ohne Gesetze und Gnade. Wie viele andere geschichtliche Ereignisse ist diese Zeit später glorifiziert und idealisiert, und mit „Heldentum“ garniert worden. Letztlich waren das eigentlich nur unendlich viele Massaker, in denen sich alle beteiligten Parteien gegenseitig abgeschlachtet haben. Bis schlußendlich Diejenigen übrig geblieben sind, die die Mehreren waren oder die besseren Waffen hatten.

Der Film THE REVENANT spielt in den Rocky Mountains, in dieser Zeit der Pioniere. Glass ist der Scout einer Gruppe von einigen Dutzend Männern, die im Auftrag eines Unternehmens jagen, um an die Felle zu kommen. Es wird Winter, der Urwald ist feucht und kalt, weiter oben schneit es. Die Gegend am Oberlauf des Missouri ist nur schwer zugänglich, eigentlich nur über den Fluß. Indianerstämme sind hier, denen man Reservate zusicherte. Unter Mißachtung dieser Vereinbarungen werden die Indianer immer weiter in unwirtliche Gebiete gedrängt, und wehren sich nach Kräften.

Gerade als die Jäger ihre Beute auf das Schiff verladen und aufbrechen wollen, werden sie von Indianern angegriffen. Das folgende Gefecht endet mit hohen Verlusten. Da der Fluß von den Indianern kontrolliert wird, beschließen die Verbliebenen den Weg zurück in die Zivilisation zu Fuß über die Berge anzutreten. Glass geht voraus und erkundet den Weg. Er läuft dabei direkt in die Fänge einer riesigen Grizzlybärin, die besorgt um ihre Jungen ist. Der Scout überlebt nach einem haarsträubenden Kampf, tötet die Bärin, wird dabei aber schwerst verletzt. Seine Kameraden verarzten ihn notdürftig, glauben aber nicht, daß er durchkommt. Zwei der Jäger sollen bei ihm bleiben bis er stirbt, um ihn anschließend zu beerdigen.

Glass erweist sich aber als ziemlich zäh. Und einer seiner bei ihm gebliebenen Kameraden erweist sich als hinterhältiger und verbrecherischer Cretin, der ihn lieber heute als morgen tot sehen möchte. Damit beginnt für Glass eine grauenerregende Leidenszeit, die bis zum Ende des mehr als zweieinhalbstündigen Filmes andauert.

Selbst hartgesottene Jungs werden von den Szenen und Bildern absolut entgeistert sein. Von den Dingen die passieren, und von der außerordentlich und brutalst realistischen Darstellung. Man fühlt sich als Zuschauer, als wäre man in dieser Zeit de facto mitten in den Geschehnissen, und als Kameramann dabei. Das Umfeld in der Wildnis zeigt nicht die geringste Verbindung zur Zivilisation, alles sicherlich exakt wie eben zu dieser Zeit in dieser Gegend. Aschfahle und ausgemergelte Gesichter, wild wuchernde Haare, skalpierte Köpfe, aufgesprungene Haut, zerschrammte Hände. Zerfetzte Kleidung, dürftige Schuhe. Alles feucht/naß/kalt, und immer ohne Handschuhe, selbst bei großer Kälte. Eiternde und verfaulende Wunden, wie im echten Leben.
Und wie die das mit dem mehrere Minuten dauernden Kampf zwischen Glass und dem Bären gemacht haben, ist echt unvorstellbar.

THE REVENANT ist ein weitestgehend authentisches Filmdokument für die damalige Zeit, alles bis ins feine Detail ausgearbeitet und dargestellt. Allein das macht ihn schon sehenswert. Hinzu kommen schauspielerische Leistungen von einzigartiger Güte. Vor allem die beiden Protagonisten brillieren, Leonardo DiCaprio in der Rolle des Glass und Tom Hardy als sein Widersacher Fitzgerald. Beide interpretieren diese Charaktere in vollendeter Form.

Die Aufnahmen sind in Kanada und in originalgetreuem Umfeld gedreht worden. Unverfälschte Bilder des weitläufigen Waldlandes, der Prairie, der Bergwelt und des Flußlaufes zeigen die unberührte und unbarmherzige Natur dieser Gegend, und zu dieser Jahreszeit. Und absolut faszinierend sind die im alltäglichen Lebensablauf spielenden Szenen, bar jeder Romantik, die ganze Härte des Lebens in jenen Tagen zeigend.

Alejandro González Iñárritu und sein Team haben mit THE REVENANT einen beispiellosen Film realisiert. Eine gute Story, Regiearbeit erstklassig, Filmtechnik professionell und sehr gute Akteure, ein cineastisches Juwel.

THE REVENANT ist sicher kein Film für jeden Tag, oder den man jedes Monat mal anschaut. Aber wenn die Stimmung passt ist dieser Film ein unvergleichliches Erlebnis. Ich denke, vor allem wenn Einem selbst grad nicht unbedingt wohl in seiner Haut ist, hat THE REVENANT einen nahezu therapeutischen Effekt. Wenn man sieht, was Glass durchmacht, erscheinen die eigenen Holprigkeiten im Leben sicherlich eher niedlich.

Jeder, der gediegene, anspruchsvolle und historisch authentische Kinofilme mag, muß THE REVENANT gesehen haben.

Details
Ähnliche Filme