The Revenant (2016, Alejandro González Iñárritu)
Letztes Jahr erntete Alejandro González Iñárritu, der mexikanische Filmregisseur dessen Name unmöglich ohne Kopierfunktion geschrieben werden kann, mit seiner genialen, vielschichtigen Mediensatire Birdman or (The unexpected Virtue of Ignorance) alle möglichen Preise, dieses Jahr erobert er mit einem bildgewaltigen Survival-Western die Kinoleinwände. Lose auf wahren Begebenheiten basierend schildert The Revenant die Geschichte einer Gruppe Fallensteller und Jäger im winterlichen South Dakota des Jahres 1823 unter der Führung von Captain Andrew Henry. Kurz nach einer verlorenen Schlacht gegen einen Indianerstamm wird Trapper Hugh Glass bei der Jagd von einem Grizzly angefallen und überlebt schwer verwundet. Während Henrys Trupp weitermarschiert wird John Fitzgerald, der schon länger einen Groll gegen Glass hegt, zu dessen Bewachung abgestellt, überlässt den Verwundeten aber in der kalten Wildnis dem sicheren Tod. Doch Glass entwischt seinem Abgang weiterhin und hat nichts mehr zu verlieren. In der unbarmherzigen Natur kämpft er ums nackte Überleben und hat nur noch eins im Sinn: Rache.
Die Geschichte die uns Iñárritu hier erzählt ist von einer erfrischenden, unkomplizierten Simplizität und es ist die Inszenierung, welche die Handlung als spannendes Kinoerlebnis zum Leben erweckt. The Revenant lässt sich Zeit, ganze zweieinhalb Stunden um genau zu sein, doch die Laufzeit verfliegt wie im Nu. Die tagelangen Reisen durch die unerforschte Wildnis und der ewige Kampf gegen den Tod, der in Gestalt von Tieren, Wetter, Nahrungsmangel und in seltenen Fällen auch feindlichen Gruppierungen hinter jedem Baum zu lauern scheint, wird absolut minutiös und effizient festgehalten und ist von einer unaufdringlichen, aber dennoch knisternd spürbaren Spannung erfüllt. Umso stärker fällt ins Gewicht, wie überwältigend und unfassbar Iñárritu die Natur visuell einfängt. Die gigantischen Wildnis-Panoramen strotzen vor unbeschreiblicher Schönheit und zeitgleich vor beängstigender Kälte. Einige Szenerien werden auf surreale Weise als Fieberträume des sich einsam durch die Wälder kämpfenden Rächers eingebaut und akzentuieren die bildliche Intensität des Geschehens. Dazu arbeitet Iñárritu oftmals scheinbar mit einem leichten Weitwinkelobjektiv, das die Bilder an den Seiten weiter auszudehnen scheint, und mit endlosen Plansequenzen und langen, ausgeklügelten 360-Grad-Kamerafahrten, wodurch er die Szenerie oft im selben Moment sowohl eingrenzt als auch weiter öffnet. Die Plansequenzen gestalten gerade die gewaltvolleren Szenen umso intensiver und das Spiel der Akteure umso authentischer, ohne dabei je statisch zu wirken. Um es kurz zu machen: Im erzählerisch-visuellen Bereich ist The Revenant ein absolutes Spektakel und beinahe noch eine Steigerung der in Birdman perfektionierten Stärken seines Regisseurs.
Die Anzahl der handelnden Charaktere ist überschaubar und die Figuren vordergründig einfach gestrickt, doch durch die Inszenierung und die Darstellung erhält jeder der Protagonisten eine lebendige Vielschichtigkeit. Der Fokus liegt natürlich auf Leonardo DiCaprios leidendem Überlebenskünstler Hugh Glass, und selten zuvor hatte das Zugpferd eines zweieinhalbstündigen Films so wenig Text. DiCaprio dominiert die Rolle durch pure Leinwandpräsenz, durch Mimik und durch vollen körperlichen Einsatz und überzeugt damit auf ganzer Linie. Der Mann spielt auch ohne grosse Worte erstklassig und liefert mindestens seine beste Darbietung seit Scorseses Departed vor mittlerweile zehn Jahren ab. Die wichtigsten Nebenrollen sind aber mit Domhnall Gleeson, Tom Hardy und Will Poulter praktisch genauso stark besetzt, vor allem Hardy liefert ohne viel Firlefanz eine fantastische Performance in einer simplen aber faszinierenden Rolle - Vergesst Warrior und The Dark Knight Rises, das ist die Rolle, auf die der talentierte Brite sein Leben lang hingearbeitet hat!
Alejandro González Iñárritu (Copy & Paste sei Dank) hat seine mit Birdman höher als hoch gelegte Messlatte würdevoll überschritten und einen visuell, narrativ und darstellerisch extrem starken Survival-Film geliefert, der den Kinobesuch zum Erlebnistrip macht und für mich jetzt schon einen heissen Anwärter auf den besten Film des Jahres stellt. Jetzt stellt sich nur dieselbe Frage wie schon letztes Jahr: Kann der Mexikaner sein Niveau auch mit dem nächsten Film halten?
Wertung: 9,5 / 10