Nachdem rassistische Dessauer Bullen am 7. Januar 2005 den Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone in ihrer Zelle auf der Wache bei lebendigem Leib verbrannten, wurden die Verantwortlichen in einem Justizskandal zunächst freigesprochen. Gegen den Dessauer Mörderbullenklüngel, der mindestens zwei weitere Tote auf dem Gewissen hat, kam es bis heute zu keiner Verurteilung wegen Mordes. Dieses reale Vorbild nahm Autor Stefan Kolditz zum Anlass für ein Drehbuch zur „Tatort“-TV-Krimireihe, das für das Hamburger Ermittlerduo Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) in seinem sechsten Fall geschrieben und von Regisseur Thomas Stuber („Teenage Angst“) in seinem bisher einzigen Beitrag zur Reihe verfilmt wurde. Die Erstausstrahlung erfolgte am 11.10.2015.
Der Ort wurde ins niedersächsische Salzgitter verlagert: Dort halten sich Lorenz und Falke gerade auf, um den afrikanischen Asylbewerber Gibril Bali (Ibrahima Sanogo, „Irina Palm“) wegen des Verdachts zu beschatten, er würde mit gefälschten Ausweisen handeln. Als Lorenz ihn festnehmen will, wehrt er sich, woraufhin Falke wie von Sinnen auf ihn einschlägt. Am nächsten Tag stellt sich die Unschuld des Verdächtigten heraus. Als beide die örtliche Wache aufsuchen, in der Bali in einer Gewahrsamszelle festgehalten wurde, müssen sie erfahren, dass er die Nacht nicht überlebt hat: Der mit Händen und Füßen an das Bett Fixierte ist verbrannt. Während Lorenz und Falke in Salzgitter bleiben, um den Fall aufzuklären, stoßen sie auf viele Ungereimtheiten, eine Mauer des Schweigens – und Lorenz an ihre psychischen Grenzen…
„Verbrannt“ orientiert sich für einen Krimibeitrag mit fiktionaler Handlung lange Zeit relativ eng am realen Fall, eingebettet ins Hamburger „Tatort“-Format. Falkes Kurzschlussreaktion, in der er selbst Polizeigewalt verübt, scheint seiner emotionalen Bindung zu Lorenz geschuldet und führt zu einem ausgeprägten schlechten Gewissen, das seinen Teil dazu beiträgt, nicht nur dem Mord auf den Grund zu gehen, sondern sich auch verstärkt in die Welt des Opfers zu begeben. Besuche im Asylbewerberheim, bei denen man sich den Reaktionen der Freunde und Bekannten Balis aussetzt, sind ebenso die Konsequenz wie eine vorsichtige Rekonstruktion seines Lebens, die ihm ein Gesicht gibt. So stellt sich heraus, dass Bali – wie auch Jalloh – Vater eines mit einer Deutschen gezeugten Kindes war, was die Handung zu einer falschen Fährte ausbaut, die bereits einen Eindruck von der allgegenwärtigen ablehnenden Haltung gegenüber Asylbewerbern vermittelt.
Erste Ermittlungsergebnisse sind, dass die in der Nacht diensthabenden Polizisten Maria Sombert (Annika Kuhl, „Herr Lehmann“) und Mehmet Mutlu (Taner Sahintürk, „Der Kuaför aus der Keupstraße“) viel zu spät auf den Alarm reagiert haben – absichtlich? Kabarettist Serdar Somuncu tritt als Anwalt des Opfers in Erscheinung und legt mit einem seriösen Auftritt den Finger in die Wunde des institutionellen Rassismus, während manch Polizist in branchenübliches Gejammer über die Arbeitsbedingungen verfällt. Verdächtig macht sich insbesondere Mutlu, der als türkischstämmiger Polizist derart überintegriert scheint, dass er seine gewonnene Akzeptanz offenbar nicht aufs Spiel setzen möchte und deshalb gute Miene zum bösen Spiel macht. Seine weniger dickhäutige Kollegin Sombert gerät unter Druck sowohl seitens der Ermittler als auch der dies argwöhnisch beobachtenden Kollegen und zeigt sich in einer Szene splitternackt – was auf mich wie eine Mischung aus Fanservice und Metapher für ihre Schutzlosigkeit beim Ablegen des Mantels des Schweigens wirkt.
Überwiegend ist all das ziemlich gut gelöst und mit der nötigen Sensibilität in Szene gesetzt, ohne auf klassischen Spannungsaufbau zu verzichten. Der Korpsgeist der sich nach außen hin als soziales Team präsentierenden Polizisten, die jedoch ein ganz eigenes, überaus eigenwilliges Verständnis von Recht und Gesetz entwickelt haben, verursacht ein durchgehend äußerst unangenehmes Gefühl, Wut paart sich mit Ohnmacht und einem mit Füßen getretenen Rechtsbewusstsein. Kameramann Alexander Fischerkoesens Bilderwelt illustriert diese Stimmung entsprechend, visualisiert Tristesse, Frust und Nachdenklichkeit und arbeitet immer wieder mit Rauch- und Qualmmotiven, die den Mord symbolisieren.
Nun muss auch dieser „Tatort“ natürlich zu einer Conclusio kommen – und sich damit zwangsläufig vom realen Fall emanzipieren, dessen genaue Tatumstände noch immer unklar sind, da die involvierten Dessauer Polizisten die konstruktive Mitarbeit verweigern. Und exakt dies ist der Punkt, an dem dieser „Tatort“ zu schwächeln beginnt: Das Falke zugespielte Polizeiparty-Video, auf dem eine hinzugezogene Lippenleserin irgendeinem Gestammel um einen gewissen „Hagen“ entziffert, was Falke auf die Nibelungensage schließen lässt, woraus er wiederum Rückschlüsse auf Tathergang und Motiv zieht, woraufhin der damit konfrontierte Mörder sich selbst richtet und dessen Vorgesetzter gegen Ende den großen Erklärbärtanz steppt, während er platt und klischeebehaftet den Filmpsychopathen mimt, ist leider einmal mehr ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Man hätte gut daran getan, mit der letzten Einstellung vor Beginn der Beweissichtung zu schließen, denn diese brachte alle oben genannten Gefühle noch einmal perfekt auf den Punkt und hätte das Publikum nachdenklich gestimmt entlassen. Aber der durchschnittliche „Tatort“-Zuschauer braucht ja anscheinend seine Katharsis und so wird konstruiert um des Konstruierens willen…
Doch bis zu jenem Punkt verzichtete dieser „Tatort“ auf überzeichnete Figuren und stellte den eigentlichen Fall in den Vordergrund, für den es eigentlich gar keine Katharsis geben kann: Wer auch nur über einen Hauch Abstraktionsvermögen verfügt, wird begreifen, welche Gefahr von einer Institution wie der Polizei ausgeht, die sich über das Gesetz stellt, statt dieses zu verteidigen, deren Mitglieder sich gegenseitig decken und vor Gericht generell kaum etwas zu befürchten haben. Gleichzeitig ist es diese schwerbewaffnete, mit zahlreichen Privilegien ausgestattete Exekutive, die beständig ihr Leid über vermeintlich unzureichende Befugnisse klagt und sich in Lobby-Verbänden wie der euphemistisch betitelten „Gewerkschaft der Polizei“ organisiert, um noch mehr Rechte, noch mehr Macht bei gleichzeitiger weiterer Aushöhlung der Verfolgung von Straftaten im Dienst für sich zu erstreiten. Eben jene GdP entblödete sich dann auch nicht, auf die Ausstrahlung dieses „Tatorts“ mit einem öffentlichen Statement beleidigt zu reagieren und sich „vorgeführt“ zu wähnen, statt sich einmal kritisch damit auseinanderzusetzen, welchen Nährboden für rechtsextremistische Umtriebe und Faschismus die autoritären Polizeistrukturen bieten und ob es wirklich eine so gute Idee ist, diese immer weiter hochzurüsten …
Für Petra Schmidt-Schaller war dies der Ausstieg aus der „Tatort“-Reihe, seit 2016 macht Falke mit einer neuen Kollegin weiter. Es bleibt die vage Hoffnung, dass es dem von antidemokratischen Kräften unterlaufenen deutschen Justizsystem in naher Zukunft doch einmal gelingen wird, den Dessauer Sauhaufen mit seinen feigen Mördern zu zerschlagen, zur Rechenschaft zu ziehen, sämtliche Todesfälle aufzuklären – und damit ein für alle Mal zu demonstrieren, dass auch die Polizei geltendem Recht untersteht. Man wird ja wohl noch träumen dürfen…?