Review
von Leimbacher-Mario
Hübsche Eraserheads
Andere Welten, andere Sitten. In "Evolution" wird nicht nur eine andersartige, fremde Welt gezeigt - man hat förmlich das Gefühl, der gesamte Film könnte aus einem Paralleluniversum kommen. Er wirkte selbst auf dem mit immer mehr Arthouse-Filmen gefüllten Fantasy Filmfest wie ein Fremdkörper. Ein faszinierendes Stück Kino - das mich gleichzeitig anzieht wie auch abstößt. Unglaubliche Bilder, eine dichte Atmosphäre & tolle Schauspieler stehen einer rätselhaften, kaum vorhanden Geschichte, 81 Minuten Laufzeit die sich doppelt so lang anfühlen & einen heftigen Hang zur Langeweile gegenüber. Mit "February", der Film des Festivals, über den ich am längsten nachdenke - aber auch der Film, bei dem mir fast die Augen zu gefallen wären & ich einfach zu oft in Gedanken verloren ging, die mich weg von der dargestellten (Alp-)Traumwelt zogen.
Die Geschichte, wenn man die undurchsichtige Aneinanderreihung von wunderschönen Szenen & Bildern, als solche bezeichnen kann, spielt auf einer Insel samt geisterhafter Ruinenstadt. Dort leben anscheinend nur ein paar kleine Jungs mit ihren Müttern. Einer dieser Jungen sieht zu Beginn eine Leiche eines ebenso alten Kindes auf dem Meeresgrund, wodurch seine Neugier & Skepsis gegenüber dieser metapherschwangeren Aussenstation der Erde(?) geweckt ist. Und wenn er dann auch noch Schlammsuppe mit Würmern isst, die Mütter (ohne primäre Geschlechtsmerkmale) am Strand bei furchteinflössenden Ritualen beobachtet & für Untersuchungszwecke eingesperrt wird, entstehen beim Zuschauer, noch mehr als bei dem unschuldigen Jungen, der es selbst nicht anders kennt, mulmige Gefühle. Immer im Gleichschritt mit einer gehörigen Portion Langeweile, Unruhe, Schläfrigkeit. Zum Teil sind das widersprüchliche Gefühle - aber genau das, scheint auch eines der Mittel des Films zu sein. Unschuld / Schuld, Pubertät / Sexualität, Schwangerschaft / Tod, Mann / Frau, Freiheit / Einsamkeit, Gemeinschaft / Individuum, Evolution / Stillstand.
Die dunklen, überlebensgroßen Bilder von Unterwasserlandschaften, Seesternen, Saugnäpfen am Rücken oder nagenden Embryos, schwelgen nicht nur selbstverliebt in ihren Rätseln, sondern erinnern auch auffällig an eine künstlerisch wertvolle Mischung aus Lynch & Glazer. Und Filme wie "Eraserhead" oder "2001" bieten auch nicht unbedingt viel mehr Zusammenhang - und sie wurden zu Meisterwerken, Kunst & Kult. Ob "Evolution" je in solch filmische Höhen aufsteigt, bleibt abzuwarten & zu bezweifeln - mich persönlich ließ er wütend, ratlos & zwiegespalten zurück. Einerseits schätze ich seine Schönheit & vielen Denkanstöße, andererseits hätte ich mir etwas mehr Griff, Anpack & Fingerdeut gewünscht. So bleibt der Film rutschig wie sein grauer Felsstrand. Ohne Führung, ohne Orientierung, ohne Deutung - wir, allein auf grauer Flur & Insel.
Fazit: tolle Ansätze, tolle Bilder, verstörende Ideen - aber ganz ehrlich: ziemlich langweilig & extrem verkopft. Nicht jeder will Filme nur analysieren & sich alles selbst zusammenreimen - bisschen Geschichte, Spannung oder Bewegung, sollte schon sein. Eine cineastische Wohltat aber schon allein auf Grund der Optik. Dann kann ich aber auch in ein Museum gehen & überlege, ob die Geschichte als Kurzfilm nicht mehr Sinn gemacht & Tempo gehabt hätte.