Review

Naturgewalt auf Zelluloid

... oder besser gesagt auf digitalem Zelluloid, da "The Revenant" komplett mit modernsten Digitalkameras gedreht wurde & in seiner Schönheit trotzdem alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Vielleicht der Todesstoß für das klassische Filmemachen. Das aber nur als Randnotiz zu der enormen Schönheit dieses Rache-Western-Thrillers, der man sich nicht entziehen kann. In Inarritus neuem Meisterwerk, und hier ist das Wort ein Zwang wie lange nicht mehr, spielt Leo Di Caprio im eisigen Nirgendwo des frühen 19. Jahrhunderts einen Mann der Rache schwört - weil er nach einer Bärenattacke halb tot zurück gelassen wird & er vor allem mit dem mürrisch-genialen Tom Hardy noch eine äußerst persönliche & blutige Rechnung offen hat.

Inarritu untermauert nach dem schwierigeren "Birdman" erneut, dass er zu der handvoll, jüngeren Regisseuren (Nolan, Tarantino, Fincher, Coens) gehört, die nicht nur Kunst, Unterhaltung & einen unverkennbaren, eigenen Stil zusammenbringen, sondern die sich auch noch von Film zu Film steigern können. Dieser Mann ist auf dem besten Weg zur Legende, genauso wie sein hervorragender Hauptdarsteller Di Caprio. Inarrito quillt förmlich über mit Ideen, den Blick für Schönheit, Innovationen, sodass die Oscars Ende nächsten Monats zum wiederholten Male nicht um ihn herum kommen werden. Nichts führt momentan an ihm vorbei, auch nichts am diesjährigen Oscar für Leo (endlich!) & momentan nichts an diesem Mammutwerk im Kino. 

Wenn es je einen Film fürs Kino gab, dann dieser. Eine Schande sich den zu Hause am Bildschirm oder gar Handy anzugucken. Die Bilder sind gigantisch & traumhaft - sowas habe ich noch nie gesehen, nicht von dieser Welt. In Verbindung mit den enorm langen Takes, der einmaligen Schnitttechnik, der extrem aufwändigen, ausschließlich natürlichen Beleuchtung & dem ungewohnten, rohen, blutigen Setting (eher Mittelalter als Western!) ergibt das ein unvergessliches Filmereignis. Ein Monster, vor dem man Ehrfurcht hat, über das man aber auch nur schwärmen kann. Besser kann das Kinojahr kaum starten. CGI wird spärlich eingesetzt & wenn dann perfekt eingebunden, die Kälte, der Dreck & die Härte, der Aufwand des Drehs ist jederzeit spürbar. Es hat sich gelohnt - Danke an das ganze Team & deren Strapazen. Herausgekommen ist ein brachialer & epochaler Film, irgendwo zwischen "Fitzcarraldo", "McCabe & Mrs. Miller", "Apocalypse Now", "Walhalla Rising" & "Apocalypto". Und im Endeffekt doch ein Hybrid & Klasse für sich. 

Leo gewinnt den Oscar - aber auch der Rest des Casts spielt sich die Seele aus dem Leib, von Hardy über Poulter bis Gleeson. Egal was für ein phänomenales Jahr diese Leute zum Teil 2015 hatten - das hier ist der Schaum auf dem köstlichen Kölsch. "Revenant" ist ein cineastischer feuchter Traum irgendwo zwischen Kubrick, Malick & Tarkowsky, der aber auch Geduld, Ruhe & genug Anspruch fordert, um hibbelige & künstlerisch überforderte Zuschauer, von denen es heute mehr gibt denn je, zu überbeanspruchen. Die sollten dann einfach bei "Transformers" & "Jurassic World" bleiben & in 20 Jahren nochmal wiederkommen. "The Revenant" wird geduldig & eisenhart warten, wie ein dicker Baum im Wind. 

Schon allein der Indianerangriff zum Auftakt & die finale Konfrontation sind in Sachen Intensität so rau, direkt & unverzeihlich, dass es mir eiskalt den Rücken runterlief. Gänsehaut pur - ebenso ausgelöst von einem wuchtigen Soundtrack & zwischenzeitlichen, grausamen & kaum mit anzusehenden Höhepunkten wie der Attacke des Bären. Auftakt & Finale überschatten den Mittelteil etwas & sicher gibt es dort auch ein paar Hänger, zum Glück aber nichts wirklich Ärgerliches. Ein solches Werk nimmt sich halt Zeit & braucht diese um zu atmen, zu wirken. Umso unvergesslicher bleibt das Endergebnis über Wochen bei euch im Hinterstübchen. Eindringlich, beißend, schockierend schön. Durch die paar sehr zögerlichen & sich wiederholenden Passagen in der Mitte & der etwas nichtssagenden, auf manche flach wirkende Revenge-Story, dann doch nicht ganz die perfekte 10. Mit Sicherheit aber einer der Kandidaten, die diese für die Zukunft fest im Blick hat. Und auch eines der Zugpferde für den Start der 4K-Blu-ray diesen Frühling/Sommer.

Fazit: vielleicht die brachialsten, schönsten & gewaltigsten Bilder, die je über eine Leinwand flackerten. Ein einzigartiges Epos & ein atemberaubender Eventfilm, der zeigt, dass sich Mainstream & Filmkunst nicht unbedingt ausschließen müssen! 

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